A9

816 67 54
                                    

Gray

Zögerlich betrachte ich mein Spiegelbild, während der neumodische Lift die Stöcke hochklettert.

Ich trage ein neues Hemd, meine dunkelroten Krawatte und den einzigen Anzug, den ich besitze. Durch die Enge rutscht er immer mal wieder unangenehm in meine Arschritze, aber für einen guten Eindruck würde ich die Hose sogar fünf Tage am Stück anlassen.

Nervös richte ich meine Haare und klebe mir die einzelnen Strähnen an die restlichen, damit die Frisur sitzt. Ich trage heute so viel Gel, dass meine Hand an meinem Kopf kleben bleibt, als ich mich an mein Haar wage.

Ich zucke zusammen, als der Lift einen Pington von sich gibt und sich die Türen öffnen. Ich bekämpfe meinen Fluchtreflex und steige aus, marschiere wie ein Soldat an die offene Tür.

»Guten Tag, Grayson«, begrüßt mich Owen kühl wie immer. »Hast du gut hergefunden?«

»Ja, danke für die Einladung«, sage ich ehrlich und reiche ihm den Wein, den ich mitgebracht habe. »Ich wusste nicht, was dir schmecken könnte, also habe ich den Liebling meines Vaters besorgt. Er hat ihn stets zum Abendessen getrunken. Ich nehme also an, er ist gut zu jedem warmen Essen.«

»Das wäre doch nicht nötig gewesen.« Er spricht immer noch wie ein Roboter, aber es wirkt nicht mehr weit aus seltsam wie bei unserem ersten Treffen.

Ich trete ein und ziehe mir die Schuhe aus. Leider stelle ich fest, dass sich Jesse's Boots nirgendwo am Boden befinden.

Owen blickt seufzend auf seine Armbanduhr. »Wenn er nicht bald kommt, bekommt er sein Leben lang nur noch Vegemitetoast.«

Ich muss über seine Worte schmunzeln. »Mag er Vegemitetoast nicht?«

»Müsstest du das als sein fester Freund nicht wissen?«, fragt er mich interessiert und dreht sich dann eilig kehrt, um die Flasche zu öffnen.

Ich folge ihm verwirrt. »Jesse und ich sind nicht zusammen.«

»Nicht?« Er mustert mich verwirrt, während er geschickt den Korken aus der Flasche zieht und den Wein in drei Gläser schenkt. Er nimmt zwei, eines behält er und eines reicht er mir. »Dann habe ich etwas wohl falsch aufgefasst.«

Er liegt nicht ganz falsch. Immerhin date ich Jesse und ich könnte mir vorstellen mit ihm zusammen zu sein. Vielleicht, wenn wir älter sind und ich einen festen Job habe. Vielleicht, wenn seine Band Erfolg erzielt. Vielleicht aber auch niemals.

Ich nehme dankend das Glas an und nippe höflich daran. Der bittere Wein kühlt meine Zunge und färbt meine Lippen dunkelrot. Schon beim zweiten Schluck schmeckt es ein wenig besser. Irgendwie sogar süßlich.

Wieder wirft Owen einen Blick auf die Uhr und seufzt. Er trinkt ebenfalls etwas von seinem Wein und stell dann das Glas auf seinen Platz an den Tisch.

»So gut, wie ich meinen Bruder kenne, kommt er mal wieder viel zu spät.«, erklärt er mir und zeigt auf meinen Platz. »Ich werde ihn anrufen. Du kannst in dieser Zeit, dich etwas in Jesse's Zimmer umsehen.«

Ich weiß, dass er mich für kurze Zeit loswerden möchte, weil er mit seinem kleinen Bruder schimpfen wird und dies der Besuch nicht mitbekommen sollte. Ich frage deswegen auch nicht nach, warum Jesse auch hier ein Zimmer hat und folge dem Mann durch die Wohnung.

Owen öffnet die Tür zu einem großen Raum und zieht dann sein Telefon aus seiner Anzugshose. »Ich rufe dich, sollte das Essen fertig werden, bevor Jesse hier auftaucht.«

Mit diesen Worten schupst er mich ins Zimmer und knallt hinter mir die Tür zu. Ich starre überrascht auf das zitternde Glas. Egal wie man auch versucht hindurch zu sehen, man erkennt nichts. Schwarz und verzerrt.

Rock meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt