XXXIII - Bienen

10 2 0
                                    

Jahr 349 nach dem Götterkrieg, Spätsommer

Nahe Ardport, Titanengrab


Der alte Magier erlag seinem Hustenanfall. Die Symptome waren schlimmer geworden in diesen letzten Wochen. Eine Biene landete auf einer Blüte neben seiner Hand und er gab sich beste Mühe, sie nicht zu stören, als er sich wieder aufrichtete. Er schmeckte bitteren Schleim und schluckte ihn hinunter. Es wäre nicht rechtens der Königin gegenüber, würde er ihn auf den Boden spucken.

Er trat näher an den Stock heran. Dieser stand unter dem einzigen Baum, der stur genug war, hier zu wachsen.

"Ich werde nicht mehr lange auf dieser Welt weilen. Muss doch auch ein ewiges Leben einmal enden. Ihr habt mir in dieser langen Zeit gut gedient."

Und ein ewiges Leben war es gewesen. Er setzte sich in den Schatten des Baumes und beobachtete nichts bestimmtes. Er würde diese Welt vermissen. Jahrhunderte hatte in die Geschicke anderer eingegriffen und sie gelenkt. Und ebenso viele Jahre hatte er sich zurückgezogen und nur mehr beobachtet.

Er hatte gelernt. Oh, wie viel Wissen ließ sich über eine so lange Zeit sammeln? Wie viel davon allein dadurch, dass man die Geschichte der Welt ersterhand miterlebte? Und es war wahr, dass der Sieger die Geschichte schrieb. Er hatte so viele Geschichtsbücher über den Götterkrieg gelesen und alle waren sie lückenhaft oder gar falsch. Natürlich stand die Inquisition am Ende stets als der Retter da. Nichts als ein Orden Fanatiker, der zu viel Macht erlangt hatte.

Und er hatte gelehrt. Acht Schülerinnen und Schüler hatte er gehabt, seitdem er seinen Posten verlassen hatte. Fünf waren nach ihrer Initiation bei ihm geblieben und hatten ihre Lehre fortgesetzt. Keiner von ihnen hatte sein volles Potenzial ausgeschöpft, doch es reichte, um die Alten Götter am Leben zu halten. Die anderen drei... Sie würden ihren Weg finden. Oder hatten ihn gefunden? Karosa dürfte schon seit über hundert Jahren tot sein. Er hatte nie wieder etwas von ihr erfahren. Sie hatte wohl keine großen Spuren in der Welt hinterlassen. Mesed? Bei ihm war er sich nicht sicher. Hoffentlich stimmte nicht, was er gehört hatte, sonst hatte ihn die Inquisition bekommen. Ein Schicksal, das ungeübte Magier leider zu oft ereilte. Die Welt nach dem Götterkrieg war einfach nicht mehr die gleiche.

Heute schien ihm ein besonders melancholischer Tag zu sein. Doch was sollte es? Einem alten Mann sei es vergönnt, Trauer und Freude über ein langes Leben zu empfinden. Und so ließ er seine Gedanken weiter schweifen.

Zu den Freunden, die er verloren hatte. Die alten Torwächter. Iora. Torren. Svafar. Abee. Sechet. Cathal. So viele andere. Die Hälfte von ihnen war sicher schon bei ihren Göttern und von der anderen hatte er auch seit den Kriegen nichts mehr erfahren. Die Welt vor den Kriegen war eine andere und gelegentlich wünschte er sich dorthin zurück. Doch er war auch nicht mehr der Mann, der er damals gewesen war. Zu viel hatte sich in ihm verändert. Zu viel hatte er getan, dass nicht verziehen werden konnte.

Doch damit wollte er sich jetzt nicht beschäftigen. Der Tag war zu schön für Selbstmitleid und so lenkte er seine Gedanken zu besseren Erinnerungen. Sommer im südlichen Tempel. Die Boote auf dem Meer, die er vom Turm aus sehen konnte. Der Obstgarten und Abees Stimme, wenn sie sang. Torren, bevor er sich von ihnen zurückgezogen hatte. Wie er seine Talharpa spielte. Sonnwendfeuer. Als sie sich während ihrer Ausbildung nachts aus dem Tempel nach Osena geschlichen hatten, um Dhadia-Weih zu feiern. An keinem Tag hatten sie im Tempel so gut gegessen, wie in dieser Nacht. Geld hatten sie keines, aber das hatte sie nicht aufgehalten. Nur Issa hätten sie fast erwischt. Götter, er hatte ausgesehen, als würde sein Herz jeden Moment stehen bleiben.

Manchmal vermisste er es, jung zu sein. Dinge zum ersten Mal zu erleben. Nichts in seinem Leben hatte sich je wieder so angefühlt, diese Nacht unter den bunten Laternen in Osena nach Monaten im Tempel.

Und so hing er seinen Erinnerungen noch nach, bis die Sonne langsam hinter ihm unterging und er sich eingestehen musste, dass er noch immer Pflichten zu erfüllen hatte.

Er beglich seine Schuld in Blut und ging zurück in seine Hütte, die nun so unendlich leer erschien, da er sie wieder allein bewohnte. Doch dies war nicht das erste Mal, dass ihn eine Schülerin verließ und er verstand, damit umzugehen. Er hatte nur gehofft, dass seine letzte auch seine größte würde. Eine Macht, die seiner gleichkam. Ein eitler Wunsch, wie er sich eingestehen musste, doch auch er war menschlich und erlag gelegentlich seinen Fehlern. Wo sie jetzt war, wusste er nicht sicher. Es waren ungünstige Zeiten für Elfen auf dieser Seite des Kontinents. Nach Ardport konnte sie nicht. Okrar war ein gutes Stück entfernt und Elfen sicher auch nicht mehr wohlgesonnen. Ihm fiel auf, dass er länger nicht dort gewesen war, und er machte sich eine mentale Notiz, einmal wieder dort vorbei zu schauen. Recht viel mehr gab es hier in der Nähe nicht, daher hatte er sich ja für diese Gegend entschieden. Aber er hatte ihr genug gelehrt; sie würde überleben. Und die Alten würden sie leiten, wohin auch immer sie für richtig hielten.

WeltentodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt