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Der Samstag war einer der längsten aber auch gleichzeitig einer er kürzesten Arbeitstage. Über 12 Stunden sitze ich nun schon hier aber es kommen einem nur vor wie Minuten. Nachdem gestern Abend das Interview online ging, regnet es nur so von Kommentaren. Viele, sogar die meisten, waren überraschenderweise sehr positiv. 

Noch nie war der Tag so anstrengend wie der Tag vor den Wahlen. Wirklich jeder, der dir über den Weg läuft, drückt dir neue Aufgaben zu, weil sie ja zu viel zutun haben. Wenigstens hat man durch die viele Arbeit einen deutlich kürzeren Tag. 


Morgen.
Morgen...
 
Erstmal kann ich ausschlafen. Der Tag beginnt für mich Punkt 10 Uhr morgens, wenn die Wahllokale öffnen. Zu meinem Wahlkreis ist es nicht weit. Ich bin zwar nicht aufgestellt wurden, aber trotzdem kann ich meine Kollegen unterstützen. Dann kann ich wieder zurück in meine Wohnung und da aufräumen, denn das geriet die letzten Tage sehr in Vergessenheit. Jedenfalls muss ich erst 16 Uhr wieder am Reichstag sein. Also 5 Stunden, wo ich nichts machen muss. 

. . .

Die 5 Stunden waren nicht so, wie ich die mir erhofft habe. Natürlich fällt mir noch am Ende ein, dass ich ein Kleid brauche. Normalerweise ist das kein Problem. Ich hab 6 verschiedene Kleider für so etwas. 
Kleid 1 - schwarz. Ich will auf keine Beerdigung. 
Kleid 2 - weiß. Heiraten wollte ich nicht gerade. 
Kleid 3 und 4 sind blau, was nicht gerade passend ist, wenn die AfD nur blau tragen wird. 
Kleid 5 war perfekt, bis zu dem Moment, wo ich mir bei der Anprobe einen Kaffee darüber geschüttet habe. 
Somit war die einzige Option, die ich noch habe, das Kleid, mit dem ich vor einer Woche mit den anderen unterwegs war. 

Ich mag dieses Kleid eigentlich sehr - es ist schlicht, einfach geschnitten und türkis (ist zwar ähnlich zu blau, aber das geht schon) - aber ich verbinde damit zu vieles. Nicht nur von letzter Woche sondern auch Ereignissen vor einigen Jahren. Aber eine andere Wahl hatte ich nicht. Entweder geh ich mit Kaffeefleck oder ich geh mit dem. 


Pünktlich 16 Uhr war ich in meinem Büro. Ich verstaute noch schnell meine Tasche und machte mich dann auf den Weg zu unserem Parteiraum. 
Noch 1 1/2 Stunden, bis die Prognosen da sind und schon jetzt sind alle so nervös wie es nur geht. Ich dachte die letzten Tagen waren anstrengend, aber heute ist es etwas ganz anderes. Eigentlich war ich ganz entspannt, aber die Stimmung in dem Raum zieht auch meine runter. 

"Na, bist du bereit?" schleicht sich jemand hinter mir an. Ich hätte mir fast schon wieder ein Getränk über mein Kleid gekippt. Annalena schleicht sich auf die andere Seite von hinter an. 

"Die Frage sollte ich eher euch beide fragen." scherze ich, während ich die beide, ja auch Annalena, umarme. Seit dem Gespräch gestern ist das bei uns etwas.. lockerer. 

"Ich halte mich da raus. Der Abend ist nur für sie wichtig." und nickt mit dem Kopf zu seiner Kollegin. "Wir wollten dich noch was fragen. Sobald wir die ersten Zahlen da sind, müssen wir etwas reden. Würdest du uns begleiten? Die Leute mögen dich, und das nicht nur wegen der Sache von Freitag" 

Und schon wieder bin ich in ein Interview verwickelt. "Ich überlege es mir noch" "Kein Problem, ich muss erstmal weg. Kannst es dann Annalena sagen. Bis später" und damit war er verschwunden. Er drehte sich noch einmal kurz zu mir um und ich glaube, ein kleines Zwinkern gesehen zu haben. Oder ich habe es mir nur eingebildet, keine Ahnung. 

