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Jesse

»Melde dich bei deinem Bruder«, befiehlt mir Zach und schultert seine Tasche. Zögernd bleibt er vor mir stehen. »Er macht sich bestimmt schon Sorgen, weil du dich seit ein paar Tagen nicht mehr sehen gelassen hast. Er ist zwar sehr beschäftigt, aber wenigstens anrufen könntest du mal.«

»Begeistert wirkt er nicht wirklich, wenn ich das tue«, murmle ich und springe von einem Fuß auf den anderen.

Mein Freund lacht und streicht mir über den Rücken. »Weil er gestresst ist. Er hat volle Hand mit seinem Job und seinem kleinen Bruder zu tun. Immerhin versucht er eure beiden Unterhalte zu zahlen, weil du seit du klein warst die wahnsinnige Vorstellung hast, ein Rockstar zu werden.«

Ich seufze und kann mich nicht länger zurückhalten. Ich beuge mich vor und lege meine Arme um ihn. Ich ziehe ihn an meine Brust und vergrabe meinen Kopf in seiner Achselhöhle.

Er duftet nach Pfefferminz und teuren Parfüm. Der kindliche Zuckergeruch, den er jahrelang durch das ständige Verzehren von Süßigkeiten ausgeströmt hat, ist über die Zeit komplett verschwunden. Inzwischen riecht er nach einem reichen Schnösel, der es kaum erwarten kann, eine Familie zu gründen. Eine Familie in einem fernen Land, weit weg von seiner schrecklichen Vergangenheit und mir.

»Ich will nicht, dass du gehst«, grummle ich traurig und kralle mich in seinen Schulterblättern fest. »Ich kann nicht ohne dich leben. Ich habe noch nie wirklich ohne dich gelebt.«

Er erwidert lachend meine Umarmung und schmiegt sich an mich. »Ich werde dich vermissen, Jessie. Es tut mir weh, zu wissen, dass du jetzt mit dem Idiotenhaufen ganz alleine bist. Du musst mir aber versprechen, sie nicht allzu sehr zu nerven. Am Ende sind sie unsere Freunde.«

Es sind nur deine.

Ich seufze und drücke mich wieder von ihm, bevor ich beginne los zu weinen und mich an ihm fest zu ketten, sodass er den Kontinent nicht ohne mich verlassen kann.

»Cosmo und Wanda werden gar keine Möglichkeit haben, sich bei dir auszuheulen. Ich werde mich bemühen, netter zu ihnen zu sein und öfter zu den Proben zu kommen.«, verspreche ich ihm und gehe zur Sicherheit noch einen Schritt zurück. Sein Geruch macht mich seltsamerweise sentimental.

Er lächelt breit und nickt zustimmend. »Das weiß ich, Jessie. Du wirst dein Bestes geben und die Band dorthin bringen, wo sie schon längst sein sollte: Ganz oben.«

Ich boxe ihn genervt in den Bauch und verschränke die Arme vor der Brust. »Hör auf damit und hau endlich ab, bevor ich es mir anders überlege und dich doch nicht gehen lasse!«

Bevor ich mich auch nur wehren kann, zieht er mich ein letztes Mal in eine feste Umarmung. Er drückt mir einen brüderlichen Kuss auf den Schopf und entfernt sich dann wieder vorsichtig von mir.

»Du solltest jetzt gehen, sonst kann ich nicht anders, als mein Handgepäck zu leeren und dich darin einzupacken, um dich mit über die Grenze zu schmuggeln«, gibt er von sich und auch wenn er breit grinst, kann ich in seinen Augen den Schmerz sehen.

Keiner von uns beiden möchte sich bei den anderen verabschieden, doch im Moment ist keiner bereit, den Wunsch des anderen zu erfüllen. Eines Tages werden wir wieder zueinanderfinden, aber bis es soweit ist, werden wir voneinander Abschied nehmen müssen.

»Da bist du ja«, unterbricht uns Ava und verdreht genervt die Augen, als sie mich trotz der Beanie, der schwarzen Maske und der Sonnenbrille erkennt. »Toll, du bist da.«

»Ich bin gleich weg«, sage ich und packe die weiche Hand der jungen Frau.

»Was?!« Verstört starrt sie mich an, als ich ihre Hand sanft schüttle und dann loslasse, ohne danach mir die Hand an der Kleidung abzuwischen.

Rock meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt