LXIII - Das Ungeziefer hat Zähne

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Jahr 350 nach dem Götterkrieg, Winter

Devenkum, Kaiserreich


Er wich dem Dorn gerade so aus. Dieser schlug hinter ihm ein und hinterließ rote Spritzer auf dem Boden und dem Stützpfeiler. In dem Augenblick, den ihm Odhrán mit seinem Schlag erkaufte, gewann er sein Gleichgewicht zurück und trat nach dem Fremden. Der Tritt hätte sein Knie treffen sollen, aber sein Fuß setzte hart auf dem Boden auf und der spürte den Einschlag in seinen Knochen.

Áed sah zu Sara hinüber. Sie war konzentriert. Tief abgetaucht. Bewegte sich kaum. Eine Hand vor ihrem Herzen. Keine Ahnung, was sie tat, aber er würde sein Bestes geben, dass sie die Chance dazu bekam.

Der Fremde trat ihm in einer fließenden Bewegung das Bein weg und drehte sich zu Sara, bereits ein neues Messer in seiner Hand. Odhrán griff nach dem Arm und riss ihn nach hinten. Mit einem Plopp sprang die Schulter aus dem Gelenk. Das Messer fiel zu Boden.

Etwas, das sich der Fremde nicht gefallen ließ. Als Áed sich wieder auf die Beine gekämpft hatte, hatte Odhráns verletztes Bein nachgegeben und der Riese kniete vor dem Fremden. Das Blut an seinem Arm und der Fleck an seinem Oberschenkel hatten sich schwarz verfärbt.

Der Fremde stand über ihm. Unerbittlich. Er sprach zwei Worte. "Sindör Eneer." Und Rauch stieg aus Odhráns Wunden auf. Der Riese stöhnte. Schrie dann. Wieder: "Sindör Eneer." Wieder. Und wieder. Odhrán brach zusammen. Sara schie: "Nein!"

Áed handelte mehr aus purer Verzweiflung als einem gezielten Gedanken. Er legte einen Arm um den Hals des Fremden und riss ihn nach hinten. Das zumindest unterbrach den Galdr. Ein Gedanke, mit dem Áed ab diesem Tag öfter kämpfen würde, war, warum Magie immer zerstörerisch sein musste. Konnte man sie nicht besser nutzen? Für ein schönes Abendessen?

Er hing mit seinem ganzen Gewicht am Hals des Angreifers. Zog ihn nach unten. Fasste sich ans Bein und fand kein Messer dort. Der Fremde schlug wild um sich, aber Áed ließ nicht los.

Sara kniete neben Odhrán. Was auch immer sie vorgehabt hatte, war vergessen. Ihre Hand lag auf seiner Wunde und panisch murmelte sie etwas. Áed hatte nicht die Ruhe, ihr zuzuhören. Ein Ellenbogen traf ihn im Gesicht und sein Griff um den Hals des Fremden lockerte sich. "Verfluchter Bastard!"

Musste das beim Abendessen passieren? Er hatte nichts. Kein Messer. Nur seine Fäuste. Aus dem Augenwinkel sah er Bewegung in der Küche. Wer auch immer es war, hoffentlich brachte sie oder er sich in Sicherheit.

Tat er nicht.

Caelan rammte dem Fremden ein Messer in den Bauch. Eine Tat, für die ihm Áed einiges an Mut zusprach. Und Dummheit. Er kassierte sofort einen Tritt, taumelte und mit einer Berührung des Fremden sackte er vornüber und übergab sich auf den Boden. Rot.

Aber es war eine Gelegenheit. Áed griff nach dem Messer und riss es zur Seite. Es durchtrennte Haut und Innereien. Warmes Blut lief über seine Hand. Das Messer fest in seinem Griff. Er würde es nicht loslassen.

Áed stolperte zwei Schritte rückwärts und versuchte, sich ein Bild von der Lage zu machen. Zu sehen, wie der Fremde reagieren würde.

Und er hasste die Reaktion. Anstatt mit Schmerzen zusammenzubrechen oder etwas anderes hilfreiches zu tun, fuhr er sich nur überrascht mit der Hand über den Bauch, um dann das Blut an seinen Fingern zu betrachten.

"Das ist unerwartet." Der Fremde sah sich im Raum um. "Aber es ändert nichts." Er machte eine schnelle Bewegung mit seinen Fingern und das Messer in Áeds Hand splitterte. Was?

Seine Beine gaben nach. Er fiel auf die Knie. Er konnte nichts dagegen tun. Seine Muskeln gehorchten seinen Befehlen nicht.


Sara erhob sich von Odhráns Seite. Sie wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Mord auf ihren Zügen. Sie hielt sich die Hand vor den Bauch. Sie atmete aus. Sie ballte sie zur Faust. Und drehte sie ruckartig. "Aber das."

Der Fremde fiel vornüber. Hielt sich die Hand vor den klaffenden Schlitz in seinem Bauch, aus dem seine Eingeweide zu fallen drohten. Und er lachte.

Sara war bleich. Zitterte. Doch ihr Ausdruck war unverändert.

"Das Ungeziefer hat Zähne..."

Die restlichen Flammen erloschen und es war finster im Gastraum.

In der Stille verblieb nur Áeds hämmerndes Herz und schweres Atmen.

Lange Sekunden der Unsicherheit.

Er stumme Schatten.

Bewegungslos.

Er wagte keinen Versuch, sich auf die Beine zu kämpfen. Wenn er sich zuerst bewegte wüsste der Fremde, wo er war und er hatte nichts, um sich zu wehren. Dann wars das.

Bis das Licht endlich zurückkehrte.

Odhrán lag am Boden. Caelan lag am Boden. Sara kniete zwischen ihnen. Irgendwo auf der anderen Seite des Tisches, versteckt von Schatten, wimmerte jemand. Als hätte die Rückkehr des Lichts die Erlaubnis gegeben.

Er fiel mehr als er ging zu Caelan - er war ihm näher. Er atmete noch. Angestrengt. Aber er atmete noch. "Scheiße! Casidhe! Kannst du hier irgendwas tun?" Und an Caelan gewandt: "Wir bekommen dich wieder hin. Das wird." Er legte ihm die Hand auf die Schulter und war sich bei diesen Worten selbst nicht ganz sicher.

Odhrán sah schlimm aus. Um die Stellen, wo ihn die Nadeln am Arm getroffen hatten, hatte sich die Haut verfärbt. War dunkel. Blätterte. An vielen Stellen an seinem Körper konnte Áed den Verlauf seiner Adern fast wie ein Brandmal lesen.

"Komm schon. Komm schon. Komm schon." Sara hatte ihre zittrige Hand auf die Wunde an seinem Bein gelegt. Sie war blass; Schweiß stand ihr auf der Stirn und ihre Lippen waren blau. "Du hast nicht so viel Scheiße überstanden, um jetzt hier zu krepieren!", flehte sie ihn an.

Áed kam sich nutzlos vor. Hier konnte er nicht helfen. "Wie geht es ihm?"

"Wie geht es ihm? "Beschissen geht es ihm!" In ihrer Stimme lag nicht genug Kraft für Feindseligkeit. "Aber sollen die Götter versuchen, mich aufzuhalten... Ich werde nicht zulassen, dass er hier draufgeht. Ich kann nicht."

"Bitte bring dich nicht um. Du hast schon so viel getan. Er würde es nicht so wollen..."

"Ich werde ihn hier nicht sterben lassen!" Jetzt klang sie wieder wie damals, als sie ihm gesagt hatte, dass sie nicht in der Arena enden würde. Wütend. Verzweifelt. Absolut dazu bereit, bei dem Versuch zu sterben.

"Du brauchst Energie? Dann nimm meine! Lass mich hier nicht nutzlos sitzen, während du dich umbringst." Er hielt ihr seinen verletzten Arm hin.

"Spinnst du?"

"Das ist auch nicht dümmer, als was du gerade machst. Nimm!"

Sie fluchte. "Leg deine Hand auf meine. Das wird nicht angenehm."

Und sie hatte recht. Das Pochen entlang des Schnittes an seinem Arm begann zu fließen. Es spürte es in seinen Adern. Als würde es durch seine Finger aus seinem Körper gesogen. Aus seiner Hand, seinem Arm, seiner Schulter. Es zog an seiner Brust. Seinem Herzen. Es zog ihm den Atem aus der Brust. Sein Sichtfeld wurde schmaler; bekam schwarze Ränder. Er machte kein Geräusch. Würde er sich rühren, würde sie aufhören und noch war er die beste Chance, dass Odhrán das überstehen würde.

Hinter ihm rief Casidhe irgendwas zu den anderen. Er blendete es aus. Der Mann wusste, was er tat. Er würde Caelan retten.

Ihm wurde kalt. Er begann zu zittern. Er würde nichts sagen. Der Mann hatte ihm das Leben gerettet, wenn er sich ehrlich war, wahrscheinlich zweimal. Niemand würde heute sterben.

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