Jesse
Er hat Soße am Hoodiekragen kleben, aber ich sage dazu nichts, aus Angst, er könnte sonst gleich wieder ins Badezimmer stürmen und dort weitere fünfzehn Minuten verplempern.
Wenn wir alleine sind, ist er zwar immer noch fies, aber weit aus netter zu mir. Es ist angenehm und amüsant neben ihm zu sitzen und seinen Worten oder seinem Klimpern zu lauschen.
Er nimmt meine Hand und setzt sie auf den Bauch seiner Gitarre, damit ich spüren kann, was er spielt.
»Hören ist gut, fühlen ist besser«, hat er mir vor wenigen Sekunden noch erklärt und ein Lied angestimmt, von welchem ich davor noch nie etwas gehört habe.
Ich betrachte ihn interessiert, während er die Augen geschlossen hält und spielt. Seine Nasenspitze zuckt, wenn er sich verspielt, und seine Lippen sind aufeinandergepresst. Konzentriert hält er sich an die Noten, bringt hin und wieder seine eigene Persönlichkeit herein.
Ich beuge mich etwas vor. Zu meiner Überraschung zuckt er nicht weg, öffnet nur lächelnd die Augen und sieht zu mir. Er spielt nun langsamer jedoch kräftiger.
Ich beuge mich noch ein Stück vor, berühre mit meiner anderen Hand sein Bein. Immer noch nicht rückt er von mir ab. Ruhig bleibt er sitzen und spielt vor sich hin.
Ich wage es erst gar nicht, diesen Moment mit Worten zu zerstören. Wer weiß sagt er sonst noch etwas gemeines und ich komme ihm nicht wieder so schnell so nahe.
Ich nehme die Hände von Gitarre und Beine, kralle mich in Gray's Schultern fest und ziehe ihn ruckartig an mich heran. Seine Finger lassen von den Saiten ab und sieht nun doch etwas verwundert aus.
Ich streiche ihm mit dem Zeigefinger über die freie Haut auf seinem Hals und sehe ihm tief in die Augen.
Er öffnet den Mund, doch schließt ihn dann sofort wieder, als ich mich so weit vorbeuge, dass sich unsere Lippen fast berühren. Er wehrt sich nicht, starrt mich nur aus großen Augen aus an, wartet auf meinen nächsten Schritt.
Ich lächle breit und schließe meine Augen. Ich rücke das letzte Stück vor und bin bereit dazu, seine Wärme auf meinem Gesicht zu spüren, als mich plötzliches Getrampel am Gang zum Stoppen bringt und sich kurz darauf eine Faust in meinen Magen rammt.
Vor Schreck falle ich zu Boden und knalle mit dem Ellbogen gegen den Glastisch. Ich verziehe vor Schmerz das Gesicht und atme scharf aus.
»Scheiße«, fluche ich. »Was sollte das?!«
Die Tür des Proberaums wird aufgerissen und meine Freunde stürmen lachend herein. Rush stolpert an der Bierkiste vorbei und lässt sich auf seinen geliebten Stuhl plumpsen. David sieht verwirrt auf mich hinunter.
»Warum liegst du am Boden?«, fragt er mich und wirft sich auf meinen Platz. Er stellt vor Gray und mir eine Dose Energy auf den Tisch.
Ich setze mich auf und reibe mir genervt die schmerzenden Körperstelle. »Frag doch Gray. Er hat mich ohne Grund geschupst.«
Der junge Gitarrist nimmt sich eine der Dosen und öffnet sie. Auf seinen Lippen hat sich ein breites, schelmisches Grinsen breit gemacht.
»Du bist mir auf die Pelle gerückt«, murmelt er und nimmt einen großen Schluck. »Ich habe nur getan, was getan werden musste.«
»Jaja«, zische ich und ziehe mich auf die Bierkiste, um es mir dort gemütlich zu machen. Ich ziehe mein Zigarettenpäckchen aus meiner Hosentasche, lege es dann aber nur auf den Tisch. Ich muss damit aufhören, wenn er da ist.
»Jetzt hast du ihn beleidigt«, scherzt Rush und nimmt sich seine Sticks zur Hand. Er klopft mit ihnen auf dem Tisch herum und zeigt dann auf mich. »Apropos, nimmst du uns morgen die Reste von eurem Mittagessen mit oder muss ich was bestellen?«

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Rock me
Ficción GeneralGray Adler hatte sich seit dem Auszug seines Vaters geschworen, nie wieder Gitarre zu spielen, doch für immer kann er sein Versprechen nicht halten. Durch die Überredenskünste seines besten Freund zwingt er sich ein letztes Mal zu spielen und das be...