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Es kann nicht sein. Ich kann das alles doch nicht nur geträumt haben.. das geht einfach nicht. Noch immer in Gedanken versunken und mit Kopfhörern im Ohr laufe ich zu meiner Bahn, damit ich gut in die Berliner Innenstadt komme. Meine Mum und ich wohnen beide relativ weit am Rand, und da mein Vater vor einigen Jahren abgehauen ist, bleibe ich so lange es geht mit ihr in einem Haus. Aber trotzdem.. ich habe all diese Monate und Momente nur geträumt? Das kann doch echt nicht sein.. Meine Gedanken drehen sich noch immer im Kreis und ich muss aufpassen, dass ich nicht gegen die anderen laufe. Aber warte? Träume ich das auch nur? Oder bin ich jetzt wach?? Gerade wollte ich mich selbst kneifen, als mein Blick auf die Bahnhofuhr fiel. 9:13 Uhr. Scheiße! Meine Bahn fährt in 2 Minuten. 
Ich rannte los, brachte die Omi aus der Nachbarschaft fast zum umfallen und bekam meine Bahn gerade noch so. Der Tag beginnt ja schon einmal super, dachte ich mir, während mich die anderen verstört anschauen. Verständlich, ich sehe aus wie eine überreife Tomate und atme in meine Maske, als hätte ich nach Wochen den ersten Luftzug genommen. Aber wenigstens trage ich eine. Hier sitzen mal wieder genug Idioten, die sie entweder unter der Nase, unter dem Kinn oder gar nicht auf haben. Und mit solchen muss man sich Tag täglich rumschlagen? Ich hätte doch lieber Kindergärtnerin werden sollen. Da kann man es wenigstens auf das Alter schieben.

Es dauerte nicht lange und schon stand ich vor der Bundesgeschäftsstelle, wo ich auch schon erwartet wurde. Annalena stand davor und strahlt mich an. 
"Guten Morgen, Sie müssen Frau Thompson sein. Freut mich Sie kennenzulernen." Sie streckt mir ihre Hand hin. Vor meinen Augen spielen sich gerade die schönsten Momente mit ihr wieder und ich kann nicht anders, als ihre Hand anzustarren, anstatt sie zu nehmen. 
"Ja, guten Morgen, Frau Baerbock. Ich freue mich sehr." 
"Ganz meinerseits, aber bitte nennen Sie mich Annalena. Ist doch viel schöner und persönlicher unter Kollegen" Kollegen. Sie hat wirklich Kollegen gesagt. Wie kann etwas so sehr schmerzen, was nie geschehen ist?

"Ist bei Ihnen alles gut, Sie sehen so blass aus? Brauchen Sie etwas?" fragt sie, kurz nachdem sie mich mit in ihr Büro nahm.
"Hm? Ach so, ja. Alles gut. Ich bin nur etwas nervös, da es mein erster Tag ist. Sie wissen schon."
"Na klar, machen Sie sich keine Sorgen. Kommen Sie, ich stelle Ihnen die anderen vor."

Zusammen gehen wir die Gänge entlang und sie erklärt mir, wo alles ist, aber das hab ich schon alles wieder vergessen. Generell blende ich gerade alles aus, was um mich herum passiert. Ich werde erst wieder 'wach', als ich gerade fast in sie laufe. 
"Da hinten ist der Aufenthaltsraum. Wenn wir in dem Gebäude sind und ich nicht im Büro oder der Küche bin, dann findest du mich da. Und da müssten auch die anderen sein. Wir planen gerade alles für die Wahlkampftour. Das ist schon einmal ein super Anfang, um in die Sache herein zu kommen." 
Und gemeinsam betraten wir dem Raum. Ein paar Leute schauen kurz von ihrer Sache auf, schauen mich kurz komisch an, aber drehen sich dann wieder zurück. Alle außer zwei. Robert schaut etwas länger her, bleibt jedoch sitzen, aber Claudia steht auf und kommt mit offenen Armen auf uns zu. "Da seid ihr beiden ja endlich. Wie schön dich kennenzulernen, Alica. Mein Name ist Claudia, aber nenn mich ruhig Claudi oder so. Je kürzer, desto besser" Und mit den Worten nimmt sie mich in eine dicke Umarmung. Also die Claudia aus meinen Träumen ist ja schon ein Traum, aber in echt ist sie ja doppelt so lieb. Inzwischen ist auch Robert an ihrer Seite erschienen, unterhält sich aber mit Annalena. Nachdem ich wieder alleine da stehe, ergreift Robert nun das Wort. "Möchtest du mir eventuell deine Begleitung vorstellen und mir sagen, wieso gefühlt schon wieder alle anderen davon wissen, nur ich nicht?" "Alica, das ist Robert Habeck und Robert, sie ist meine neue Aushilfe - Alica Thompson" 
"Freut mich, Sie kennenzulernen, Herr Habeck." 
"Kein Grund so förmlich zu sein, nenn mich bitte Robert. Wir arbeiten doch ab jetzt auch zusammen." 
In meinen Träumen war Robert etwas kleiner, aber er ist genau so, wie ich es mir gedacht habe. Auch die anderen. Kurz nachdem wir die kleine Runde aufgelöst haben, wurde ich auch schon den anderen vorgestellt. Katrin, Toni, Britta, Ricarda, Michael und noch einige andere nahmen mich herzlich in Empfang. 

