Dein Freund und Helfer

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Egal, ich hatte keine Lust mir in diesem Moment Gedanken zu machen und versteckte mich lieber schnell in einer dunklen, ruhigen Gasse, um dieses unangenehme Treffen zu verarbeiten. 

Wer hatte ihm meinen Namen verraten? 

Da konnte nur dieses Miststück Ayumi hinter stecken. 

Toll. Jetzt werfe ich auch schon mit Beleidigungen um mich. 

Ich ließ meinen Körper an der kalten Fassade auf den Boden gleiten und schon vergrub ich meinen Kopf in meine verschränkten Arme, damit niemand der Passanten mein hässliches Gesicht sehen konnte. 

Wo sollte ich denn jetzt nur hin? Ich wollte unter keinen Umstände nach Hause, denn ich hatte Angst, dass dort noch immer mein Vater auf mich wartete. Ich konnte die Tränen nicht aufhalten, die sich langsam und still durch meine Augen bahnten. 

Ich saß dort für längere Zeit, bestimmt Stunden. Mir wurde kalt und ich zitterte leicht, bis ich eine Berührung an meinem Arm spürte. Ich schrak auf und hob meinen Kopf, um von einem hellen Lichtstrahl in ein anderes Universum befördert zu werden – jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass dies dieses metaphorische Licht am Ende des Tunnels war, nachdem man gestorben ist. 

"Hey, Kleine. Hast du kein Zuhause, oder was?", sprach mich ein verwirrter Polizist an, der wohl gerade Patrouille lief und mich während seiner Tour fand. War ich denn noch nicht einmal in einer heruntergekommen Gosse sicher? 

"Ich, ähm...", stammelte ich, doch schon stand ich auf meinen zwei steifen Beinen und der starke Mann vor mir ergriff meinen Arm und versuchte mich wachzurütteln. 

"Es ist schon elf Uhr, ist dir das klar? Bist du von zuhause abgehauen?", fragte er mich verärgert und ich sagte nichts und schüttelte auch nicht meinen Kopf, denn was ging diesem Fremden mein Leben an? Er hätte eh nur alles schlimmer gemacht. 

"Hat man dir nicht beigebracht, dass brave Mädchen sich nicht in dieser Gegend herumtreiben sollen?", fragte er mich und zog mich sprichwörtlich aus der Gosse und auf den Weg zurück zu meiner persönlichen Hölle – tut mir leid, ich meinte natürlich meinem Zuhause. 

"Wo wohnst du?", fragte er weiter und schon blieben wir kurz stehen, damit ich ihm Anweisungen geben konnte, doch ich betrachtete nur seine Schuhe und sagte nichts. 

"Willst du die leichte oder harte Tour? Glaub mir, ich bin echt nicht mehr in Stimmung für solche Spielchen.", sagte er streng und nun blieb mir nichts anderes übrig, als ihm zu gehorchen. 

"Ich zeig es ihnen.", sagte ich kleinlaut, hob meinen Blick und sah, dass er grinste. 

"Danke, Kleines. Mehr wollte ich doch gar nicht. Jetzt lass uns gehen, damit du wieder in Sicherheit bist.", sagte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, ließ meinen Arm los aber wich mir trotzdem nicht von der Seite. 

Als wir stumm nebeneinander gingen und er mich wortlos meinen Eltern übergab wusste ich, dass dies meine einzige Chance war, um jemand anderen um Hilfe zu bitten, doch ich nutzte sie nicht. 

"Passen sie besser auf ihre Ausreißerin auf.", sagte der Polizist mit einem sympathischen Grinsen auf dem Gesicht und überließ mich erneut meiner persönlichen Hölle. 

"Stehen geblieben, Fräulein. Wir sind noch nicht fertig.", ermahnte mich mein wütender Vater, hielt mich aber an meiner Schulter fest, damit ich mich keinen Millimeter mehr bewegen konnte. 

"Beeil dich besser, Liebling. Dein Essen wird kalt.", sagte meine Mutter lustlos, wendete uns den Rücken zu und verschwand erneut in das Esszimmer und überließ meinem Vater die volle Kontrolle über mich. Danke für nichts. 

"Wenn du nochmal wegläufst, wirst du dein blaues Wunder erleben. Wortwörtlich.", fing er wieder an mir zu drohen. 

"Du gehst morgen wieder in die Schule und wirst keinen weiteren Tag fehlen, bis du deinen Abschluss machst. Verstanden?", sagte er in einem dominanten Ton und merkte gar nicht, was er mit diesem Befehl bei mir anrichtete. 

"Verstanden?!", fragte er erneut, weil ich ihm keine sofortige Antwort gab. 

"Ja.", gab ich nur von mir und riss mich von ihm los, um daraufhin panisch die Treppen hochzulaufen und mich wieder in meinem Zimmer zu verstecken. 

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, brummte mir der Kopf und mein Hals kratzte. Wahrscheinlich hatte ich das verdient, nachdem ich stundenlang in irgendeiner dreckigen Gosse vor mich hin vegetiert hatte. 

Jeder Schritt an diesem Morgen fiel mir schwer und am liebsten hätte ich die Schule wieder geschwänzt, um mir den ganzen Tag lang Filme in der Stadt anzusehen, doch dann wäre ich wirklich so gut wie tot und den Stress wollte ich mir dann doch nicht antun. Ich musste eben Hoffnung haben, dass sich Oikawa nicht zu sehr freute, mich wiederzusehen, damit er mich erneut als seinen persönlichen Boxsack benutzen konnte. Ich hatte zudem die Hoffnung aufgegeben, dass er und seine Freunde ein neues Opfer gefunden hatten und dadurch das Interesse an mir verloren hatten - so viel Glück hatte ich dann doch nicht. 

Als ich durch das leere Haus wanderte und mit zittrigen Knien die Tür öffnete, um nach zwei Wochen wieder zur Schule zu gehen und mich jedem zu stellen, sah ich ihn an meinem Haus vorbeilaufen - Oikawa. 

Verdammt, fast hätte er herausgefunden, wo ich wohnte. Was machte er hier nur? Ich hatte ihn, seit dem Tag, an dem ich geboren wurde, noch nie hier in der Gegend gesehen. 

Ich ging mit langsamen Schritten aus der Haustür heraus und als ich auf die Straße trat, sah ich ihn.

Ich musste zugeben, wenn man seinen Charakter nicht kannte, hätte er jetzt gerade wie der netteste Junge auf der Welt aussehen können. Wie seine brauen Haare im Wind wehten und sein perfektes Lächeln sogar mich meine Probleme für eine Sekunde vergessen lassen konnte. Mir wurde in diesem Moment klar, warum jeder auf ihn stand und mir wurde auch bewusst, warum ich bei Typen wie ihm, niemals eine Chance hätten. Auf der anderen Seite war er aber auch der ekelhafteste Mensch, der mir jemals untergekommen ist. 

"Warum verfolgst du mich?", fragte er und ich merkte gar nicht, dass ich ihm langsam gefolgt bin. 


Liar | Oikawa x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt