Jesse
Ich wälze mich aus dem Bett und betrachte den Saustall, den die fremde Frau und ich hinterlassen haben. Leere Alkoholflaschen und abgebrannte Zigarettenstummel liegen herum. Es sieht tatsächlich gar nicht so anders als wie unser Proberaum.
Ich fahre mir seufzend über das Gesicht und überlege, wie lange es dauern würde, hier aufzuräumen und das Mädchen zu wecken, um diese zu fragen, was gestern Nacht eigentlich überhaupt vorgefallen ist. Doch eigentlich kann ich mir den zweiten Punkt sparen. Die benutzten Kondome sprechen Bänder. Egal, ob Blackout oder nicht, das Sperma darin ist mit Sicherheit von mir.
»Musst du denn immer mit dem Schwanz denken?«, fauche ich leise und sammle meine Klamotten vom Boden auf, um sie mir eilig überzuziehen. »Ja, muss ich.«
Erleichtert stelle ich fest, dass sich Brieftasche, sowohl mein Telefon noch in meinen Hosentaschen befinden. Ich wage es erst gar nicht, auf meinen Handybildschirm zu sehen. Ich weiß jetzt schon, dass sämtliche verpasste Anrufe und Drohnachrichten darauf warten, eine Antwort zu bekommen.
Ich werfe einen letzten Blick auf die schlafende Frau und verlasse dann, so schnell wie meine Beine mich tragen können, das Hotelzimmer. Aus Angst, sie könne noch aufwachen und mich beim Warten des Liftes erwischen, nehme ich sogar die Treppen, dabei schmerzt jeder Zentimeter meines Körpers.
Ich wische mir über die pochende Stirn und massiere meine schweren Augenlider. Zu viel Alkohol, zu wenig Schlaf.
Kaum sitze ich in im Taxi erwartet mich ein weiteres Problem: Übelkeit. Mein Magen dreht sich um 180 Grad und schüttelt meine Magensäure wie einen trockenen Martini.
Ich schlucke schwer und streichle mir über das zerknitterte Shirt, hinter dem mein Bauch komische Geräusche von sich gibt.
»Wehe du kotzt in mein Auto«, brummt der Fahrer genervt und verfängt sich in seinem Rosenkranz, als er den Spiegel richtet, um mich darin besser betrachten zu können.
»Wird nicht passieren«, verspreche ich ihm und zeige auf das Gebäude vor uns. »Da ist mein Apartment.«
»Zum Glück.« Er biegt rasant ab und steigt volle Kanne auf die Bremse. Er bleibt mitten auf dem Gehsteig stehen. »9,30 Dollars.«
Ich ziehe meine Karte aus meiner Brieftasche und lege sie auf die Kontaktstelle des Bezahlterminals. Es braucht keine drei Sekunden und ich kann endlich aus dem Höllengefährt springen.
Ich atme an der frischen Luft tief durch, bevor ich das Gebäude betrete und mich zu dem Aufzug schleppe. Ich drücke vier Mal auf den Knopf nach oben und drei Mal auf den nach unten. Das habe ich kurz nach meinem Einzug gelernt. So kommt der Lift schneller an.
Wie immer ist er geräumig und sauber. Aus dem Lautsprecher erklingt ruhige Musik und erinnert mich an das erste Mal, als die Klänge einer Gitarre mich bezaubert haben.
Auch wenn ich erst drei Jahre alt war, kann ich mich noch genau an diesen Tag erinnern. Es hat zum ersten Mal in diesem Jahr geschneit und die Schreie der Kinder haben meine Schritte über den knarzenden Boden übertönt, sodass ich mich ohne Probleme aus dem Gebäude schleichen konnte, so wie ich es heute noch aus Hotelzimmern tue.
Meine Schuhe waren dünn und für den Sommer gedacht, aber trotz der Kälte habe ich es bis zu dem Einkaufszentrum in der Nähe geschafft. Dort habe ich mich dann unter dem großen Plastikbaum Nähe des Brunnens und mit dem Bommel der alten Mütze gespielt.
Es hat Stunden gebraucht, bis ich gefunden wurde. Bis dahin habe ich der Musik gelauscht, die gestressten Familien und die glimmernde Dekoration bewundert. Es war der erste allein gefeierte und auch der mit Abstand schönste Geburtstag, den ich jemals gehabt habe.

DU LIEST GERADE
Rock me
Художественная прозаGray Adler hatte sich seit dem Auszug seines Vaters geschworen, nie wieder Gitarre zu spielen, doch für immer kann er sein Versprechen nicht halten. Durch die Überredenskünste seines besten Freund zwingt er sich ein letztes Mal zu spielen und das be...