Seine Wärme

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Ich wusste, dass es die falsche Entscheidung war, ihn so auszuquetschen aber er hatte schließlich angefangen. Die Folge davon war nun, dass der restliche Abend ziemlich komisch war und die Luft wurde immer dünner. Ich hatte ehrlicherweise gehofft, dass er nach dem Essen sofort verschwand, damit ich unbemerkt tief im Erdboden versinken konnte, aber da machte er mir erneut einen Schnitt durch die Rechnung und blieb.

Wir aßen das Essen gezwungenermaßen auf, damit nichts verschwendet war und lagen danach nebeneinander im Bett - nein, nicht auf diese Weise. Ich habe uns einen Film angemacht, um die Spannung wieder zu lösen und so zu tun, als wäre das vorhin nicht wirklich passiert.

Als wir uns gegenseitig anschwiegen und den Fernseher anstarrten, versuchte ich das Eis zu brechen, damit es nicht noch merkwürdiger wird, denn sonst wäre ich lieber gestorben und das vor seinen Augen.

"Hey, darf ich dir mal eine Frage stellen?", sprach ich ihn einfach an und wartete auf seine Zustimmung. Er nickte. Es war etwas, das mir schon seit meiner Geburt im Kopf herumspukte und wenn er mir die Antwort nicht geben konnte, wer dann?

"Warum denkst du, sind wir so gemein zueinander?", wunderte ich mich. Er war über diese Frage so überrascht, dass er die Fernbedienung nahm und den Fernseher ausstellte, um sich vollkommen auf mich zu konzentrieren.

"Wovon in aller Welt sprichst du da? Ich habe doch jetzt gar nichts gemacht und ich habe mich doch auch entschuldigt!", antwortete er bestürzt und ich nahm ihm sofort alle Sorgen.

"Nein, ich spreche nicht von uns, sondern von der Gesellschaft. Warum konnten wir nicht einfach alle nett zueinander sein? Warum dieser Hass? Sogar du warst einer von ihnen.", fing ich an ihn mit Fragen zu bombardieren, auf die er mit Sicherheit nicht vorbereitet war, deshalb sah er auch so verwirrt aus. Ich redete einfach drauf los.

"Wir versuchen doch alle nur unseren Platz in dieser Welt zu finden und herauszufinden, was in uns steckt und trotzdem entscheiden sich so viele dazu, es genau diesen Menschen schwer zu machen.", fing ich an laut zu denken und bemerkte seine Augen, die auf meinen lagen. Es schien ihn wirklich zu interessieren, was ich zu sagen hatte und augenscheinlich wollte er verstehen, was in mir vorgeht.

"Doch warum ist es für jeden so einfach, Hass anstatt Liebe zu verbreiten? Liebe zu geben macht doch glücklich, oder? Nicht, dass ich damit Erfahrung hätte aber davon träume ich immer, wenn mir wieder bewusst wird, wie alleine ich doch bin.", machte ich für eine Sekunde Pause und dachte gut über meine nächsten Worte nach.

"Warum hasst mich jeder? Habe ich etwas falsch gemacht, dass mich jeder auf der Schule am liebsten tot sehen würde?", musste ich kurz die Tränen unterdrücken, die sich durch meine Augen bahnten.

"Warum ich? Warum hast du mir das angetan?", fragte ich ihn und gab ihm nun Zeit, über meine Fragen nachzudenken und es sah nicht aus, als ob es ihm schwer fallen würde, denn noch nie hat mich jemand so sanft angesehen, wie Oikawa genau in diesem Moment.

Perfekter Weg das Eis zu brechen, Ran. Gut gemacht.

Ich redete mir ein, dass ich ihn nun für immer verloren hatte, denn wer wollte mit jemandem befreundet sein, der so krass unsicher ist, auch wenn Oikawa der Mann war, der einen großen Teil dazu beigetragen hat.

"Ich glaube du brauchst Schlaf.", wich er meinen Fragen aus und ließ mich verwirrt zurück. Er stand vom Bett auf und machte sich auf den Weg zur Tür, doch so einfach kam er mir jetzt nicht davon. Ich stand in Lichtgeschwindigkeit auf und sprintete zum Ausgang dieses Raumes, um mich davor zu werfen.

Überhaupt, was dachte er sich dabei, nach meinem Gefühlsausbruch einfach so abzuhauen? Ich hatte doch Antworten verdient, oder?

"Stehen geblieben.", forderte ich ihn auf und blockierte die Tür.

Oikawa sah mich nur mit einem starren, lustlosen Blick an und wartete darauf, dass ich nachgab und ihn gehen ließ, doch da hatte er sich geschnitten.

"Du gehst doch jetzt nicht so einfach, oder? Warum willst du mir nicht darauf antworten?", sprudelte es wieder aus mir heraus und ich konnte meine Wut einfach nicht verstecken, die sich gerade in mir aufstaute.

Ich wollte ihm alles verzeihen, doch ein Teil von mir konnte es nicht, egal wie sehr ich es versuchte. Dieser Mann vor mir hatte mir Dinge angetan und mich etwas spüren lassen, was niemand verdient hatte zu fühlen. Meine Eltern konnte ich ja noch verstehen, denn ich verstand, warum sie taten, was sie taten, aber er? Er hatte kein Recht mich so derart zu erniedrigen und auch jetzt verkaufte er mich für dumm – das spürte ich. Innerlich machte er sich über mich lustig. Er kannte mich nicht. Ich war wie eine Fremde für ihn. Ich kannte Akio, aber Oikawa war in meinen Augen das pure Böse. Er konnte mir keinen Honig um mein Maul schmieren oder mich mit Essen bestechen.

"Hast du etwa Angst davor, weil du weißt, dass ich recht habe? Denkst du etwa, dass ich all das vergesse, nur weil du mir dein Wort darauf gibst? Wie kann ich dir vertrauen? Dein Wort ist doch nichts wert.", konfrontierte ich ihn und merkte, dass mir vor Wut eine Träne über meine Wange lief.

"Ich hass-", setzte ich an aber plötzlich fehlten mir die Worte, denn ich vernahm eine Berührung an meiner Stirn und warme Hände, die sich um meinen Körper legten. Ich war zu geschockt um zu realisieren, was gerade geschah. Ich brauchte eine Sekunde um es zu verstehen. Zu verstehen, dass Oikawa mich gerade auf die Stirn geküsst hat und meinen gebrochenen Körper in seinen starken Händen hielt.

"Es tut mir leid, dass du all dies durchmachen musst.", sagte er sanft und hielt mich einige Sekunden weiter, bis er mich wieder losließ.

Ich war zu perplex um zu antworten und machte ihm den Weg frei, aber nicht ohne ihn dabei zu beobachten, wie er die Türklinke nach unten drückte und danach die Tür in das Schloss fallen ließ.

Wie sollte ich mich jetzt fühlen? Er hat gerade alles nur noch komplizierter gemacht.

Liar | Oikawa x OCWo Geschichten leben. Entdecke jetzt