19. Ein kleiner Roadtrip

242 14 2
                                    

"Also warum genau hast du mich noch einmal an einem Samstag um sieben Uhr aus dem Bett geworfen? Um mit mir aufs Land raus zu fahren? Ich dachte das wäre ein Codewort für um die Ecke bringen. Du weißt schon: Auf eine Farm aufm Land. Die Farm im Norden..."

Maya Harper sah ihre beste Freundin skeptisch an, während sie sich das Studentenfutter in den Mund schob.

Ihr einziges Frühstück an diesem Tag. Und natürlich der Kaffee, den Lucy ihnen in eine Thermoskanne gefüllt hatte, als sie um halb Acht in ihrem Diner aufgeschlagen waren.

Sel, die ihren Blick auf die Straße geheftet hatte, seufzte herzlich: "Neal hat mir diese Adresse geschickt. Es besteht die Chance das diese Frau dafür sorgen kann, dass er nach West River zurückkehren darf."

"Und wer soll das sein? Eine Voodoo-Hexe, die Jinjin Rodriguez verhexen kann? Vielleicht kann sie ihr ja ein Gewissen zaubern. Und dir etwas Mitgefühl, damit du deine Freunde nicht mehr zu so scheußliche Uhrzeiten aus den Federn scheuchst."

Mayas Stimmung glich wieder dem eines aufgewühlten Wespennestes und Sel erkannte sofort, dass sie sich auf einem Feld voll Tretminen bewegte. So gut kannte sie ihre beste Freund mittlerweile.

Sie sah noch immer nicht von der verschneiten Straße. Der Neuschnee glitzerte im Licht der Sonne, die sich Langsam über den Rand der dichten Wälder kämpfte.

"Es handelt sich hier um keine Hexe", begann Selina zu erklären, "Die Frau ist niemand geringeres als Mrs Rodriguez Senior. Die Mutter von Neals Vater und die einzige, die ihren Sohn und die Ausgeburt der Hölle, die sich Neals Mutter schimpft, zurecht zu weisen kann."

Die junge Spanierin nickte langsam: "Das verstehe ich. Doch warum um diese gottesfrühe Uhrzeit?"

"Aus dem einfachen Grund, dass wir eineinhalb Stunden hin und dann wider zurückfahren. Und sie haben für den Abend wieder Neuschnee angekündigt. Neal hat mir gesagt, dass die Straßen selten geräumt werden und sein dusseliger Sportwagen ist nicht gerade dafür geeignet."

"Das erklärt zumindest warum wir in dem geliebten Pickup deines Dads sitzen und nicht in dem Sportwagen dieses Sportler-Idiotens."

Ein erneuter Seufzer verließ Sels Kehle. Sie wusste ja das Maya ein schrecklicher Morgenmuffel war, doch heute war sie noch schlimmer als sonst. Als habe sie kaum geschlafen.

Schon seit Tagen prangten diese düsteren Augenringe unter ihren Augen, wie Schluchten. Ihre Schwarzen Haare, die sonst immer in fließenden Locken über ihre braunen Schultern fielen, waren unordentlich zusammengebunden und sie trug ein T-Shirt, welches eindeutig nicht ihres war.

Maya würde niemals ein Shirt tragen, auf dem Werbung für Motoradmarken gedruckt war. Schon garnicht zwei Größen zu groß.

Wenn Selina es nicht besser wüsste würde sie meinen, dass Maya einen Freund hätte. Doch sie wusste es besser. Maya Harper hatte gar keine Zeit für einen Freund. Sie lebte förmlich für die Schule und in der Schule.

Was bei ihr jedoch nicht nur freiwillig war. Ihr Vater war Staatsanwalt und ihre Mutter eine hoch angesehene Architektin. Sie legten viel Wert auf die Noten ihrer einzigen Tochter.

"Neal wollte das ich dich mitnehme", nahm Sel ihr Gespräch wieder auf, "Weil wir jemanden von etwas überzeugen müssen und niemand ist dreister als du. Ich brauche jemanden, der sich nicht aufhalten lässt, bis er bekommt was er will. Und du bist nun mal die Beste."

Als hätte Sel mit ihren Worten ins Schwarze getroffen richtete sich Maya auf ihrem Sitz auf und warf ihre dunklen Haare über die gut gebräunten Schultern zurück. Ein selbstsicheres Grinsen schmückte ihre roséfarbenen Lippen und in ihren dunkelbraunen Augen war dieser Funken.

Die beiden kannten sich lange genug und so wusste Sel genau was sie sagen musste um Mayas Interesse zu wecken. Das sie damit Mark halfen war für die junge Spanierin nur ein positiver Nebeneffekt.

.

Der alte Pickup bog auf eine kleine Seitenstraße, die eher einem gut gepflasterten Feldweg glich. Die kahlen Bäume standen, in gleichem Abstand am Rande des Weges Spalier. Fein säuberlich und ordentlich, als habe man sie so gepflanzt.

"Hier könnte man tot über den Zaunpfahl hängen und es würde niemand bemerken", stellte Maya nüchtern fest, als sie die Thermoskanne wieder zuschraubte und sie in der Halterung abstellte. So langsam schien sie wach zu werden. Oder zumindest ihren schlechten Humor wiedergefunden.

Auf Sels Lippen schlich sich ein kleines Lächeln. Sie löste ihren Blick von der verschneiten Landschaft und sah zu ihrer besten Freundin hinüber. Beinahe war es wieder wie früher. Bevor diese große Lüge sie fast getrennt hätte. Bevor Lydia fast gestorben war und alles sich zu verändern schien.

Noch immer hatte Selina das Gefühl, als würden sie und ihre beste Freundin Meilen trennen. Als würde noch immer unausgesprochene Sätze zwischen ihnen stehen.

Doch dieses mal schien nicht Selina diejenige mit den Geheimnissen zu sein. Mark hatte ihr geraten ihre Befürchtungen herunterzuschlucken, bevor sie einen Streit von Zaum brechen. Sie wussten beide wie schwierig Maya werden konnte, wenn sie das Gefühl hatte beschuldigt zu werden.

Sobald sich die junge Spanierin in die Enge getrieben fühlte dann wurde sie zu einer Furie. Wie ein wildes Tier, das sich verteidigen musste.

Und Maya konnte sich ziemlich gut verteidigen. Sie war schlagfertig und Sel war sich ziemlich sicher dass ihre beste Freundin nicht nur mit Worten treffen konnte. Sie wirkte zwar immer so klein und hilflos, doch konnte dies auch nur eine Tarnung sein.

Selina kannte Maya seit dem Kindergarten und doch hatte sie manchmal das Gefühl ihre älteste Freundin nicht richtig zu kennen.

"Gibt es etwas was du mir sagen willst?" Maya musterte ihre beste Freundin skeptisch. Sie hatte ihre dichten Augenbrauen hochgezogen und ihren Kopf leicht schief.

Sel wollte gerade etwas erwidern, als ein riesiges Anwesen am Horizont auftauchte. Türme, die einem Schloss ähnelten, streckten sich imposant in Richtung Himmel und die Fassade aus alten roten Klinkersteinen verschlug ihr die Sprache. Hohe Mauern umrahmten das Grundstück und ein großes, goldene Tor versperrte die Zufahrt zum Haus.

"Du hast nie erwähnt wie reich Neals Familie eigentlich ist! Halleluja, Santa Madre María y Jesús!" Maya fielen beinahe die Augen aus, als sie das Haus anstarrte.

Immer noch sprachlos schüttelte Selina den Kopf: "Ich hatte ja keine Ahnung..."

Save the GameWo Geschichten leben. Entdecke jetzt