Und mal wider bin ich mit ihr alleine. Zwar nicht in einem Raum, aber zusammen halt. Wir beide nippen wieder an unseren Getränken und beobachten die anderen. "Und, hast du ein gutes Gefühl?" "Was?"
"Oh.. tut mir leid. Ich hab gefragt, ob du ein gutes Gefühl hast. Bezüglich der Zahlen. Und so." "Ach so... Naja geht schon. Aber ich habe Robert und in den Interviews dann auch dich." "Also, solange du willst natürlich." Ergänzte die Frau noch schnell. 

"Wie ich sehe hast du das Kleid wieder an. Das steht dir echt gut." versucht sie die das Thema zu wechseln, was mir recht lieb ist. 

"Dankeschön. Deins sieht aber auch super aus." Ihr Kleid ist um einiges schöner als meins. Sie trägt ein ebenfalls türkises Kleid, welches eher eng geschnitten ist und ihre Figur mehr als gut betont. Es hat etwas Spitze am Ausschnitt und so wie es aussieht keine langen Arme. Dafür trägt sie noch eine Art Blazer darüber. Ich mag ihr Outfit.
*Starre ich immer noch ihr Kleid an?! Wäre sinnvoll, ihr mal wieder in die Augen zu schauen. Sieht sonst komisch aus.* 

"Ich bin dabei." 

"Bei was?"

"Bei dem Interview. Außerdem haben wir nicht mehr lange. Es ist inzwischen 17:33 Uhr. Machen wir schon einmal los und suchen Robert?"

Scheinbar hat sie total die Zeit verpasst, denn sie stellt ihren Glas direkt auf den nächsten Tisch und zieht mich mit aus dem Raum. Scheinbar waren wir so vertieft, dass es uns nicht aufgefallen ist, dass 70% der Leute schon gegangen sind. 

Wir schoben uns durch den inzwischen engen Raum und sahen vorne schon Robert stehen. Er grinste kurz, als er uns beide sah. Liegt vielleicht daran, dass die immer noch ihre Hand um mein Handgelenk hat. 

"Wo warst du eigentlich?"
"Ist egal. Machst du mit?"
"Nur, wenn du meine Frage beantwortest."
"Wirst du später sehen. Also?" 
"Du bist nervig." 
"Ich weiß"
"Ja. Aber ich lass euch beide reden. Ich bin die emotionale und aggressive Stütze im Hintergrund" 

Wir drei redeten noch, bis auf dem großen Bildschirm ein Countdown erschien. Inzwischen sind auch die anderen 5 Parteien erschienen und alle starren gespannt auf die Tafel. 


5..

4..

3..

2..

1.


Die ersten Balken erschienen auf dem Bildschirm.

Angefangen mit der SPD. 24,7% Die Partei neben und klatschte laut. 

CDU/CSU mit 17,9. SO wenig hatten die glaube ich noch nie. 
AfD und FDP haben beide zwischen 10 und 11%. Die Linke hat es gerade so über 5% geschafft. 

Wir waren die letzte. Ich habe Angst, meine Augen wieder zu öffnen. Kurz war Stille und dann eine Welle auf Freudenrufen. 16,8%. So gut wie noch nie. 

Ich hatte nicht einmal richtig Zeit mich zu freuen, denn schon hatte ich die Lippen von jemanden auf meinen. 

𝑎𝑛𝑑 𝑦𝑜𝑢 𝑠𝑎𝑣𝑒𝑑 𝑚𝑒 -annalena baerbockWo Geschichten leben. Entdecke jetzt