Jahr 352 nach dem Götterkrieg, Frühling
Qarahad, Sahadye, Titanengrab
"Zehntausend Frauen und Männer. Stolze Zwerge. Die besten, die unser goldenes Reich zu bieten hat. Ihr seid dem Ruf eures Königs gefolgt. Zur Verteidigung des selben Reiches, das Generationen vor uns dem Fels abgerungen haben.
Vor unseren Toren steht ein Feind, der unsere Existenz in Frage stellen will! Ein Feind, wie wir ihn seit dem Götterkrieg nicht mehr gesehen haben.
Doch wie bei der Schlacht bei Tel Kirra werden wir keinen Schritt zurückweichen!
Wie in Al-Mahr wird der Feind an unseren Schilden zerschellen!
Wir sind die Kinder Nomdatirs! Wir sind aus ewigem Eisen geschmiedet! In uns lodert das Feuer seiner Schmiede. Jetzt heißer denn je zuvor! Wir sind das lebende Zeugnis seiner Stärke und seiner Entschlossenheit!
Wir sind der Hammer, der mit unbändiger Kraft zuschlägt!
Wir sind der Amboss, auf dem der Feind zerschmettert wird!
Wir sind das Bollwerk, das das Reich vor allen Bedrohungen schützt!
An unserem Schildwall bricht der Sturm!
Und das wird auch dieser Feind lernen. Es macht keinen Unterschied, ob er aus Fleisch und Blut ist oder aus den tiefsten Höllen selbst hervorgekrochen ist!
Was zählt, ist einzig unsere unnachgiebige Entschlossenheit, unser unzerbrechlicher Geist und unsere unerschütterliche Einigkeit!
Auf unseren Schultern lastet die Hoffnung aller Reiche! Wir sind die erste Linie! Und wir werden nicht fallen!
Zeigen wir diesen Weicheiern im Osten, wie man den Feind aufhält."
Naadiya Taheri, General der Vereinten Armee der Zwergenstädte und Schwester des Königs Sattar Taheri, trat vom Spiegel zurück.
Sie überlegte kurz.
"Nein, das letzte kann ich nicht sagen." Sie ging zu ihrem Schreibtisch und strich die Zeile durch.
"Und das...?" Sie besah sich die Amboss-Zeile. Sie strich sie ebenfalls durch und ersetzte sie durch 'Wir sind der Amboss, der unter der Last aller Widrigkeiten ungebrochen bleibt!'.
Und genau genommen war die Schlacht von Tel Kirra erst ein gutes Stück nach dem Götterkrieg, doch das würde sicher niemanden stören. Sollte sie vielleicht eine dritte Schlacht erwähnen? At-Tumr? Nein. Wahrscheinlich würde es zu viel.
Warum musste sie überhaupt diese Rede halten? Sollte doch ihr Bruder; der strahlende Sohn! Diese Art Sache war sein Forte. Ihr gehörte das Schlachtfeld. Hammer und Schild. Und sie war froh, dass er sich aus diesen Sachen heraushielt. Warum also musste sie sich jetzt vor all diese Zwerge stellen und ihnen den Kriegseifer einflößen?
Aber was sich nicht ändern ließ, ließ sich nicht ändern. Und zum Glück konnte sie es auf eine kurze Rede herunterhandeln. Also stellte sie sich wieder vor den Spiegel und übte ihre liebste Stelle.
"Wir sind der Hammer, der mit unbändiger Kraft zuschlägt!" Sie schlug sich mit der Faust gegen die Brust.
"Wir sind der Amboss, der unter der Last aller Widrigkeiten ungebrochen bleibt!" Wieder.
"Wir sind das Bollwerk, das das Reich vor allen Bedrohungen schützt!" Und wieder.
"An unserem Schildwall bricht der Sturm!" Ein letztes Mal. Sie würde es mit ihrer Garde üben. Es würde sicher ein gutes Bild abgeben, wenn sie mit ihren Waffen gegen ihre Schilde schlugen.
"Und das wird auch dieser Feind lernen. Es macht keinen Unterschied, ob er aus Fleisch und Blut ist oder aus den tiefsten Höllen selbst hervorgekrochen ist!
Was zählt, ist einzig unsere unnachgiebige Entschlossenheit, unser unzerbrechlicher Geist und unsere unerschütterliche Einigkeit!
Auf unseren Schultern lastet die Hoffnung aller Reiche! Wir sind die erste Linie! Und wir werden nicht fallen!"
Vielleicht noch abschließende Worte?
"Für König und Vaterland! Für den Kontinent!"
Auf sowas standen die Leute, oder? Sie fühlte sich gut. Damit würde sich das ganze gut über die Bühne bringen. Und wenn es nicht reichte, sollte halt ihr Bruder noch eine Rede halten.
"Willst du das wirklich so machen?" Die Stimme kam vom Fenster und war bis vor kurzem noch nicht dort gewesen.
Sie drehte sich nicht dorthin um. "Solange du keinen besseren Vorschlag hast."
"Mmmm", die Stimme klang gespielt nachdenklich, "deine raue... militärische Art wird es schon verkaufen. Du wirst dich ja in voller Rüstung dort oben hinstellen, oder? Und mit deiner Garde - wie viele sind dir momentan zugeteilt? Sechs? - wird das sicher ein ganz imposanter Auftritt."
"Und einer, auf den ich wenig Lust habe."
Die Person, zu der die Stimme gehörte, sprang vom Fenstersims und ging durch den Raum. In ihrem Spiegel erkannte Naadiya Tertius. Er nahm sich eine Feige aus einer Schüssel.
"Du bist die goldene Tochter. General der Vereinten Armee. Es gehört jetzt zu deinen Aufgaben, die Truppen motivieren. Zu..." Er wedelte mit der Hand. "...inspirieren."
"Und mein Bruder würde es so viel besser machen." Eine Tatsache, von der sie sich dennoch nicht unterkriegen lassen wollte.
"Sattar? Er kann vielleicht auf einem Ball eine wunderschöne, blumige Rede über Einigkeit und den Ruhm des Reiches vor anderen Edelleuten halten, aber mit den Truppen kann er nicht umgehen. Dir würde ich zumindest abkaufen, dass du an meiner Seite zur Front marschierst."
"Das werde ich! Nun... Nicht an deiner. Aber an ihrer."
Er lachte. "Oh, du glaubst das wirklich? Das ist süß. Aber nein. Die Zeiten sind für dich vorbei. Mit Sattars Krönung seid ihr nun die wichtigste aller Familien. Du gehst nicht zur Front, meine Liebe. Was meinst du denn, warum du aus den Unsterblichen abgezogen wurdest?"
Sie war zumindest davon ausgegangen, dass sie als General zur Front reisen würde. Nicht hier in Qarahad über Karten brüten und mit anderen Generälen Truppenbewegungen diskutieren. Es war ihr Leben. Alles, was sie kannte.
"Ich dachte, das wäre dir klar."
"Nein... Sollte es wohl. Aber nein. Nicht bis jetzt. Was bin ich dann jetzt?"
"Immer noch General der Vereinten Armee. Nur wirst du Qarahad wahrscheinlich so schnell nicht verlassen."
"Ich hoffe, er weiß, dass ich ihm dafür die Nase brechen muss."
Stille.
"Die Stelle mit Hammer und Amboss finde ich gut." Es war ehrlich. "Es wird den Leuten gefallen."
Sie wusste bereits, dass es gut war. Nein. Sie wollte wütend sein. Das war nicht, wie die Dinge laufen sollten.
"Ich bin sauer. Stinksauer. Da helfen Komplimente zu meiner exzellenten Rede auch nichts."
"Sieben von zehn. Aber ich überbringe hier nur die schlechten Botschaften, die du selbst schon längst wissen solltest. Komm. Vergiss das Schlachtfeld. Vergiss diesen ganzen Mist. Genieße dein neues Leben. Ich beneide dich darum."
Sie glaubte nicht, dass sie das konnte. Sie war nicht für den königlichen Hof gemacht. Doch glaubte sie ihm jedes Wort. Der Avian würde es genießen.
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Weltentod
FantasyDie Welt liegt im Sterben. Die Bäume verdorren, der Boden wird unfruchtbar und die Toten weigern sich, tot zu bleiben. Wie eine Krankheit breitet es sich vom Westen her aus. Aus dem Eisenwald heraus und über die zentralen Ebenen und die Flusslande. ...