7. Kufen auf Eis

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Eingepackt in eine dicke, schwarze Winterjacke, verließ Sel das Haus. Neal war voraus gegangen und lehnte bereits an dem Sportwagen, der in der Einfahrt der Tompsons stand.

Einen Augenblick blieb Selina auf der Veranda stehen und betrachtete diesen Anblick mit einem Hauch von Nostalgie.

Es waren einige Monate vergangen, seit dieses Auto mit ihr zum Bahnhof von West River gefahren war.
Die letzte Fahrt, die er und sein rechtmäßiger Besitzer gemacht hatten.

Jetzt stand er da, als wären er und sein geliebter Sportwagen nie getrennt gewesen. Als gehörten sie einfach zusammen.

Neal grinste wie ein kleiner Junge, als Sel die Treppen hinunter kam und ihm den Autoschlüssel entgegenstreckte. "Es ist deiner. Ich sehe doch wie sehr du ihn vermisst hast. Vermutlich mehr als Mark oder mich. Komm, fahr du."

Sein Grinsen wurde noch breiter, als er den Schlüssel in die Hand nahm und das Knöpfchen betätigte, das den Wagen öffnete. Es blinkte auf und das Geräusch der Entriegelung war zu hören.

Sofort öffnete Neal die Fahrertür und ließ sich auf den Sitz nieder.
Liebevoll strich er über das rabenschwarze Lenkrad und tätschelte den Schaltknüppel. "Hast du mich vermisst Baby?"

Selina verdrehte die Augen, als sie sich auf den Beifahrersitz sinken ließ. Trotz der Monate hatte das Auto nie Neals persönlichen Geruch verloren. Umso schöner war es, sich zum Fahrersitz umzudrehen und sein vertrautes Gesicht zu sehen.

.

Die Eishalle von West River war wie leer gefegt. Wie der Rest der Stadt. Das Geräusch von Kufen auf dem Eis wurde nur von der Musik aus den Lautsprechern übertönt.

Alexa King schlitterte über das Feld, als habe sie nie etwas anderes gemacht. Sie drehte sich auf ihre Schuhen und ihre braunen Haare wirbelten durch die kalte Winterluft.

"Natürlich kann sie das", brummte Mark, als er sich neben Selina auf die unteren Ränge der Tribüne setzte.

Normalerweise saßen auf dieser einzeln Leute, die heiße Schokolade tranken und die Läufer beobachten. Doch auch das war nicht der Fall.

Maya, die auf der anderen Seite neben Selina saß, lachte: "Was kann Alexa fucking King eigentlich nicht?"

Sel kicherte leise und ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen.
Neal und Marco standen am Rand der Eisbahn und hielten sich an der Reling fest.
Alexa flitzte über die spiegelnde Oberfläche, Mark watschelte mit den Schlittschuhen zum Eingang der Bahn und Maya lehnte sich neben ihr zurück.

Doch ihr Blick blieb an Xander hängen.

Der Footballstar der High School saß auf der anderen Seite der Tribüne und sah auf seine Hände.

Seit Selina und Neal die Halle betreten hatten wich er schon ihren Blicken aus und in ihrer Brust bildete sich ein fester Knoten.

So viel Kälte hatte sie noch nie bei Xander gespürt.
Nicht einmal, als er sie auf dem Halloweenball verlassen hatte. Und auch nicht nachdem sie ihn im Schulflur hatte stehen lassen.

Damals hatte sie ihn als Monster betitelt, doch er war immer noch gut zu ihr.

Jetzt ließ er sie allein und versank in seiner eigenen Dunkelheit.

"Ey! Lass das!", quietschte Mark und erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie löste ihren Blick von X und sah zu ihrem besten Freund.

Neal hatte ihn auf Eis und eng an sich herangezogen. Das Gesicht des schlanken Jungens hielt er in seinen behandschuhten Händen, als er ihre Lippen vereinte.

Sofort erwiderte Mark den Kuss seines Freundes und schlang seine Arme um seinen Nacken.
Nicht nur um ihn näher an sich heranzuziehen, sondern auch um nicht den Halt zu verlieren.

Mark bewegte sich auf Eis wie ein Rehkitz.
Doch Neal hielt ihn fest und würde ihn nicht fallen lassen. So viel war sicher.

Die beiden hatten so viel durchgemacht und waren doch immer Glücklich, wenn sie einander hatten.
Als haben sie all das, was vorher war vergessen.
Als hätte Mark vergessen das Neal ihn jahrelang das Leben zur Hölle gemacht hatte. Und Neal, dass seine Eltern ihn für diese Beziehung hassten.

"Ich liebe dich", sagte Neal, als er sich von Mark gelöst hatte. Noch immer ließ er das Gesicht seines Freundes nicht los und sah in seine klaren grüngrauen Augen. "Und ich liebe dich."

"Wenn die so weiter machen, dann kotz ich aufs Eis", lachte Alex, als sie mit kreischenden Kufen neben Selina zum Stehen kam. Sie lehnte sich gegen die Umrandung und streckte Selina frech die Zunge heraus. Ihre brauen Haare hatte sie zu zwei dicken Zöpfen gebunden, die unter ihren weißen Pudelmütze heraushingen.

"Dem schließ ich mich an", lachte Maya. Auch sie lief mit einer spielerischen Leichtigkeit über das Eis. Sie drehte sich auf der Stelle und hielt neben Alex, "Wollt ihr Wurzeln schlagen, oder wollen wir endlich laufen?"

Das ließ Alexa sich nicht zweimal sagen. Sie stieß sich von der Umrandung ab und hechtete davon. Maya zögerte nicht lange und folgte ihr.

Selina, die sich noch immer an der Umrandung festkrallte sah den beiden Mädchen hinterher. "Ich warte dann einmal hier", murmelte Selina.

Auch Neal und Mark liefen mittlerweile ihre Bahnen.
Auch wenn Neal eher damit beschäftigt war dafür zu sorgen, dass Mark nicht von den Füßen gerissen wurde.

Er hatte ihn an den Händen gefasst und fuhr Rückwerts, damit Bishop vorwärts fahren lernen konnte.

"Dir geht es dreckig, oder?" Marco Riveras Stimme ließ sie zusammenzucken.
Der blonde Footballspieler stand direkt neben ihr und strich sich seine fingerlangen Haare aus dem Gesicht.

Ertappt sah Selina zu ihm auf: "Was genau meinst du?"

Marco antwortete nicht direkt sondern sah zu Xander.
Noch immer saß der Junge auf einer der Bänke und starrte vor sich hin. "Ihm geht es mindestens genauso dreckig wie dir. Wusstest du das Lydias Mutter jeglichen Kontakt zu ihrer Tochter verboten hat?"

Selina schüttelte den Kopf: "Ich wusste nicht einmal das sie wieder in West River ist. Xander hat mal erzählt, dass sie Lydia und ihren Vater verlassen hat."

"Nun der Drachen ist seit einigen Tagen wieder da und plant die Beerdigung ihres Ex-Mannes. Naja mein Dad meint, sie plant eher wie man möglichst viel Geld in kürzester Zeit ausgeben kann."

"Ist die Frau wirklich so ein Teufel, wie alle sagen?", fragte die Rothaarige neugierig.
Ihren Blick hatte sie noch immer nicht von Xander gelöst.

Sie selbst kannte Constanze Conner nicht persönlich. Sie hatte sie vielleicht ein bis zweimal gesehen. Doch sie kannte genug Geschichten über diese Frau um zu wissen, dass Marco nicht übertrieb.

Ihr Gegenüber nickte steif. Er hatte die Zähne zusammengebissen und sah nun seinerseits zu Xander hoch.

Wenn Constanze zurück war, dann war der wahrhaftige Teufel in die Stadt eingekehrt.

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