Menschenmenge

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Nun lag ich hier und wusste nicht mehr, wohin mit mir. Ich war alleine. Hungrig lag ich hier in der Dunkelheit und wünschte mir, dass mich jemand hielt - ganz egal wer. Ich musste nur eine warme Berührung spüren, die mir sagte, dass alles wieder gut werden konnte – doch da war niemand. 

Es waren nun zwei Wochen vergangen, in denen ich nicht in der Schule war und sich kein Schwein für mich interessierte – keiner außer Akio, mit dem ich fast täglich schrieb und er mich fragte, wie es mir ging und mich mit netten Sprüchen zuballerte, doch ich konnte und wollte ihm nicht vertrauen, obwohl mir seine Aufmerksamkeit schmeichelte und er diese verdächtigte Flirtmaschen an den Tag legte, doch ich fühlte mich endlich als Frau akzeptiert – wenn auch nur für eine kurze Zeit. Ich merkte, dass er sein Bestes gab, doch irgendwas in mir schaffte es nicht, seine Worte ernst zu nehmen.

Akio: Wie war die Schule heute?

Ich druckste herum und tippte mehrere Male eine Antwort, doch löschte wieder jedes einzelne Wort, da ich ihn nicht belügen wollte und nun nach einer Möglichkeit suchte, in der ich nicht lügte, sondern eher verheimlichte. 

Ich biss mir unterbewusst die Haut von meiner Unterlippe und schrieb solange Nachrichten, die ich sofort wieder löschte, bis es mir zu dumm wurde und betete, dass ich ihn zufriedenstellen konnte, obwohl ich mir dumm dabei vorkam, einem Fremden gefallen zu wollen. Jedoch haben wir ja auch eine Abmachung getroffen und ich wollte ihm eine Chance geben, mich kennenzulernen.

Mika: Na ja, du weißt schon. Die Lehrer geben einem tonnenweise Hausaufgaben und man denkt während des Unterrichts lieber an das kommende Wochenende. Kurz gesagt: Schule nervt wie immer, aber das Gefühl kennst du ja bestimmt.

Akio: Ja, aber meine Freunde muntern mich immer auf, aber das kennst du ja bestimmt.

Nein, das tat ich nicht. Ich wusste nicht, wie es war Freunde zu haben. Ich hatte keinen blassen Schimmer.

Mika: Hast du viele Freunde?

Akio: Genug um am Wochenende nicht alleine zuhause sitzen zu müssen.

Mika: Feiern gehen wird überbewertet. Wusstest du das nicht?

Akio: Das würde nur eine waschechte Stubenhockerin behaupten und das bist du doch bestimmt nicht, oder?

Bei seiner Antwort musste ich schmunzeln und... 

"Ran! Mach sofort die Tür auf!", hörte ich die strenge Stimme meines Vaters, der so klang als wollte er eine Sekunde später am liebsten meine Tür mit einem Rammbock auseinandernehmen. 

Plötzlich interessierte sich mein liebevoller Papa für mich? Wohl kaum. 

Trotzdem stieg Angst in mir auf. Er sprach seit Jahren nicht mehr wirklich mit mir und wenn er es tat, musste etwas wirkliches Schlimmes passiert sein. 

Ich schloss schnell den Browser, fuhr meinen Rechner herunter und schnappte mein Handy, das ich in sekundenschnelle in meine Hosentasche verschwinden ließ. 

Ich sterbe jetzt. 

Er hämmerte an die Tür und mein Hals wurde plötzlich staubtrocken. Ich musste ihm gehorchen und ging deswegen auf die Tür zu und drehte den Schlüssel um, entfernte mich aber in Lichtgeschwindigkeit von ihr, damit er mir nicht die Tür in mein Gesicht knallen konnte – obwohl ihm das sowieso egal gewesen wäre. 

Er kam äußerst wütend in mein abgedunkeltes Zimmer und schmiss Sachen von meinem Schreibtisch auf den Boden, um mir zu zeigen, dass er wütend war und etwas kaputt machen musste, um sich nicht an mir abzuregen. 

"Ran, wo warst du heute?", fragte er sauer und ich wusste, dass es keinen Sinn hatte ihn anzulügen, denn er wusste was los war – irgendjemand musste es ihm gesteckt haben. Ich sagte nichts und starrte verängstigt auf den Boden. 

"Schau mich an, wenn ich mit dir spreche!", befahl er mir und ich gehorchte erneut. 

"Die Schule hat mich gerade angerufen und mir gesagt, dass du seit zwei Wochen unentschuldigt fehlst. ZWEI WOCHEN! Bist du noch ganz dicht?", fragte er sauer und erwartete eine Antwort von mir. "Ist es dir egal, dass die Leute reden? Für deine Mutter und mich steht einiges auf dem Spiel! Deine Zukunft scheint schon gelaufen zu sein, doch wir als deine Eltern haben eine Menge zu verlieren. Hey, hörst du mir eigentlich zu?", fragte er, hob seine Hand um mich wachzurütteln, so wie er es immer nannte, doch ich nutze diese Chance und schlüpfte unter seinem Arm hindurch, stürmte aus dem Zimmer, schnappte meine warme Jacke und dachte keine zwei Sekunden darüber nach, schon war ich aus dem Haus verschwunden. 

Dem Haus, das eigentlich der sicherste Ort der Welt für mich hätte sein sollen, doch im Gegenteil - ich verabscheute es. Das war nicht das erste Mal, dass ich vor meinem Vater davon lief, doch es wurde von Mal zu Mal leichter. Er kam mir noch nicht hinterher, weil er wusste, dass sich die Mühe, für jemanden wie mich, nicht gelohnt hätte und ich konnte es ihm nicht verübeln, denn ich war ein Niemand.

Ich rann und wusste, dass mich meine Nachbarn erneut beobachteten, doch besonders heute war es mir mehr als egal. Ich rettete mich in eine Gasse, die zu einer belebten Straße führte, die vor Geschäften und deren Kunden nur so wimmelte. Hier konnte ich gut untertauchen, während sich andere über belanglose Dinge stritten, wie zum Beispiel welches Paar Schuhe man dem Kind als nächstes kaufen sollte, obwohl sie sich nur minimal in der Farbe unterschieden. 

Mein Blick erhob sich nicht von dem gepflasterten Boden und ich versuchte nicht zu stolpern, um die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. 

"Na, wen haben wir denn da?", hörte ich eine dunkle Stimme und bemerkte, dass diese auch einen gewaltigen Schatten auf mich legte. 

Es war Oikawa. 

Fast schon reflexartig hob ich meinen Kopf und schaute in seine kalten, leblosen Augen. Hatte ich nicht die Schule geschmissen, um diesem Vollidioten und seinen Freunden nicht mehr zu begegnen? 

Das hatte ich ja wieder ganz toll hinbekommen, dachte ich und musste mich wirklich zusammenreißen, um ja nicht vor Oikawa mit meinen Augen zu rollen. 

"Wollten wir uns nicht aus dem Weg gehen oder wie lautete deine dämliche Regel nochmal?", fragte ich und jetzt wo ich mich jederzeit in meinem Zimmer einschließen konnte und diesem Penner nicht mehr täglich in der Schule begegnete, wurde ich dementsprechend auch mutiger - oder eher kälter? 

"Wir haben uns nur gefragt, ob du noch lebst oder du dich da selber drum gekümmert hast. Schade aber auch.", sagte er und lachte unbekümmert. "Hast du gerade etwa mit den Augen gerollt?", fragte er und kam wieder einen Schritt näher auf mich zu. 

Das hatte Oikawa gar nicht anders verdient und er konnte froh sein, dass er nur meine rollenden Augen sah, denn ich war gerade in der Stimmung ihm schlimmeres anzutun, aber ich wollte unter keinen Umständen auf sein Niveau sinken. 

"Lass mich doch einfach endlich in Ruhe.", sagte ich und klang müder als ich erwartet hatte. 

"Tooru, was ist denn hier los? Wer ist das? Da lass ich dich mal eine Sekunde alleine...", sagte eine Frau, die plötzlich neben ihm auftauchte. Das war nicht Ayumi und auch nicht die vom Dach. Warum war so ein überhebliches Arschloch nur so beliebt? 

"Das ist niemand.", sagte er und ergriff ihre Hand, um einen dramatischen Abgang hinzulegen, doch eine letzte Warnung konnte er sich nicht verkneifen. "Man sieht sich, Ran.", sagte er und zischte dann ab und verschwand in der Menschenmenge.

Woher kannte er plötzlich meinen Namen?

Liar | Oikawa x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt