Hoffnung

260 22 2
                                    

Wie konnte er es nur wagen? Er kannte mich gar nicht und verurteile mich direkt über das Internet? Wie in aller Welt kam er darauf, dass ich etwas zu verheimlichen hatte? Nur weil ich eine indirekte Andeutung gemacht hatte, die ich nun bereute, hieß es ja nicht gleich, dass ich Geheimnisse hatte, die ich ihm hier und jetzt hätte offenbaren sollen und überhaupt, warum hatte ich das Gefühl, dass er mit mir flirtete?

Ich hatte zwar null Erfahrung was das anging, aber trotzdem war ich ja nicht komplett ahnungslos - besonders nicht, wenn ich meine Traurigkeit in Büchern ertrinken lassen wollte, die von Paaren handelten, die kriegen, was mir für immer verwehrt bleiben sollte - Liebe, Loyalität und eine Person an meiner Seite, der ich mein gesamtes Leben gewidmet hätte. Was für ein Unsinn.

Ich war trotzdem sauer auf diesen Akio, der so tat, als wäre ich so mysteriös. Es wird Zeit, diesem Besserwisser den Kopf zu waschen.

Wow, im Internet ist man wirklich mutiger.

Mika: Quetscht du fremde Leute online immer direkt nach ihrer Lebensgeschichte aus? Schonmal was von Small Talk gehört?

Ich rollte mit meinen Augen, während meine Rippe für eine Sekunde zwickte und mich daran erinnerte, dass Karma existierte. 

Akio: Den überspringe ich immer direkt, wenn mir Leute sympathisch sind. Small Talk wird doch nur zwangsweise benutzt, damit man dem anderen vorheuchelt, dass man ein Gespräch mit ihm führen will, obwohl man am liebsten sterben würde.

Verflucht! Warum war er nur so schlau? 

Mika: Was macht mich denn so sympathisch? Meine zynischen Antworten oder der Fakt, dass ich jetzt am liebsten sterben würde?

Der letzte Teil meiner Frage war, um ehrlich zu sein, nicht gelogen, aber das musste er ja nicht wissen. Ich hatte die Hoffnung, dass er den Sarkasmus erkannte und nicht auf meine Wahrheit ansprang. Ich wusste gar nicht, warum ich gerade meine Zeit mit einer fremden Person online verbrachte, die noch nicht einmal ein Profilbild vorzuweisen hatte, aber mit Sicherheit wurde ich von meinem Hirn gesteuert, dass mir sagte, dass jeder eine Freundschaft verdiente – auch so eine gebrochene Person wie ich, die schon lange alles und jeden aufgegeben hatte, vorangehend ich selbst.

Akio: Bin ich denn wirklich so grauenvoll?

Ich hatte wirklich nicht das Recht, andere zu verurteilen, doch seine Antwort gab mir typische Pick Me Vibes, weswegen ich mir ein sanftes Grinsen nicht verkneifen konnte. Vielleicht knüpfte ich gerade mit meinem Seelenverwandten Freundschaft und wusste es gar nicht, deshalb hielt ich mich doch lieber zurück und urteilte nicht zu schnell.

Mika: Glaub mir – es gibt Menschen, die wahre Monster sind. Die ganze Welt ist voll von ihnen, man muss nur die Augen öffnen und genau hinsehen. Klar gibt es Ausnahmen, aber ob du dazu gehörst, ist mir noch nicht bewusst.

Ich atmete kurz auf, da mir meine, erstaunlich ehrliche, Antwort ziemlich düster vorkam, aber wenn er mich wirklich nett fand, musste er auch meine Meinung zu bestimmten Themen kennen. Bevor ich die Antwort abschickte, tippte ich mit meinen dürren Fingern auf der Tastatur herum und biss ein Stück Haut meiner trocknen Lippe ab. 

Mika: Überzeug mich doch vom Gegenteil.

Wann war ich so mutig geworden? Ich zögerte keine Sekunde und schickte die Nachricht sofort ab. Ich hielt die wenigen Tränen zurück, die sich vor Angst durch meine Augen bahnten und bekam Gänsehaut, als ich seine Antwort las. 

Akio: Nichts einfacher als das.

Ich drückte auf Herunterfahren und dachte über die letzten zwei Minuten nach und darüber, was ich getan hatte und fiel erschöpft in mein Bett. In meinem Zimmer war es plötzlich still, bis ich die Tür hörte, die unten ins Schloss fiel.

"Bin  ich froh, dass diese blöde Göre noch in der Schule ist.", hörte ich die Stimme meiner Mutter, die an meiner Zimmertür vorbeiging und sich einen abwertenden Kommentar nicht verkneifen konnte. Sie gab sich keine Mühe, um meine Klinke runter zu drücken und zu sehen, ob ich nicht doch da war und etwas Trost brauchte. Bin ich froh, wenn ich meinen Abschluss in  der Tasche hatte und von hier weg konnte. Wohin? Wusste ich nicht, aber sogar unter der Brücke bei den Obdachlosen war es familiärer als hier in dieser Hölle.

In den nächsten Tagen habe ich nichts mehr von dem Jungen gehört, der mir ja unbedingt beweisen wollte, dass ich ihm vertrauen konnte, doch er enttäuschte mich mit jeder Sekunde mehr - ich war nicht überrascht, denn damit hatte ich schon gerechnet, jedoch hatte ich auch eine Spur von Hoffnung, denn er gab sie mir in diesem Moment.

Mir erschien es, als würde das Mobbing immer schlimmer werden, denn dem war auch so. Ayumi konnte sich nicht lange zusammenreißen und wurde auch von ihrem Gefolge angestachelt, doch sie weigerte sich, ihre Hände selber schmutzig zu machen. Sie wollte kein Blut an ihren Händen haben oder in Schwierigkeiten kommen, denn ihr reiner Ruf stand auf dem Spiel. Von außen hin wurde sie als die perfekte Schülerin angesehen. Keine schlechten Noten, war Schülersprecherin und lügte sich mit dieser Heuchelei durch die Welt.

Mir wurde jedes Mal schlecht, wenn ich sie sah.

Besser wurde es auch nicht, als ich sie einige Tage später zusammen mit Oikawa sah, von dem sie sich die Hand wärmen ließ. Ich hatte Angst vor ihr aber noch mehr fürchtete ich mich vor der ekelhaften Heuchelei, die beide tagtäglich an den Tag legten.

"Hey, Ran.", sprach sie mich mit erhöhter Stimme an, als ich plötzlich etwas nasses an meinem Rücken spürte. Was hatten die beiden da gerade getan?

Liar | Oikawa x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt