LXIV - Geheimnisse und Schuldgefühle

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Jahr 349 nach dem Götterkrieg, Spätsommer

Rúnknǫttr, Titanengrab


Sie blinzelte.

"Das ist jetzt das zweite Mal, dass ich dich zusammenflicke." Thorgest klang besorgt und müde.

"Es tut mir leid." Tat es. Sie schämte sich. Fasste sich an den Hals, erinnerte sich und hob die Decke. Ihr Oberkörper war sauber verbunden, aber mit einem dunklen Fleck über ihrem Bauch.

"Ja, darüber müssen wir nachher auch noch reden." Er hatte es bemerkt. "Ich hatte gehofft, du wüsstest es besser."

Ihr war übel. Aber er hatte unrecht. Sie wusste es nicht besser; sie wollte es. Doch er würde es nicht verstehen. Sie war schon verloren. So hatte sie zumindest die Möglichkeit, etwas für sich herauszuschlagen. Rache zu nehmen. Er war zu gut, um es zu verstehen.

Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen und starrte stattdessen auf ihre Decke.

Er seufzte und es zerrte an der Leere, wo ihre Seele gesessen hatte. Sie schwieg.

"Wie gehts dir?"

Sie antwortete ehrlich. "Nicht toll." Mehr wollte sie aber auch nicht sagen.

"Kann ich dir irgendwas gutes tun?"

"Hast du Tee? Und vielleicht etwas gegen die Schmerzen?"

"Ich bring dir was." Er stand auf von seinem Hocker, hielt ihr die Hand und lächelte sie an. "Ruh dich aus Kind. Wir haben die Abreise erstmal verschoben." Sie nickte. Er ging zur Tür.

Ihr Zimmer sah noch immer recht ähnlich aus, wie zuvor. Doch ihre Notizen lagen nicht mehr am Boden verstreut. Kein Blut trocknete in einer Lache vor sich hin. Alles war ordentlich. Ordentlicher als sie den Raum in den letzten Wochen je gehalten hatte. Der Stapel Papier auf ihrem Tisch; die Kohlestifte; eine ausführliche Einführung in die moderne Medizin von Aman sa Ura; ihre Kleidung. Alles lag am richtigen Platz. Sie fühlte sich fast unwohl dabei. Sie brauchte mehr Unordnung. Zumindest ein Buch sollte aufgeschlagen herumliegen. Daneben ein Zettel und ein Stift. Halbfertige Notizen.


"Wie geht es unserer Kämpferin?" Giræsea hatte das Zimmer betreten, kurz nachdem Thorgest es verlassen hatte. Iora traute sich nicht, ihr in die Augen zu schauen. Wenn Thorgest wusste, was sie getan hatte, dann sie bestimmt auch. Und in diesem Moment schmerzte sie das mehr als der Schnitt über ihrem Bauch.

"Es ist nicht so schlimm", log sie.

Giræsea lachte. "Du bist wahnsinnig." Dann ernster: "Wir haben uns Sorgen gemacht." Sie zog sich einen Stuhl vom Tisch heran. Sie war nicht gerüstet. Iora hatte sie selten so gesehen. Nur in ihrer normalen Kleidung. Hose, Hemd und Stiefel. Selbst als sie in der Bibliothek waren, hatte sie ihre Rüstung getragen.

"Du hast mir das Leben gerettet."

"Ich habe es erst in Gefahr gebracht. Ich hätte nicht gedacht, dass sie dich oder Thorgest da mit hineinziehen würden. Thorgest wusste, dass es passieren könnte. Dir gegenüber war es nicht fair. Du wusstest nicht, worauf du dich einlässt."

"Giræsea, red keinen Mist. Es geht mir gut. Wirklich. Und es geht mir sogar noch besser, wenn Thorgest mit meinem Tee wiederkommt. Schau nicht so traurig. Was macht ihr jetzt?"

"Wir haben noch nicht darüber gesprochen, wie es weitergehen soll. Wir wollten warten, bis du wach bist. Vermutlich warten wir. Bis es dir besser geht. Vielleicht schauen wir uns noch einmal die Bibliothek an. Auch wenn ich darauf wenig Lust habe."

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