Prolog

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Es war totenstill.
Beinahe so, als hätte man die Zeit angehalten, oder zumindest verlangsamt.

Der frisch gefallene Schnee funkelte im fahlen Licht der Straßenlaternen und machte den Sternen, am klaren Nachthimmel Konkurrenz.

Es schien, als würde ganz West River in einem tiefen Schlummer liegen.
Als habe man die Zeit eingefroren.
Doch der Schein, soviel wusste Selina Tompson sicher, war so trügerisch, wie er nur sein konnte.

Das Mädchen krallte sich mit ihren Nägeln in die Polster des Sportwagens, welcher mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Straßen jagte.
Die braun grünen Augen des Fahrers schienen beinahe an der Straße zu kleben und die Knochen seiner Finger, mit denen er das Lenkrad umklammerte, standen weiß hervor.

Vor einem großen Haus, mit einer sonnengelben Fassade kam der Wagen mit quietschenden Reifen zum Stehen.
Kaum hatte sie gehalten, da riss der Fahrer bereits die Tür auf und stürzte sich in die eiskalte Nacht.

"Xander, warte!" Selina hatte die Beifahrertür geöffnet und wollte dem Jungen folgen, doch dieser schüttelte energisch den Kopf.
Mit seiner Hand hatte er ihren Unterarm umfasst und hielt ihn eisern fest.
"Das kommt nicht infrage, Sel! Der Kerl hat eine Waffe und wir wissen nicht, wie die Situation im Haus ist! Ich lasse nicht zu, dass dir etwas passiert!"

Die Rothaarige lachte hohl und befreite sich aus seinen Griff: "Und was willst du dagegen machen? Weißt du, wie man erste Hilfe leistet? Hast du Ahnung von der stabilen Seitenlage oder überhaupt Erstversorgung?"
Der Junge antwortete nicht.
Sein Schweigen und der Blick, den er Richtung Boden geheftet hatte, sprachen für sich.

"Da hast du's, du brauchst mich!" Ohne auf eine Antwort zu warten, rannte Sel die Stufen zur Terrasse hinauf und öffnete, so lautlos wie möglich, die Tür.

"Sel! Du bist doch irre!", zischte Xander, als er hinter ihr die Treppe hinauf hechtete. Er folgte dem Mädchen in die große Eingangshalle des Conner Manons.

Früher hätten ihn die hohen Wände und die große Marmortreppe beeindruckt. Doch mittlerweile war Xander in diesem Haus oft genug ein und aus gegangen.

Wie in einem Palast waren die Wände mit Gemälden von unschätzbaren Wert geschmückt. Fehlten nur noch die Ritterrüstungen, die feinsäuberlich Spalier standen.

Doch das dunkelrote Blut, das den weißen Teppich tränkte war neu.
Wie erstarrt war Selina vor einem reglosen Körper stehen geblieben.
Die Hände hatte sie auf den Mund geschlagen, als sie auf den leblosen Körper von Mason Conner hinabblickte.

Starr hatten sich seine leeren Augen an die Decke geheftet und sein Mund war leicht geöffnet.

Selina konnte ihren Blick nicht von dem Loch zwischen seinen grünen Augen abwenden. Es sickerte kein Blut mehr aus der kleinen schwarzen Öffnung. Das Blut war bereits in den Teppich gezogen.

Auch Xander war wie versteinert stehen geblieben. Er hatte Lydias Vater sehr gemocht. Nicht nur als Bürgermeister, sondern auch als Mensch. Mason war immer höflich und zuvorkommend gewesen. Das hier hatte er nicht verdient.

Sel war die erste, die sich aus ihrer Starre lösen konnte. Sie ließ sich neben dem Mann auf die Knie fallen und legte ihm eine Hand auf die Wange. "Er ist noch warm. Wenn ich mich richtig erinnere was ich über die Algor mortis gelesen habe, dann ist er noch nicht lange tot"

Noch bevor Selina ihre Ausführung beenden konnte, war Xander bereits zur Treppe gestürmt. Wie von selbst trugen die Füße des Footballspielers ihn herauf. Zu der Zimmertür, die er so lange nicht mehr geöffnet hatte.

Sie stand offen und gab einen grausamen Anblick preis. Lydia Conner lag in einer Lache aus Blut. Ihre wunderschönen Augen hatte sie geschlossen und ihre Haare fielen fliesend über den kalte Parkettboden. Ihr weißes Nachthemd wurde von roten Sprenkeln verziert und ihre eben Haut war kalkweiß. Wie ein Engel lag sie da. Friedlich, als würde sie schlafen.

Der Raum begann sich um Xander zu drehen und er konnte merken, wie seine Beine nachgaben. Mit letzter Kraft krallte sich der Junge an dem hölzernem Türrahmen fest. Er konnte spüren wie sich sein Margen umdrehte, doch er schluckte die Übelkeit herunter.

"Aus dem Weg!" Unsanft schubste ihn jemand zur Seite. Es war Sel, die in den Raum stürmte und sich neben Lydia kniete. Mit ihren schlanken Fingern umfasste sie das Handgelenk der Cheerleaderin. Ihre roten Haare fielen ihr in ihr Gesicht, doch Xander konnte die Tränen in ihren Augen schimmern sehen.

Mit einem erleichtertem Seufzer drehte sie sich zu ihm um, doch die Anspannung war noch immer nicht von ihr abgefallen. "Xander, sie hat Puls! Sehr schwach, aber sie lebt!" Dann beugte sie sich über den Mund der Blondine. Dieser war leicht geöffnet, doch sie schien zu atmen.

Xander wollte etwas sagen. Er wollte zu Sel gehen und ihr helfen, doch er konnte nicht. Noch immer schien sich alles um ihn in rasanter Geschwindigkeit zu drehen. Aus seinem Gesicht war jegliche Farbe gewichen. Noch immer hatte er den Türrahmen fest im Griff. Als wäre dieser das einzige, was ihn noch halten konnte.

Er konnte nur zu dem Mädchen starren, dass gerade seiner ersten großen Liebe das leben retten wollte. Und das, nach allem was sie ihr angetan hatte. Nach der Hölle, durch die Lydia sie hat gehen lassen. Nach all dem Leid sah die Rothaarige nun mit Tränen auf sie hinab und kämpfte um ihr Leben.

"Bleib bei uns Lyd. Bitte halte durch!", flehte Selina. Sie hatte ihren Schal abgewickelt und drückte ihn auf die blutenden Wunde an Lydias Hüfte.

Erst als schwere Schritte auf der Treppe zu hören waren löste Xander sich aus seiner Starre. Zwei Uniformierte Männer kamen auf ihn zu und schoben ihn unsanft zur Seite. So wie Sel es vor wenigen Minuten noch gemacht hatte. Nur mit eindeutig mehr Kraft.
Einer von ihnen hatte eine große rote Tasche geschultert und sah ernst zu Selina: "Ich bin der Notarzt! Wie sieht es aus?"

"Sie hat viel Blut verloren und einen schwachen Puls. Sie atmet selbstständig und war eben kurz bei Bewusstsein", erklärte Selina als sie aufstand und den Sanitätern platz machte. Ihre Stimme war ruhig, doch ihr ganzer Körper zitterte. Der Notarzt nickte verstehend: "Ich bitte euch Beide darum jetzt das Zimmer zu verlassen. Der Scheriff wird in kürze eintreffen und mit euch reden. Lasst euch unten von den eintreffenden Sanitätern untersuchen!"

Die Rothaarige nickte steif und wankte zur Tür. Sofort stand Xander neben ihr und legte ihr einen Arm um die Schulter. Ihr kleiner zierlicher Körper schien mit einem mal in sich zusammenzufallen. Doch Xander hielt sie. Er hielt sie fest, während alles um sie zu zerfallen begann.

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Ich wünsche allen ein frohes neues Jahr🤍

LG Lexi

Save the GameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt