Prolog

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C a s s a n d r a

Meine Mutter war immer eine wundervolle und starke Person. Furchtlos stand sie für sich und ihre Familie ein, beschützte ihre Kinder und liebte meinen Vater bedingungslos. Ihre Augen strahlten wie die Sterne und ihr Lachen war so glockenhell und fröhlich wie ein Sommertag. Eine Frohnatur, aufgeschlossen, warmherzig und immer für einen da. So kannte ich meine Mutter, nicht so wie ich sie gerade in diesem Moment sah. Zusammengesunken und mit herzzerreißenden Schluchzern auf dem Waldboden neben der leblosen Gestalt meines Vaters kniend, passten diese Bilder nicht mehr zusammen. Sie waren nicht kompatibel. Ich konnte das alles nur mit leerem Blick verfolgen, unfähig mich auch nur zu rühren kniete ich einige Meter abseits des Geschehens und schien am Boden festgefroren zu sein. Auf der Lichtung herrschte nun ohrenbetäubende Stille, die nur von den Schmerzensschreien der Hinterbliebenen zerrissen wurde. Weiter links hörte ich einen weiteren Wolf brüllen, ein Blick in seine Richtung zeigte mir ein genauso schreckliches Bild wie das meiner Mutter. Er saß auf dem Boden, den blutbesudelten Körper seiner Mate im Schoß. Ihr fehlte ein Arm und ihre Kehle wurde brutal durchgebissen. Langsam drehte ich den Kopf auch noch zur anderen Seite und sah mich auf der Lichtung um, auf der bis vor kurzem noch eine Schlacht stattgefunden hatte. So viel Blut hatte ich in meinem Leben noch nie gesehen und mir wurde schwindelig. Meine Brust pochte von den tiefen Spuren, die die Krallen des anderen Alphas auf meiner Haut hinterlassen hatten.

„Cassandra!" Ich hörte, wie jemand nach mir rief, automatisch blickte ich zurück zu meiner Mutter, die sich nun neben meinen Vater gelegt hatte. Sie lag in seinen Armen, als würden sie nur eine kleine Pause auf dem Waldboden machen. Die Szene war so skurril, dass ich den Blick nicht abwenden konnte. Ohne das ganze Blut wäre der Anblick wie sie Arm in Arm dalagen, vielleicht sogar schön, denn er zeigte die tiefe Liebe der beiden. Mein Vater hatte sie immer vergöttert und ebenso stark waren auch ihre Gefühle. Es traf mich wie ein Schlag und ich kippte nach vorne und hielt mir die Brust, wobei die Waffe in meiner Hand mit einem dumpfen Laut zu Boden fiel und Tränen mir über das Gesicht strömten, um sich mit dem Blut zu vermischen, welches an mir klebte. Sie würde nun ebenfalls sterben. Ich lebte schon lange genug unter den Wölfen, um zu wissen, dass man ohne den Gefährten nicht lange überlebte. Manche nahmen sich sofort das Leben, andere hielten noch einige Monate durch. Man sah ihnen dann langsam dabei zu, wie das Leben ihren Körper verlies, bis sie schließlich nicht mehr aufwachten und an gebrochenem Herzen zugrunde gingen. Ich wusste bereits, dass meine Mutter den sofortigen Tod wählen würde, so lautete ihr Eheversprechen.

„Unter der Sonne und unter dem Mond werden wir vereint auf der Erde wandeln und im Licht zu den Göttern emporsteigen. Auf Ewig." Die Worte waren nicht mehr als ein Flüstern und verklangen im Wind, doch jeder hatte sie gehört. Meine Mutter richtete sich leicht auf, ohne die Hand meines Vaters loszulassen und blickte mich an. In ihren Augen fehlte jede Spur des Leuchtens, dass so typisch für sie war. Leere, Trauer, Schmerz und Sehnsucht betrübten ihren Blick. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wie man in einem Moment reagierte, indem die Mutter einen stumm um die Erlaubnis bat zu sterben. Mir entkam ein kleiner Schmerzensschrei, als ich auf wackeligen Beinen zu ihr rüber kroch und mich neben sie setzte. Fest zog sie mich in ihre Arme und umgeben von ihrem tröstlichen Geruch fühlte ich mich wieder wie eine Fünfjährige, die sich das Knie aufgeschlagen hatte. Nicht wie eine Neunzehnjährige, die dabei war ihre beiden Elternteile zu verlieren.

„Denk immer daran, dass wir dich lieben. Du wirst niemals alleine sein, wir werden immer in deinem Herzen sein und auf dich achtgeben." Sie verabschiedete sich jetzt schon von mir und ich zog sie noch fester an mich, da das unsere letzten Minuten sein würden. Sie würde die erste Variante, den sofortigen Tod wählen. Ihre Liebe zu meinem Vater ließ ihr keine andere Wahl. Und ich wusste tief in mir drin, dass ich ihren Worten glaubte, doch ich war noch nicht bereit sie auch zu verlieren. Ich hatte noch nicht mal Zeit mich von meinem Vater zu verabschieden, wie sollte ich auch den Tod meiner Mutter verkraften? „Bitte verlass mich nicht Mom", erstickt von Tränen und mit rasendem Herzen krallte ich mich an ihr fest. Nicht in der Lage sie loszulassen. Mein Leben loszulassen.

„Es ist okay, dein Vater wartet auf mich und ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du jemanden findest, der dich genauso liebt, wie ich deinen Vater liebe. Vielleicht wirst du meine Entscheidung dann irgendwann verstehen." Ich konnte sie nicht verstehen, wieso ließ sie mich alleine zurück? Ich weiß nicht, wie lange wir uns noch in den Armen lagen, aber irgendwann wurde ihr Griff lockerer und sie sank neben meinem Vater zu Boden. Erst jetzt nahm ich das Blut wahr, dass aus einer tiefen Wunde an ihrem Bauch strömte und die Blutlache, die sich unter ihrem Körper gebildet hatte. Sie hätte nicht gewollt, dass wir ihr halfen, dass wusste ich, doch ich versuchte trotzdem die Blutung zu stoppen.

„Nein! Nein! Lass mich nicht zurück!" Verzweifelt drückte ich auf die Wunde, doch es war schon zu spät. Jemand zog mich an meiner Schulter zurück und hob mich hoch. Byron drückte mich an seine Brust und trug mich davon, während ich immer wieder vor Schmerz aufschrie. Über seine Schulter hinweg sah ich unseren Rudelarzt, der eine Spritze an ihrer Ellenbeuge platzierte und zu stach. Er beschleunigte ihren Tod und dafür hasste ich ihn in diesem Moment so sehr, dass ich ihn am liebsten umgebracht hätte. Man hätte meinen sollen, dass der Arzt jemanden rettete und ihm nicht das Leben nahm, doch hier herrschten andere Regeln. Regeln, an die ich mich nie würde halten können.

Noch während meine Wunde vom Kampf verarztet wurden, beschloss ich das Rudel zu verlassen. Ich war nur eine Genträgerin und musste in keinem Rudel leben, ich hatte es nur getan, um bei meinen Eltern zu bleiben. Meine Chancen hier meinen Mate zu finden waren groß, da ich bescheid wusste und somit in ihre Welt gehörte, doch das wollte ich nun nicht mehr. Diese Welt des Übernatürlichen brachte mir nichts als Schmerz und nahm mir mehr, als sie mir je hätte geben können. Von diesem Tag an beschloss ich diese Seite meiner Selbst zu verbannen und ein normales Leben unter den Menschen zu führen, weit weg von allem, was mit der verborgenen Welt zu tun hatte, die in den Wäldern lag. Weit weg von dem Schmerz den ich mit ihr verband.

A Love stronger than DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt