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Gray

Jesse entgeht mir. Man muss kein Detektiv sein, um das zu bemerken.

Am Tag nach unserem katastrophalen Treffen kommt er nicht zur Probe. Auch nicht am Tag darauf. Am Sonntag ignoriert er auch meine Anrufe und Nachrichten. Oft werde ich auch aus der Leitung geschmissen, weiß aber nicht genau, ob es wirklich er ist, der mich wegdrückt.

Am Montag kann er dann wohl nicht länger fernbleiben und erscheint - drei Stunden zu spät und komplett dicht. Er hält drei Meter Abstand von mir und lässt sich lieber auf den Boden plumpsen, anstatt sich zu mir auf die freie Couch zu setzen.

»Wo warst du?«, fragt Rush verstört und starrt den Rockengel an. Er trägt dieselben Klamotten wie am Donnerstag. »Dein Bruder hat angerufen und hat nach dir gefragt. Du bist seit Tagen nicht bei ihm erschienen. Du hast nicht einmal auf seine Anrufe reagiert.«

Jesse zuckt gleichgültig mit den Schultern und zieht eine Flasche Rum aus seiner Stofftasche. Er stellt sie nicht auf den Tisch, sondern öffnet sie ungeschickt und trinkt daraus.

»Nicht das schon wieder.« David stöhnt genervt auf und entreißt ihm die Flasche. »Was ist passiert? Hattest du Streit mit ihm? Ist es das, warum du den Jesse Micson spielst?«

Gelangweilt sieht der Rockengel auf und lallt, »Nein, aber ich hätte einen gehabt, wenn ich zu seinem bescheuerten Essen erschienen wäre.«

»Wo verdammt nochmal warst du?«, fragt Rush und klingt dabei ehrlich besorgt. Ich denke, das sind sie beide auf ihre verschiedene Arten.

Jesse fährt sich über das Gesicht und lacht auf, »Ich habe keine Ahnung. Ich bin gestern in einer anderen Wohnung aufgewacht. Katzen haben an meinen Armen genagt und so eine weirde Lady hat auf meinem Schoß gepennt.«

»Koks?«, fragt Rush.

Jesse schüttelt den Kopf und stützt ihn müde mit einer Hand. »Ecstasy. Ich weiß noch wie ich am Donnerstag die Wohnung verlassen habe und dieser seltsamen Braut über die Beine gestolpert bin. Wir sind gemeinsam zu ihr, haben getrunken und Pillen geschluckt. Kaum ist die Wirkung weg, haben wir die Nächste eingeworfen und ich bin eingepennt. Und plötzlich war es Sonntag.«

»Warst du bis jetzt bei ihr?« David verzieht angeekelt das Gesicht und stellt den Rum auf den Tisch.

»Ne, wir sind zu ihrem Freund. Der wollte mich vermöbeln, bis ich ihm gesagt habe, dass ich schwul bin«, brummt er und schließt die Augen. »Er war zwar angeekelt, aber wir haben bis jetzt gemeinsam getrunken.«

Ich seufze, sage dazu aber nichts. Ich werde Jesse nie verstehen, aber das muss ich auch gar nicht. Ich halte nicht den Mund, als David die Hand hebt und Jesse auf die Wange klatscht. Der Schlag hallt durch den Raum und wird von den Wänden wieder zurückgeworfen.

»He, David! Chill!«, sage ich überrascht.

»Er ist komplett weg«, stellt er fest und rüttelt an Jesse, doch der pennt tief und fest. »Nicht einmal ein kleiner Schlag weckt ihn.«

»Klein.« Rush funkelt seinen Freund böse an, bevor er zu Boden rutscht und Jesse Kopf tätschelt. »Armer Jessie. Wir sollten vielleicht seinen Bruder anrufen.«

Ich schüttle eilig den Kopf. »Nein. Wenn er ihn so sieht, wird er nur tadeln. Das kann Jesse jetzt nicht brauchen. Er ist durch die Drogen wahrscheinlich komplett depressiv.«

Wahrscheinlich nicht nur deswegen.

David stöhnt auf und vergräbt sein Gesicht in seinen Händen. »Und was machen wir mit ihm dann? Wir haben auf Jesse noch nie aufpassen müssen, wenn er so etwas gemacht hat.«

Rock meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt