XXII - Der Prophet

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Jahr 351 nach dem Götterkrieg, Sommer

Merun, Hauptstadt des Kaiserreichs


Hinter dieser Tür wartete er also auf sie. Wochen der Suche endeten hier. Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn er nicht helfen konnte.

Nein. Die Traummutter hatte es so gefügt. Sie hatte ihr aufgetragen, die Schatulle zu stehlen und sie hierher zu bringen. Sie musste wissen, zu was er fähig war. Ihr Schüler.

Sie atmete tief durch und klopfte dann mit ihren Knöcheln gegen die Tür.

Schatten teilten das Licht, dass zwischen Tür und Rahmen fiel. Bewegten sich. Und dann öffnete sich die Tür.

Vor ihr stand ein Mann. Ein gutes Stück kleiner als sie. Blondes Haar hing Schulter lang herab und sein Bart war mehr schlecht als recht zusammengebunden.

Er deutete ihr, einzutreten.

"Bitte, bitte. Der Weg war lang genug. Niemand sollte ihn auf sich nehmen."

Hinter ihr schloss er die Tür dann auch wieder.

"Mein Name ist Casidhe. Kann ich Euch Tee anbieten?"

"Giræsea."

Casidhe schritt ihr voran in einen angrenzenden Raum.

Für die gedachten Bewohner, mochte dies Wohl wohl ein recht kleines Haus gewesen sein. Vielleicht ein Tisch, ein paar Stühle. In den Regalen, die in die Wand gehauen waren, Bücher? Geschirr? Andere liebgewonnene Gegenstände?

Anstatt der Pilze, die jetzt hier wild in den Ecken wuchsen und ihr blaues Licht spendeten eine Öllampe oberhalb des Tisches?

Sie versuchte, sich vorzustellen, wie es einst hier ausgesehen haben mochte.

"Nicht gerade ein häufiger Name für eine Ork." er machte eine kurze Pause und schien zu überlegen. "Willkommen in meinem kleinen Reich."

Bücher lagen in verschieden großen Stapeln auf dem Boden herum. Hin und wieder eine Schriftrolle. Lose Pergamente. Und nicht alle davon aus dieser Ära. Einige von ihnen stammten wohl auch aus der Zeit, als diese Stadt ich bewohnt gewesen war. Neben ihnen wirkten die neueren Bücher winzig.

Aus einer Kanne, die auf einem Gitter über Kohlen gestanden hätte goss er heißes Wasser in einen Becher und war anschließend eine Hand voll Blätter hinein. Auf ihr Antwort, ob sie Tee mochte, schien er nicht zu warten.

Was immer sie erwartet hatte, das war es nicht. Jemand in alten, zerrissenen Roben, der vom Ende der Welt predigte, vielleicht. Ein blinder Philosoph, der ihr die Welt erkläre konnte, vielleicht. Aber nicht das.

Er war sauber gekleidet in eine schlichte blaue Robe und Schritt sicher durch die Behausung, die ein deutliches Stück zu groß für ihn war. Er kam ihr eher vor wie ein Priester in einem Tempel, als in Wahnsinniger in einem Erdloch.

Sie nahm den Becher entgegen.

"Ich bin zu Euch gekommen, weil ihr mir helfen könnt. Hoffentlich", lenkte Giræsea die Unterhaltung auf das eigentliche Thema. Sie wollte nicht hier sein; wollte zurück an die Oberfläche. Zurück zu Iora und Thorgest. Es waren nur zwei Tage, doch die Ungewissheit ihrer Rückkehr nagte an ihr.

"Das werden wir gleich herausfinden. Was benötigt Ihr?"

Giræsea ließ den Packen von ihrer Schulter gleiten und stellte ihn auf dem Steinboden ab.

Außer der Schatulle befand sich nicht viel darin. Sie reichte sie Casidhe, der sie entgegen nahm und sofort begann, sie von allen Seiten zu betrachten und die eingelegten Muster zu studieren.

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