XIII - Die Stadt unter der Stadt

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Jahr 351 nach dem Götterkrieg, Sommer

Merun, Hauptstadt des Kaiserreichs


„Du machst dir zu viele Sorgen. Niemand hat mich gesehen", meinte Iora unter der Kapuze mit einem Grinsen. Mehr als ihren Mund konnte Giræsea nicht sehen. „Und es war ja nicht umsonst." Die Elfe hielt ihr ein schweres, in Leder gebundenes Buch hin. „Es strahlt förmlich. Oh, die Geheimnisse, die ich darin finden werde." Die jüngere Frau drückte sich das Buch an die Brust. „Ich wünschte, du könntest es auch sehen."

Die Ork verdrehte die Augen. Das war jetzt das zweite Mal, seitdem sie in Merun waren, dass sie eingebrochen war. Aber es war nutzlos, mit ihr darüber zu diskutieren. Wie der alte Zwerg gesagt hatte: es war ihr Fluch. „Dann hoffe ich, dass es dich diesmal etwas länger beschäftigt, als das letzte."

Die Elfe drehte sich um Kreis und ließ sich rückwärts auf einen Stuhl fallen, bevor sie sich die Kapuze vom Kopf strich. „Gira, das ist vielleicht das einzige Buch, in dem ich etwas finden kann, das Thorgest noch nicht weiß. Was meinst du, wie er schaut, wenn ich ihm etwas neues erzähle."

Bei dem Gedanken musste auch Giræsea lachen. Sie stellte den Stiefel, den sie eben geputzt hatte auf den Boden und zog ihn an. Es sollte niemand sagen können, dass sie nicht zumindest in sauberer Rüstung umherlief. Nun mit beiden Stiefeln, stand sie auf und warf sich ihren Waffenrock über. Als nächstes griff sie sich ihren Harnisch und zog ihn darüber.

„Iora, könntest du...", begann sie ihren Satz, doch die Elfe war schon auf den Beinen und an ihrer Seite. „Natürlich." Und mit flinken Fingern verschloss sie die Schnallen. Sie reichte ihr gerade mal bis zum Kinn.

„Brauchst du damit auch noch Hilfe?", fragte Iora gespielt genervt, als sie den Schulterpanzer vom Tisch nahm und hochhielt.
„Nur, wenn du gerade nichts besseres zu tun hast." Die Ork grinste.

„Na dann halt mal still."

Sie legte Giræsea den Panzer auf die rechte Schulter und verschloss den ersten Riemen vor ihrer Brust. Den zweiten verschloss sie auf der Innenseite ihres Oberarms. Die Kriegerin bewegte ihre Schulter und ihren Arm, bis der Panzer gut saß.

„Bist du wirklich sicher, dass er da unten ist? Was, wenn wir uns irren?" Die Elfe klang ernsthaft besorgt. Ein harter Schnitt in ihrer Stimmung. Und auch Giræsea war der Gedanke schon gekommen: Was, wenn er es nicht war oder er es zwar war, aber die Innschrift nicht lesen konnte oder die Schatulle nicht öffnen konnte? Was dann? Dann waren sie umsonst bis Merun gereist und hatten keinen weiteren Anhaltspunkt mehr. Sie mussten wieder bei Null beginnen.

„Er muss es sein. Alles spricht dafür. Aber bald werden wir es wissen." Sie versuchte zuversichtlich zu klingen. Doch sie wusste nicht, wie gut es ihr gelang. „Erstmal muss ich dort hinunter und ihn finden. Danach sehen wir weiter."

„Wird Thorgest dich begleiten?"

„Nein, ich denke, er wird mit dir üben wollen. Außerdem wolltest du ihm doch etwas zeigen, dass er noch nicht weiß."

Die Elfe legte ihr eine Hand auf den Arm und sah ihr in die Augen. „Ich will nicht, dass du da unten verschwindest."

„Iora, mir wird nichts geschehen." Sie legte ihr die Hand an die Wange, die Stirn gegen ihr und schloss die Augen. Traummutter, sie wollte sich nicht ausmalen, was geschehen wäre, wenn sie nicht von ihrer Jagd zurückgekehrt wäre. Sie wusste genau, wie sie sich in diesem Augenblick fühlte. Und natürlich wollte sie nicht so tief in die Eingeweide von Merun absteigen, doch es blieb ihr nichts anderes übrig. „Ich werde zurückkommen. Ich verspreche es."

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