"Alica, kommst du?" Gemeinsam mit Annalena verlasse ich den Gemeinschaftsraum und wir gehen zurück in ihr privates Büro. Das Gebäude ist so groß, ich werde die ersten Wochen keinen Weg alleine finden, zumindest keinen richtigen. 
Wieder angekommen in ihrem Raum, bietet sie mir einen Stuhl an und fängt gleich an zu reden. "Also, wie findest du es bis jetzt hier? Brauchst du etwas bestimmtes?" 
Eigentlich kann ich mich nicht beschweren. Alle sind nett zu mir und ich kann noch ganz ruhig machen. Wir reden noch eine ganze Zeit über alles mögliche. Hauptsächlich über die bevorstehende Bundestagswahl und alles, was danach kommen wird. Außerdem erzählt sie mir etwas über ihre letzten Jahre als Parteivorsitzende und noch einiges anderes. Das letzte Thema, was angerissen wurde, waren die Wahlkampftouren. Der eigentliche Grund, wieso ich hier bin. Während sie in Deutschland unterwegs ist, werde ich mich um ihren Papierkram kümmern, damit sie darin nicht untergeht. Nur von der ganzen Sache ist fast nichts geplant. In bisschen weniger als einer Woche, also dem 2.8. geht es für sie noch einmal los, und ich bin jetzt erst da und bekomme Einweisungen. 
"Oh nein, schon so spät? Alica, es tut mir Leid, wir müssen damit morgen weiter machen" Auch ich schaue auf meine Armbanduhr und sehe, dass ich wirklich schon zu spät bin. "Mist" 
"Ist alles gut?" fragt sie, während sie ihre eigenen Sachen hastig zusammenpackt. "Ja meine Bahn kam vor 10 Minuten, ich muss noch 30 Minuten warten. Aber kein Problem, ich-" 
"Ich kann dich auch gerne nach Hause fahren, dann musst du nicht warten." "Das würden Sie machen?!" "Ja, natürlich." 
Zusammen verlassen wir das Gebäude, steigen in ihr Auto und wir fahren den Weg zu mir. 
"Was ein Zufall" sagt sie, als sie einen Blick auf das Navi wirft. Ich schaue sie nur fragend an und sie beendet ihren Gedanken selbst. "Ein Zufall, dass du genau auf meiner Strecke wohnst. Wenn du damit kein Problem hast, dann könnte ich dich fast jeden Morgen mitnehmen. Also, wenn du willst natürlich." 
"Ich-" Ich konnte meinen Satz nicht einmal zu Ende aussprechen, denn schon hielten wir vor meiner Haustür. 
"Du meldest dich schon deswegen. Hier-" Sie schiebt mir richtig altmodisch einen kleinen Zettel mit einer Handynummer zu "-damit du mich zur Not auch privat erreichen kannst." 
"Das ist doch- Danke schön. Bis morgen" 

Ich war schon fast in der Tür verschwunden, aber ich drehe mich noch einmal zu ihr um, da ihr Auto noch immer nicht weiter gefahren ist.  
"Ich habe mir gerade noch etwas überlegt - Du bleibst ab Montag nicht in Berlin. Du fährst mit mir durch Deutschland. Wir sehen uns!" Und damit war sie verschwunden.

𝑎𝑛𝑑 𝑦𝑜𝑢 𝑠𝑎𝑣𝑒𝑑 𝑚𝑒 -annalena baerbockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt