Mitternacht

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"Du verdammter Idiot! Ich kann nicht glauben, dass ich dich wirklich geheiratet habe!", hörte ich ihr lautes Geschrei und das Zerbrechen von Geschirr. "Dann sind wir uns ja endlich einig!", erwiderte mein Vater lautstark.

"Hältst du mich etwa für dumm? Als ob ich nicht wüsste, dass du eine Affäre mit deiner dummen Sekretärin hast...", hörte ich wieder meine Mutter lautstark herum kreischen und dicht gefolgt weiteres Porzellan, das wohl gerade in tausend Scherben zersprang.

Wie jede Nacht versuche ich ihren Streit zu ignorieren, doch gerade heute waren sie extrem laut und es ging jedes Mal um das selbe Thema – ihre kaputte Ehe, an der meine Geburt natürlich Schuld war.

Anfangs versuchte ich noch, sie zu beruhigen und ihren Streit zu schlichten, aber ich wurde nur unachtsam zur Seite geschubst und ignoriert, deshalb gab ich schlussendlich alle Hoffnung auf.

Ich hasste die beiden so sehr, denn wie konnte man nur ein Kind in die Welt setzten, wenn man sich, nach einer kleinen Enttäuschung, dazu entschied, sie für ihr restliches Leben wie Luft zu behandeln?

Dann hättet ihr keine Kinder bekommen sollen.

Wenn man endlich die Chance bekam, die Rolle eines Elternteils zu spielen, sollte man dann nicht versuchen, seinen Job, so erfolgreich wie eben möglich, zu erledigen und die eigene Tochter nicht wie ein Häufchen Elend zurück zu lassen?

Ich hätte ihre Pläne, die sie für mich hatten, mit Leichtigkeit in Erfüllung gehen lassen können, doch im Gegenzug hätte ich mir etwas Liebe gewünscht. Eine Umarmung hier, ein "Gut gemacht!" da und etwas Unterstützung und schon hätte ich alles getan, was sie von mir verlangt hätten.

Meine Eltern hatten die Aufgabe, mich vor allem Böse zu beschützen, doch nein - sie warfen mich bewusst den Wölfen zum Fraß vor.

Ich hielt mir die Ohren zu, tauchte unter meine Bettdecke und nahm mein Handy raus, um eine Chance auf Ablenkung zu bekommen. Ich war froh, dass ich vorher daran dachte, meine Tür abzuschließen, damit mich nun niemand stören konnte.

Ich stopfte mir die Kopfhörer in meine Ohren, die ich vorher schon unter meinem Kopfkissen vorbereitet hatte und nun versuchte ich ihre sinnlosen Anschuldigen mit meiner Lieblingsplaylist zu übertönen.

Leise Klavierklänge fingen an meine Ohren zu füllen und ich atmete darauf beruhigend ein und aus und schaffte es, die Realität für eine Sekunde ignorieren zu können.

Ich legte mein Handy zur Seite und schloss meine Augen, in der Hoffnung, meine Musik hätte mich in das nächste Traumland katapultiert, aber leider war noch immer nicht das Glück auf meiner Seite, denn ich spürte fünf Minuten später die Vibration meines Telefons.

Friendsarc. Er hatte mir wieder geschrieben.

Ich verfluchte den Tag, an dem ich diese blöde App auf meinem Handy installiert habe, doch er machte mich neugierig und jetzt ich keine Wahl mehr. Das helle Licht des Bildschirms blendete mir direkt in die Augen und für kurze Zeit sah ich Sterne und schon realisierte ich, dass es keinen Zweck mehr hatte, jetzt noch zu schlafen.

Ich klickte genervt auf die Benachrichtigung und schon las ich seine Worte, die mich wenig beeindruckten, denn sie waren, wie üblich, inhaltslos.

Akio: Na Kleine, noch wach?

Ich hasste es, wenn er mich Kleine nannte, doch er hörte einfach nicht auf mich und tat, was er wollte. Irgendwie fand ich es schön, dass er mich so nannte, nur war ich es nicht gewohnt und ich bekam ein warmes Gefühl in meinem Bauch, das mir unbekannt vorkam und auch den verschnellerten Herzschlag wollte ich nicht spüren, denn von diesem bekam ich Angst.

Liar | Oikawa x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt