Der Beweis

312 23 0
                                    

In meinem Zimmer angekommen, blieb mir nichts anderes übrig, als meine Tasche in die letzte Ecke zu pfeffern und mich langsam auf mein Bett zu bewegen. Ich wollte mich nur noch unter meiner Decke verkriechen und meine Probleme in der echten Welt ignorieren.

Mein Zimmer erlaubte kein Licht, denn ich wollte verhindern, dass mich jemand beobachten konnte, wenn ich am verletzlichsten war. Zu meinem Ärger schafften es aber einzelne Sonnenstrahlen, sich ihren Weg durch die Jalousie zu bahnen.

Hier in meinem Zimmer konnte ich sein, wer ich war. Ich konnte weinen, lachen, schreien und auch still sein, wenn ich mich danach fühlte. Es war wie eine Isolation, in die ich einsteigen konnte, wann immer ich wollte. Niemand nahm mich wahr oder konnte mich hören.

Mein Zimmer war nicht besonders groß. Es passte gerade so ein Bett und ein hölzerner Schreibtisch rein - mehr erlaubten mir meine Eltern nicht. Ich musste mich aber nicht schämen, denn Freunde hatte ich ja keine, die ich zu mir einladen konnte.

Mir war klar, dass ich alleine war, das war mehr als offensichtlich, und doch war ich mir nicht klar, was ich wirklich wollte. Die Leute sahen, dass ich zerbrechlich war und nutzten das schamlos aus, deshalb vertraute ich niemandem mehr. Ich war alleine, ganz klar - aber war ich auch einsam?

Mein Gehirn wollte nicht aufhören, über solch sinnlose Fragen nachzudenken, weswegen ich es dazu zwang und ich mich in meine Bettdecke kuschelte, nachdem ich meine dreckige Schuluniform auszog und mir, um vier Uhr nachmittags, meine Schlafklamotten anzog. Wen interessierte es, wie ich aussah? Mein Körper schmerzte, als ich meine Schulter hob, um mir ein frisches Shirt überzustülpen und ich stöhnte leise auf.

Ignoriere den Schmerz. Bleib in Bewegung. Atme weiter. Lebe weiter.

Ich steckte ein letztes Mal meinen Kopf durch meine Tür, um sicherzugehen, dass niemand mehr da war.

Du bist alleine. Denkst du, dass sie plötzlich ihre Meinung geändert hat?

Ich schüttelte mit dem Kopf, ging auf mein Bett zu und vergrub mein Gesicht in meinem Kissen - ich hatte genug gehört. Manchmal wollte ich mir meine Ohren abreißen, um allen Mist um mich herum auszublenden - vielleicht wäre ich dann glücklicher gewesen.

Ich konnte nicht mehr richtig atmen, weil mir, durch die Verletzung an meiner Brust, die Luft weg blieb, und versuchte mich daher nun auf meinen Rücken zu drehen.

Ich schloss meine Augen und versuchte an etwas schönes zu denken. Tatsächlich schaffte ich es, an nichts zu denken.

Nichts. Mein Kopf war leer. Ich war müde. Zu müde.

Plötzlich ein lautes Geräusch - ping!

Verdammt. Ich hatte vergessen meine Benachrichtigungen auf meinem PC auszustellen. Es war ein Geräusch, das ich seit langem nicht mehr gehört hatte und es war ein Wunder, dass ich es in diesem Leben nochmal miterleben durfte - ich hatte eine E-Mail bekommen.

Erschrocken schreckte ich hoch und schon fingen meine Finger erneut zu zittern an. Ich stand langsam, und mit starkem Herzklopfen, von meinem Bett auf. Meine Beine steuerten, wie automatisch, auf den Tisch vor mir zu. Mein Magen schmerzte und ich hoffte nur, dass ich aus Versehen irgendwo meine Adresse angegeben hatte und nun diese lästigen Spammails bekam, doch dem war nicht so - ich konnte es fühlen.

Ich setzte mich auf den Stuhl, der genauso klapprig wie meine Beine war, und öffnete meinen E-Mailorder. Die Nachricht hatte keinen Betreff und der Name des Absenders kam mir auch nicht bekannt vor.

Mein Finger schwebte über dem Knopf, der die Nachricht öffnete und ich nahm ein letztes Mal meinen ganzen Mut zusammen und drückte auf Öffnen. Bei dem Anblick der Nachricht wurde mir so schlecht und ich drohte, mich zu übergeben.

Es war ein Foto von mir, wie ich dreckig und halb bewusstlos am Boden lag. Die Nachricht wurde von Ayumi verschickt. Ich konnte nicht mehr atmen.

Wenn du es nur wagst, jemandem davon zu erzählen, wirst du dir wünschen, niemals geboren worden zu sein. Denke ja nicht, dass du jetzt sicher wärst. Ich lass dich nicht aus den Augen.

Mein Magen verknotete sich und ich konnte nicht anders, als in mein Badezimmer zu stürzen und all die Angst aus meinem Körper zu befördern. Meine Beine zitterten noch schlimmer als vor einer Minute, jedoch hatte ich keine Wahl, als in diese Hölle zurückzugehen und die Nachricht abzuspeichern.

Ich hatte unheimliche Angst vor ihr. Ganz besonders, weil ich dachte, dass sie mich umbringen wollte. Sie bedrohte mich und mein, halbwegs, gesunder Menschenverstand sagte mir, dass ich es abspeichern sollte.

Was ich aber nicht wusste war, dass ich zu diesem Zeitpunkt die Nachricht nur retten wollte, damit ich mir jeden Tag zeigen konnte, dass ich wertlos und nicht liebenswert war - ich hatte nun den Beweis.

Ich umklammerte fest den Toilettensitz, spülte mein Elend runter und wischte mir die Überreste von meinem Mund. Ich konnte es dieses Mal nicht kontrollieren - ich baute drastisch ab.

Ich stand vor der Badezimmertür, fürchtete mich aber davor, sie zu öffnen und wahrhaftig zurück in mein Zimmer zu müssen. Es fiel mir unglaublich schwer. Ich atmete tief durch, drückte die Türklinke nach unten und ging mit zögerlichen Schritten zurück - ich hatte Angst davor, mich wieder mit dieser beschissenen Mail auseinandersetzten zu müssen.

Ich versuchte meinen Schultag, und alles um mich herum, zu ignorieren, doch es schien niemandem recht zu sein. Ich versuchte nicht mal mehr, nett, oder gemein zu anderen zu sein, denn es machte keinen Sinn. Egal was ich versuchte, ich hätte es niemandem recht machen können.

Wäre ich freundlich gewesen, hätten mich die Leute leicht ausnutzen, und mich als naiv abstempeln, können. Wenn ich zu allen, ohne Grund, fies gewesen gewesen wäre, dann wäre ich wahrscheinlich noch verhasster, als ich es ohnehin schon war. Ich beschloss einfach dieses Ding, das andere Leben nennen, hinter mich zu bringen - das war die richtige Entscheidung.

Als ich in meinem Zimmer ankam, musste ich erneut tief ein- und ausatmen, während ich meine Rippen versuchte, zusammen zu halten.

Du schaffst das. Tu es einfach.

Ich ging auf den Rechner zu und drückte meine Augen leicht zusammen, sodass ich das Foto nicht mehr richtig erkennen musste. Ich drückte schnell auf Speichern und schloss die Mail. Ich fühlte mich für kurze Zeit erleichtert, als ich mich umdrehte, um mich wieder ins Bett zu legen und die letzten Minuten zu vergessen, als plötzlich wieder dieses Geräusch ertönte - Ping!

Liar | Oikawa x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt