Wohin ich auch ging, hatte ich das Gefühl, dass alle Augen auf mich und meine Fehler gerichtet waren, aber zur selben Zeit war mir klar, dass ich insgeheim jedem egal war.
Niemand schaute mich an, denn sie interessierten sich alle nur für sich selbst. Ich hätte schwänzen können und niemanden würde es interessieren, aber zur selben Zeit wusste ich, dass sie sich wieder das Maul über mich zerrissen hätten - meine innere Stimme war ein ewiger Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen zu geben schien.
Nach der letzten Stunde schnappte ich in Lichtgeschwindigkeit meine Tasche, ignorierte meine Mitschüler, ihre abwertenden Blicke und ging, mit gesenktem Blick, die Hallen entlang, hielt meine Luft an und wünschte mir, nun auf niemanden zu treffen - ganz besonders nicht auf Ayumi, die mir ein unmissverständliches Versprechen gab.
Ich hatte Angst vor ihr, denn ich spielte nicht in ihrer Liga.
Sie hatte viele Anhänger, die ihr unterwürfig hinterherliefen und alles taten, was sie verlangte, doch auch sie versuchten nur ihren Platz in dieser dunklen Welt zu finden.
Ich schaltete meine Ohren auf Durchzug und ging mit zügigen Schritten den Flur entlang.
Nur schnell weg hier, dachte ich mir, während ich weiterhin die glänzenden Fliesen mit gesenkten Kopf betrachtete.
Niemand sprach mich an und ausnahmsweise wurde ich ignoriert, als wäre ich ein Geist. Fing ich etwa an, mich ein wenig zu sicher zu fühlen? Nun, es war ja auch Montag und wahrscheinlich war jeder um mich herum angenervt und müde von dem ereignisreichen Wochenende, das jedem in den Knochen hing. Auch mir fielen fast die Augen zu, was aber nur daran lag, dass ich seit Wochen nicht mehr als zwei Stunden am Stück geschlafen habe - meinen erschöpften Körper am Leben zu halten, war schwerer als gedacht.
Ich konnte die frische Luft erhaschen, die ich genüsslich aufsog und durch den Mund wieder der Natur zurück gab.
Ich ging, weiterhin mit schnellen Schritten, den steinigen Weg nach Hause zurück, der mich durch Gassen führte, die für mich schon fast mein zweites Zuhause waren. Ich kannte hier jede Ecke auswendig und konnte jeden Meter auch gerne mit verbunden Augen gehen.
Ich ging über den steinigen Asphalt und konnte das Mittagessen meiner Mutter schon riechen, die es mir wieder wortlos hinstellen würde, um sich weiter um ihre Klienten zu kümmern, die ihre Hilfe mehr brauchten.
Als Anwältin erkannte sie es sehr gut, wenn Leute eine Schulter zum Anlehnen brauchten, doch als Mutter versagte sie darin komplett. Sie bemerkte mich gar nicht oder nahm mich ernst - sie kümmerte sich einfach nicht um mich.
Klar, sie machte mir Essen und gab mir ein Dach über dem Kopf, aber das tat sie nur, damit ich ihr nicht endgültig weggenommen wurde und dann ihr Ruf kaputt ging.
Für meinen ehrgeizigen Vater war ich schon lange gestorben, weil er etwas in mir sah, dass ihm Enttäuschung bescherte. Ich war nicht seine Tochter.
Ich gehörte nicht zu ihrer perfekten Familie, mit ihren Träumen, Hoffnungen und Ziele, die sie für mich hatten.
Liebten meine Eltern mich? Nein. Liebte ich meine Eltern? Ich wusste es nicht, fand auf diese Frage aber auch nie eine Antwort.
Gedankenversunken bog ich in eine dunkle Gasse ab, die mir vertraut war. Anfangs hatte ich große Angst, sie zu durchqueren, aber ich hatte keinen Grund dazu, denn die paar Meter, waren heutzutage das kleinste meiner Probleme.
Meine abgenutzten Schuhe kratzten auf den Steinen unter mir und ich konnte das Licht am Ende des Tunnels schon erblicken, als ich eine Stimme hinter mir hörte, die mich rief.
"Ran, stehen geblieben!", rief sie wütend, packte mich an der Schulter und dadurch blieb mir nichts anderes übrig, als mich ruckartig umzudrehen.
Es waren die blauen Augen von Ayumi, in die ich blickte. Sie glänzten nicht, es war kein Leben in ihnen. Ich sah hier keinen Menschen mehr vor mir, mit Gefühlen oder einem Sinn für Menschlichkeit.
"Verdammt, renn doch nicht so schnell. Du weißt, dass wir nicht so sportlich sind wie du.", beschwerte sich keuchend ihr Gefolge, die sich hinter ihr näherten und sich vor Anstrengung den Bauch hielten. Was hatte das zu bedeuten? Ich schaute verwirrt in ihre Augen, doch dann dämmerte es mir - ihr Versprechen.
"Wir haben noch etwas zu besprechen, oder hast du das etwa vergessen?", sagte sie, schon fast flüsternd, und kam mir mit langsamen Schritten immer näher, packte mich am Arm und auch sie umklammerte jetzt den dreckigen Fleck, der wohl für mein ganzes Pech heute verantwortlich war. Ich merkte, wie meine Finger erneut anfingen zu zittern und meine Beine weich wurden. Jetzt würde mich nichts und niemand retten, das war mir klar.
Sei leise und lass es über dich ergehen. Du hast keine andere Wahl, beschloss ich und entschied mich dazu, nichts zu sagen und ihren Wunsch zu erfüllen.
Ayumi ließ mich los und wartete auf eine Reaktion von mir, doch die gab ich ihr nicht. Ich war zu müde. Ich legte meine Tasche ab und wartete einfach auf die Schmerzen, die ich in wenigen Minuten bekommen sollte.
"Hast du nichts zu sagen, du Freak?", fragte mich Ayumi mit einem angeekelten Blick und betrachtete mich von oben bis unten.
"Warum hast du meinen Freund angesprochen? Dachtest du etwa, dass du eine Chance bei ihm hast?", fragte sie erneut, lachte auf und schüttelte leicht mit ihrem Kopf, wobei ihre blonden Haare nur so in der Sonne strahlten.
Ich war neidisch auf sie und ich wusste nicht wieso - weil sie viele Freunde hatte, beliebt war und sich alles erlauben konnte, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden? Lag es daran, dass sie nicht alleine war und jemanden zum reden hatte - jemanden, den es interessierte, was sie zu sagen hatte?
"Er sagte, dass du streng riechst und hässlich bist. Er hat ja nicht ganz Unrecht, um ehrlich zu sein.", versuchte sie mich zu provozieren und eine Reaktion aus mir heraus zu kitzeln.
Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, von wem sie sprach. Ich habe es schon seit Wochen nicht mehr gewagt, freiwillig einen Jungen anzusprechen und sei es nur, um ihn nach einem Stift zu fragen. Sie schien mich zu verwechseln oder Dinge zu sehen, die sie eben sehen wollte, aber ich war mir mehr als bewusst, dass es keinen Sinn hatte, es ihr zu erklären, denn sie hätte mir ja doch nicht geglaubt, also beschloss ich meine Klappe zu halten. Ich war für die ganze Welt sowieso der Boxsack vom Dienst und mit diesem Titel lernte ich zu leben.
"Lass ihn in Ruhe, du Schlampe.", sagte sie nach ihrer hasserfüllten Rede, dich ich gekonnt versuchte auszublenden, und ging zurück zu ihren Freundinnen. Ich atmete innerlich auf und hoffte, dass sie nur geblufft hatte, doch da war ich schief gewickelt. Sie positionierte sich hinter der Gruppe.
"Meine Freundinnen werden nun dafür sorgen, dass du es nicht vergisst.", sagte sie ganz ruhig und gab ihnen ein klares Handzeichen.
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Liar | Oikawa x OC
FanfictionRan scheint keine strahlende Zukunft zu haben, da sie tagtäglich gemobbt und ausgegrenzt wird - warum, das weiß sie selber nicht. Als sie eines Tages dem beliebtesten Jungen, und gleichzeitig ihrem schlimmsten Feind, begegnet, scheint dieser Interes...