Fmaj7

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Gray

Die nächsten Tage passiert nicht viel. Ich überstehe irgendwie den Unterricht, wechsle zu Mittag kurz ein paar Worte mit meinen Freunden und rase dann zur Probe. Am Abend zwingt mich mein bester Freund dazu, ihm die ganzen Lieder vorzuspielen.

Inzwischen hat sich mein Spiel wirklich verbessert. Es ist nicht perfekt, aber solange man selbst nicht Gitarre spielen kann, bemerkt man meine Fehler nicht.

Ich gehe Jesse so gut es geht aus dem Weg, weil er mir seit meinem Geständnis, es handle sich bei meinem Treffen nur um meinen besten Freund, nicht mehr von der Pelle rückt und er mich nun die ganze Zeit anschmachtet.

Genau deswegen auch, bin ich der Letzte, der den Proberaum betritt und der Erste, der auch wieder abhaut. Ich sitze auch schon lange nicht mehr auf der Couch, sondern stelle mich gleich auf die Bühne. Somit beginnt nicht nur die richtige Probe früher, sondern Jesse kann sich auch nicht plötzlich zu mir vorbeugen und mich verunsichern.

Noch nie hat sich jemand solch eine Mühe gemacht, mich um den Finger zu wickeln und zu verführen. Ich frage mich, ob er sich immer solch eine Arbeit macht, um irgendwen ins Bett zu bekommen. Jesse ist anders als in den ganzen News. Er ist auch anders, wenn wir nur unter uns sind. Er verwirrt mich auf mehreren Ebenen gleichzeitig.

Doch leider kann ich ihm am Samstag nicht entgehen. Eng aneinander gekuschelt, sitzen wir in David's Auto, der noch weniger Ahnung von Verkehrsschilder und Ampeln hat als meine Mutter vom Kochen.

Immer wieder knalle ich gegen die dünne Statur neben mir und schnüffle an dem bitteren Geruch, denJesse ausströmt. Herb und stark wie Kräuterlikör.

»Ufff«, stöhnt er auf und reibt sich die Rippen. »Wenn die Fahrt nicht gleich vorbei ist, muss ich nach dem Gig ins Krankenhaus.«

»Sorry«, brumme ich und spüre, wie mir Farbe ins Gesicht schießt. Ich drücke meine Jacke zwischen uns, um jeden weiteren Schlag zu dämpfen.

Rush dreht sich grinsend auf seinem Sitz um und sieht zu uns nach hinten. Wild trommelt er mit den Händen auf der schwarzen Sessellehne herum. »Gray, wenn das vorbei ist, spendiere ich dir den edelsten Tropfen, den sie dort anbieten. Ich bin wirklich froh, dass wir dich gefunden haben. Du rettest unsere Ärsche.«

»Freu dich nicht zu früh. Noch haben wir's nicht hinter uns, ich kann also noch alles verkacken.«

Der Auftritt macht mich mehr als nur nervös. Ich fühle mich als säße ich auf einer Achterbahn, mit dem Wissen, dass die Schrauben der Schienen nicht alle richtig sitzen und manche ihren Platz schon verlassen habe. Vor jeder Kurve denke ich, nun ist es so weit und ich werde fallen. Aber nichts geschieht.

Ich werde ihnen alles ruinieren und dann gehen sie. Dann bin ich an dem Punkt, an dem ich schon mal war. Nein, dann bin ich noch viel tiefer und halb Australien verabscheut mich.

Panikattacke. Das ist eine Panikattacke. Die hatte ich zuletzt mit 13. Wieso kommt sie zurück? Ich dachte, ich hätte meine Panikstörung überstanden.

»Geht's dir gut?«, fragt David etwas besorgt und mustert mich im Rückspiegel. »Kotzt du gleich?«

Ich schüttle eilig den Kopf und kralle mich in meiner Jeans fest. Ich spüre meinen Magen klagend schreien. Etwas beißt sich dort fest und schüttelt ihn, bis die Säure fast überschwappt und sich seinen Weg nach oben bahnt.

»Ha-halt«

»Was?«, fragt David verwirrt.

»H-halt«, würge ich. »Halt das Au-«

Weiter komme ich nicht, da breitet sich schon ein übler Geschmack auf meiner Zunge aus und Flüssigkeit drückt sich durch meine zusammen gepressten Lippen.

Rock meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt