Jahr 349 nach dem Götterkrieg, Sommer
Titanengrab, Zwergenreich
Der Boden unter ihr war hart. Sie wollte sich auf ihren Rücken drehen, doch es gelang ihr nicht. Ihre Glieder gehorchten ihr noch immer nicht. Ihre Augen, könnte sie sie öffnen? Nein. So blieb sie in der Dunkelheit. Doch sie war nicht allein hier. Ein schwaches Licht. Ganz nah und doch kaum merklich. Ein Leuchten, dass sich in sie eingebrannt hatte und von dem sie gehofft hatte, die Dunkelheit könnte sie davor bewahren. Doch es war ihr bis hierher gefolgt, so tief in ihr. Es hatte sich so tief in sie gefressen.
Das Zeichen der Alten war deutlich vor ihrem inneren Auge, auch wenn es nur schwach zu erkennen war. Es war unübersehbar. Sie war nun gebunden. Hatte sie davon gelesen? Nein. Sie erinnerte sich nicht, in einem der Bücher ihres Meisters etwas davon gesehen zu haben. Von ihnen hatte er ihr immer nur selbst berichtet. Es gab keine schriftlichen Quellen. Keine, die sie je gesehen hatte. Dennoch, sie wusste, was es war. Und wie sie es erhalten hatte. Wie es ihr eingebrannt wurde. Und die Konsequenzen, die es mit sich bringen würde.
Wieso hat er mich nicht gewarnt? Wieso hat er mich so betrogen?
Sie verharrte eine Ewigkeit in dieser stillen Dunkelheit in sich, gebannt von dem Symbol vor ihr. Sie verabscheute es, doch sie konnte sich nicht abwenden. Sie musste fort von hier. Sie befahl sich, in die Welt zurückzukehren, das Zeichen hinter sich zu lassen, aus der Dunkelheit zu treten. Erst leise, doch schließlich schrie sie sich an. Lauter und lauter. Sie schrie, bis ihre Stimme versagte und ihr Hals eine offene Wunde war.
Der erste Schritt fiel ihr schwer. Es war, als müsste sie erst wieder lernen,zu gehen. Ihr Körper würde ihr gehorchen, doch sie wusste nicht, welche Befehle sie geben musste. Der zweite Schritt fühlte sich an, als würde sie durch Morast waten. Der Widerstand nicht in ihr, sondern in der Dunkelheit um sie. Doch mit jedem weiteren fiel es ihr leichter und Stück für Stück gewann sie die Kontrolle über sich selbst zurück.
Und wieder lag Iora auf dem harten Boden. Doch diesmal gehorchte ihr Körper ihr und es gelang ihr, ihre Augen zu öffnen. Sie war noch immer auf dieser Säule im Titanengrab. Im Staub und Dreck und mit dem grellen Himmel über ihr. Sie roch Asche, Schweiß, Blut und Erbrochenes, dessen Geschmack ihr ebenfalls noch immer auf der Zunge hing. Eine Mischung, bei der sie sich fast wieder übergeben hätte.
Mühsam setzte sie sich auf und ließ ihren Blick über den Ort schweifen, der sich nun ebenfalls für immer in ihre Erinnerung brennen würde. Die Feuerschalen waren ausgebrannt. In der Schale vor ihr lag nur noch die Asche der Kräuter, die ihr vor einigen Stunden noch den Geist benebelt hatten. Der Stein der Säule bröckelte noch immer und sie fürchtete fast, sie würde zur Gänze einstürzen.
Von ihrem Meister fand sie keine Spur.
Müde sah Iora an sich herab. Bis auf ihre Bruche saß sie nackt auf diesem Felsen, die Reste ihrer Tunika zerrissen und zum Teil angesengt auf dem Boden neben ihr. In ihren metallenen Rippen spiegelte sich der Sonnenaufgang wider. Verschwommen und verzerrt, rot glühend. Ein neuer Tag, der noch nichts davon wusste, was hier in der Nacht geschehen war.
Sie tat einen tiefen Atemzug. Dann noch einen. Und noch einen.
Sie konnte nicht zurückgehen. Sie... Wieso? Wieso hat er nicht gesagt, was passieren würde? Was er tun würde? Wieso hat er meine Seele so leichtfertig verkauft? ... Wieso habe ich zugestimmt?
Tränen liefen ihr über die Wangen. Der Mann, der sie von der Straße geholt hatte, ihr Schutz gewährt hatte, sie gelehrt hatte.
Er hatte sie erwischt, als sie ihm in Ardport den Beutel stehlen wollte. Sie hatte gedacht, sie wäre davongekommen. War in einer Seitengasse verschwunden, auf ein Hausdach geklettert und von dort ein Haus weiter in ein verlassenes Dachgeschoss eingestiegen, dass ihr hin und wieder als Versteck diente. Doch genau dort wartete er schon auf sie und bat sie freundlich, ihm wieder zu geben, was sie gestohlen hatte. Hatte sie gefragt, ob das ihr Leben sein sollte und was sie sich davon erhoffte. Als sie meinte, dass sie keine Wahl hätte, erwiderte er, dass er ihr eine geben würde. Seit diesem Tag war sie seine Schülerin gewesen.
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Weltentod
FantasiDie Welt liegt im Sterben. Die Bäume verdorren, der Boden wird unfruchtbar und die Toten weigern sich, tot zu bleiben. Wie eine Krankheit breitet es sich vom Westen her aus. Aus dem Eisenwald heraus und über die zentralen Ebenen und die Flusslande. ...