Nacht und Nebel Aktion

217 17 2
                                    

Der leichte Regen tropfte mir die Haare herunter und glitt langsam an meiner Jacke herab. Es roch frisch nach einer kalten Herbstnacht und das Plätschern der Pfützen unter mir, war kaum zu überhören.

Ich rieb mir meine Arme und fragte mich nun zum tausendsten Mal, was ich hier überhaupt wieder leichtsinniges anstellte.

Es war nicht wirklich schwer, mich aus dem Haus zu schleichen, weil, nachdem sie gleichzeitig einige Gläser Wein gekippt hatten, meine Eltern, bewusstlos und erschöpft von ihrem Geschrei, auf dem Sofa im Wohnzimmer zusammengebrochen sind – keine Sorge, denn am nächsten Morgen hätten sie sich wieder gefragt, wie sie dort gelandet sind und hätten sich unwissend einen Kaffee reingezogen und wären dann in ihre jeweiligen Büros gefahren.

Typisch.

Die Lichter der Stadt waren hell erleuchtet und es herrschte noch reger Betrieb, was selbstverständlich für einen Samstagabend sein sollte, aber da ich nie das Haus verließ, konnte ich in der Vergangenheit nur meine Fantasie spielen lassen.

Ich fühlte mich unwohl und das war auch jedem bewusst, der sich in meinem Umkreis aufhielt, denn ich konnte die verwirrten und verurteilende Blicke in meinem Rücken spüren, die mir das ein oder andere Paar zuwarf, das händchenhaltend an mir vorbei ging und manche lachten auch auf und ich redete mir ein, dass sie mich meinten, obwohl ich gar nichts tat.

Ich stand hier vor diesem kleinen Hotel, zu dem ich bestellt wurde. Ich traute mich nicht, dieses Gebäude zu betreten, denn in diesem wartete Akio auf mich – oder wer auch immer er wirklich war.

Er hatte es geschafft, dass ich mich in Gefahr begab und ich bei der ersten Gelegenheit einem Fremden aus dem Internet vertraute, doch noch immer stellte ich mir die Frage, was ich denn nun noch zu verlieren hatte - eigentlich gar nichts.

Ich wurde in meinem gesamten Leben nur herumgeschubst, beleidigt, verprügelt und verachtet.

Jetzt wo diese Erkenntnis wieder in mir hoch kam, fasste ich mir an meine Rippe, die langsam verheilt war, aber bei schlechtem Wetter tat sie manchmal weh, doch ich habe gehört, dass man sich sowas nach einer Verletzung gerne mal einbildete und es ein solches Phänomen nicht in Wirklichkeit gab.

Ich wusste nicht, was ich hier tat und ich hatte plötzlich Angst und war schon auf dem Weg, einen Schritt zurück zu machen, aber auch wenn nun eine gefährliche Person auf mich wartete, würde sie mich wenigstens endlich aus meinem Elend erlösen – aber ich wollte mich in Akio nicht getäuscht haben.

Er war meine einzige Hoffnung auf etwas Glück.

Die Chance durfte ich nicht einfach so wegschmeißen.

Somit trug ich meine nervösen Beine in die Eingangshalle und ging langsam auf die Rezeption zu, doch traute  mich nicht, dem Mann dort in die Augen zu sehen.

"Kann ich dir helfen?", fragte er und ich wusste überhaupt nicht, warum ich ihn überhaupt ansprach, denn es war wie verhext – er wirkte total angenervt.

Daran, dass er seinen Job hasste und deswegen total frustriert war, dachte ich nicht und nahm seinen Tonfall wieder persönlich.

Akio hatte mir die Zimmernummer gegeben und mir gesagt, wann er da sein würde und es meine Entscheidung war, ob ich kam oder nicht, doch es gab eine Bedingung – wenn ich nicht kam, sollte ich mich nie wieder bei ihm melden.

Ich wollte seine Aufmerksamkeit nicht verlieren und der Gedanke machte mir Angst, deshalb tat ich was er verlangte.

Ich riss mitten in der Nacht aus, sagte niemandem Bescheid, verließ mein Zuhause und das nur, um mich in einer Lobby fast vor Panik zu übergeben – war es das alles wirklich wert?

"Entschuldigung für die Störung, aber können sie mir sagen, auf welchem Stock sich das Zimmer mit der Nummer 127 befindet?", fragte ich diesen mies gelaunten Typen hinter der Theke und er rollte als Antwort mit den Augen.

"Wo sind denn deine Eltern?", fragte er genervt.

Alter, wenn du deinen Job so sehr hasst, was machst du dann bitte hier? Kann den niemand vernünftig mit mir reden und wenigstens etwas Respekt meinerseits heucheln? Ich hoffe schon fast, dass ein Mörder auf mich wartet, damit er mich endlich von diesem Witz, das andere "Leben" nennen, erlösen kann.

"Die warten dort auf mich.", log ich, aber was hatte ihn die Wahrheit schon zu interessieren?

"Erster Stock. Das erklärt sich von selbst.", erwiderte er.

"Tut mir leid, aber ihre Dummheit färbt schnell ab.", sagte ich flüsternd und hoffte, dass er mich nicht verstanden hatte, denn mir wurde erst später klar, dass er mich auch hätte raus werfen können.

Ich ging Richtung Aufzug und richtete mein Outfit, das jetzt nicht wirklich datewürdig war, aber ich musste ja auch erst herausfinden, ob er es wert war. Ich trug eine graue Jogginghose, abgenutzte Sneaker, einen grünen Pullover, der mir etwas zu groß war, aber dadurch schenkte er mir genug Wärme. Meine Haare hatte ich durchgekämmt, aber im Aufzug schnell nach hinten gebunden, da sie etwas feucht wurden und ich nicht den ganzen Boden voll tropfen wollte.

Ich merkte, dass mir total übel wurde, als der Lift nach oben fuhr, nachdem ich, mit zittrigen Fingern, auf die Eins drückte und meinem Schicksal immer näher kam.

Ich habe Angst. Was, wenn er mich hässlich findet? Ich will nicht, dass er mich hasst.

Ich machte mir so viele Gedanken und merkte deswegen gar nicht, dass ich schon in der Etage ankam, doch ich starrte nur wie betäubt auf den Boden und konnte mich nicht raus bewegen.

"Hallo? Geht's Ihnen gut?", fragte ein Mann besorgt, der sich gerade zu mir gesellen wollte. Ich starrte zu ihm rauf und war wieder in der Gegenwart angekommen. Ich schüttelte mit dem Kopf und gab ihm keine Antwort, sondern stieg aus und ignorierte ihn.

Hatte sich dieser Mensch gerade Sorgen um mich gemacht? Ich redete mir ein, dass dies nicht der Fall sein konnte und schüttelte mit dem Kopf.

Ich habe jetzt ein ganz anderes Problem.

Ich ging an den Türen vorbei und begutachte jede Zimmernummer, bis ich vor der angekommen war, die ich suchte.

Hier war er nun.

Hinter dieser Tür verbarg sich mein Schicksal.

Wer zur Hölle bist du?

Ich hob meinen Arm, ballte meine Hand leicht zu einer Faust und wusste, dass es jetzt kein Zurück mehr gab.

Verschwinde. Geh wieder. Entschuldige dich bei deinen Eltern und hoffe, dass sie dir eine letzte Chance geben. Du musst ihnen nur gehorchen und dann ist deine glückliche Zukunft gesichert. Du brauchst keine Freiheit, sondern Liebe – auch wenn sie geheuchelt ist. Dreh dich um! Vertrau mir.

Mein Verstand schien es wieder besser zu wissen und es war so verlockend, diesem zu glauben, aber ich konnte nicht anders.

Irgendetwas in mir, wurde von Akio angezogen.

Ich bekam ein warmes Gefühl in meinem Bauch, wenn ich an ihn dachte. Ganz egal, ob es nur seine Aufmerksamkeit war, die er mir schenkte oder der Fakt, dass ich wichtig für ihn war.

Ich war ihm etwas schuldig.

Ich berührte mit meinen Handknöcheln die Holztür und klopfte dreimal.

Klopf. Klopf. Klopf.

Als sich die Tür öffnete und ich in die braunen Augen sah, die ich als meine Hoffnung bezeichnete, wurde mir plötzlich ganz schlecht und, anstatt Glück, stieg unglaubliche Wut und Enttäuschung in mir auf.

Das durfte jetzt nicht passieren. 

Liar | Oikawa x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt