Ich drehte mich erschrocken um und fühlte erneut die Angst in mir aufsteigen. Was hatte das nun wieder zu bedeuten? Konnte sie mich nicht für heute in Ruhe lassen? War es nicht genug, dass ich ihre schönen Augen morgen wieder in der Schule erblicken musste?
Ich setzte mich erneut auf meinen Schreibtischstuhl und faltete meine Hände zusammen, um sie für kurze Zeit zu beruhigen. Ich bewegte leicht meinen Kopf hin und her, um die Sorgen von mir zu schütteln.
Ich klickte auf den Posteingang, der aus wenigen E-Mails bestand, obwohl ich die Adresse schon einige Jahre besaß. Ich hatte sie eingerichtet, weil ich dachte, dass mich vielleicht eines Tages jemand danach fragen würde und ich dann vorbereitet war. In der heutigen Zeit schrieb aber kaum jemand mehr Mails, was mich traurig machte - schlimm genug, dass Briefe ausstarben und jetzt das.
Ich checkte die Liste und erblickte ganz oben eine Mail mit dem Betreff Auf der Suche nach neuen Bekanntschaften?, bei dem ich meine Augen rollte, doch irgendetwas in mir wurde neugierig. Warum bekam ich so eine Nachricht?
Es musste sich ganz offensichtlich um Spam handeln, aber meine Finger glitten nicht über den Button, der die Nachricht löschte, sondern direkt auf die Mail - ich schien einfach unglaublich naiv gewesen zu sein. Ich hatte eigentlich genug von der Menschheit, und allem was dazu gehörte, doch was wäre gewesen, wenn es noch mehrere Personen auf dieser Welt gab, die das selbe wie ich durchmachten?
Ein kleiner Blick schadet nicht.
So blöd wie ich war, las ich mir die Sätze aufmerksam durch.
Hast du es satt, in der wirklichen Welt Freundschaften knüpfen müssen? Was würdest du sagen, wenn ich dir erzähle, dass es online tausende von Menschen gibt, die sich freuen würden, dich kennenzulernen? Zögere nicht und melde dich heute noch an! Friendsarc, dein zukünftiges zweites Zuhause. Melde dich heute noch an!
Also, bitte - was war das denn für ein bekloppter Name? Friendsarc?
Ich habe den Namen mal in der Schule aufgeschnappt, aber mich nicht weiter mit diesem neuen Trend auseinandergesetzt, weil ich nicht dazu gehörte. Ich wusste, dass, weder im realen Leben noch online, jemand etwas mit mir zu tun haben wollte.
Sollte ich mich dort anmelden?
Was dachte ich denn da? War ich verrückt geworden? Das durfte unter keinen Umständen passieren. Was wäre, wenn mich jemand aus meiner Schule gefunden hätte? Dann wäre alles nur noch schlimmer gekommen.
Trotzdem wurde irgendetwas in meinem Körper von dieser Seite angezogen und ich konnte in diesem Moment an nichts anderes denken, als es zu probieren.
Tu es. Klick auf den Link.
Verdammt, mein Gehirn wollte einfach nicht seine Klappe halten. Was erhoffte ich mir denn davon? Eine Freundschaft fürs Leben? Eine Beziehung? Bei dem Gedanken schüttelte ich meinen Kopf.
Kein Junge dieser Welt würde mich auf diese Weise anfassen wollen.
Jemand, der mir zuhören würde, ohne mich zu verurteilen? Jemanden, der meine tiefsten Gedanken und Gefühle für sich behalten hätte? Jemanden, der sich für mich interessierte? Jemanden, der für mich sterben würde?
Also bitte, Ran. Mach dich nicht lächerlich. Wer denkst du, wer du bist?
Trotzdem musste es doch wenigstens eine verfluchte Person auf diesem Planeten geben, die ein ähnliches Leben führte - es musste einfach so sein.
Ich klickte auf den Link und dachte nicht weiter darüber nach, denn jeder weitere Gedanke war Zeitverschwendung. Ich könnte im Bett meine Tränen vergeuden, oder einen letzten Versuch wagen, eine Person zu finden, mit der ich mich austauschen konnte und die mich nicht verurteilt hätte - jemanden, der mich mochte.
Die Website war überschwemmt mit Farbe und bunter als ein Regenbogen es je hätte sein können. Ich fühlte mich überfordert und geblendet, denn damit hatte ich nicht gerechnet. Wenn ich so darüber nachdachte, war es aber genau das, was Teenager in meinem Alter anziehend fanden.
Sie liebten Partys, helle Lichter und wollten die dunkle Welt, in der sie lebten, so bunt wie nur möglich erscheinen lassen - wenn auch nur für einen kurzen Augenblick.
Herzlich willkommen in deinem neuen Leben!, begrüßte mich das Banner der Seite und gab mir kurzzeitig die Hoffnung, die ich so lange herbeisehnte.
Der Bildschirm gab mir nur die Chance, mich anzumelden oder zu registrieren. Ich wägte alle Folgen ab, die meine Entscheidung, mich hierauf einzulassen, hatte, aber ich wollte nicht auf meinen Kopf hören, der mir sagte, dass ich eine schlechte Wahl getroffen hatte, denn ich gab schon längst meine E-Mailadresse an und dachte mir ein Passwort aus, ehe ich auf Bestätigen drückte und ich zu meinem Profil weitergeleitet wurde, das ich nun bearbeiten durfte. Ich wählte ein Foto aus, auf dem eine beliebige Animefigur abgebildet war, deren Bild ich vor Urzeiten abgespeichert hatte.
Niemand aus der Schule durfte erfahren, dass ich mich auf dieser Seite aufhielt, denn sonst wäre ich ihnen, auch Zuhause, pausenlos ausgeliefert gewesen. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie sie mich durch Hassnachrichten online zu Grunde gerichtet hätten. Ich hätte im Internet keine Sekunde überlebt. Indem ich ein Bild von mir selbst reinstellte, hätte ich mein Todesurteil unterschrieben.
Nun war es an der Zeit, mich für einen Namen zu entscheiden. Ich zögerte erst kurz und wollte meinen echten Namen hinschreiben, weil ich eh nichts mehr zu verlieren hatte, aber es war falsch - man gab nicht einfach im Internet seine persönlichen Informationen preis, denn was wäre gewesen, wenn sie in die falschen Hände gekommen wären?
Ich entschied mich für den Namen Mika, denn das war der Name meiner Katze, die vor einigen Jahren verstarb - sie war mein Ein und Alles. Sie war zwar nur ein Haustier, die gar nicht wusste, warum ich so stark an ihr hing, aber sie war immer für mich da, wenn ich alleine und traurig war. Ich habe nie aufgehört, mich einsam zu fühlen, wenn das Licht um mich herum wieder dunkel wurde und mich zu erdrücken schien. Mein Vater hatte mir überraschenderweise ein Tier erlaubt, doch nur, weil sie vor anderen heucheln wollten, was sie denn für offene und nette Eltern waren. Wenn niemand hinsah, haben sie mir Mika teilweise abgenommen, um mich zu bestrafen - sie wussten, wie sehr sie mein Leben bereicherte und mich zum Lachen brachte. Sie durften dies unter keinen Umständen zulassen.
Als sie schlussendlich starb, fiel ich in ein noch größeres Loch, denn nun war ich endgültig allein. Es gab niemanden mehr, der bei mir sein wollte und mich liebte wie ich war – ich meine, es war nur eine Katze, aber mir war klar, dass mich sowieso niemand verstanden hätte und genauso wenig, wenn ich meinen damaligen Gefühlszustand erklärt hätte. Ich habe mir die Worte damals gespart. Sie kam überraschend und ging still.
Ich schüttelte meinen Kopf, um die unangenehmen Gedanken bis auf Weiteres zu verdrängen und konzentrierte mich wieder auf die Seite, die mich zum Communityfeed weiterleitete.
Ich wurde von der Schnelllebigkeit der Seite erdrückt. Jede Sekunde kamen neue Nachrichten rein und ich wusste gar nicht genau, wo ich anfangen sollte. Eine Userin fragte nach den Hausaufgaben und ein anderer postete ein Selfie, auf dem er sein Outfit präsentierte. Anhand der Profilbilder konnte ich einige Leute aus der Schule wiedererkennen und checkte einige ihrer Accounts ab, um mich noch mehr zu bestrafen, weil jeder ein besserer Leben als ich zu haben schien.
Mein Plan war zum Scheitern verurteilt, bis ich einen User fand, der mir ins Auge fiel, denn auch er hatte ein ganz anderes Anzeigebild – er stach förmlich aus der Masse heraus und gab mir ein letztes Gefühl der Hoffnung.
Warum war sein Profilbild ein Volleyball?
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Liar | Oikawa x OC
FanficRan scheint keine strahlende Zukunft zu haben, da sie tagtäglich gemobbt und ausgegrenzt wird - warum, das weiß sie selber nicht. Als sie eines Tages dem beliebtesten Jungen, und gleichzeitig ihrem schlimmsten Feind, begegnet, scheint dieser Interes...