Kapitel 15

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C a s s a n d r a

Abwartend sah ich Tyron an und hoffte, dass er mir nicht böse war. Gleichzeitig stand ich immer noch unter Schock und wollte nicht weiter über das Geschehene reden. Irgendwie hatte ich geglaubt, dass Tyron mich mit in sein Bett nehmen würde, sich um mich kümmern und unter keinen Umständen aus den Augen lassen, so wie Mates es normalerweise taten, wenn einer der beiden verletzt war. Er hingegen ließ mich alleine, nicht das ich nicht meine Ruhe brauchte, aber irgendwo tief in mir wollte ich einfach nicht alleine sein. Sein Verhalten ließ sich für mich mit nichts anderem außer Wut erklären. Er war wütend, weil ich nicht auf Brooklyn gehört hatte und unerlaubt eine Waffe mit mir führte, mit der ich den Rudelmitgliedern schaden könnte, was ich niemals tun würde.

„Ich bin nicht böse Cassandra, ich bin sogar sehr froh, dass du eine Waffe mithattest. Ich möchte, dass du sie immer mit dir führst, falls ich mal wieder nicht rechtzeitig bei dir sein kann." Seine letzten Worte verließen nur gezwungenermaßen seinen Mund und er sah dabei so zerrissen aus, dass mir das Herz wehtat.

„Es ist nicht deine Schuld Tyron, du konntest da nichts für." Versuchte ich ihn aufzumuntern und zu besänftigen, doch er schüttelte nur vehement mit dem Kopf. Seufzend fuhr er sich durch die kurzen schwarzen Locken, die nun wild von seinem Kopf abstanden. Seine Augen wirkten nun mehr braun als grün durch den finsteren Ausdruck, der wie ein dunkler Vorhang über seiner Iris lag.

„Es ist meine Schuld, ich habe als Alpha und als dein Mate versagt. Ich hätte schneller reagieren müssen, das Gebiet besser absichern und vor allem dich beschützen müssen. Ich habe gehört, wie du Ares gesagt hast, dass du keinen Mate willst. Ich kann es dir nicht verübeln, ich würde mich selbst auch nicht wollen." In Schockstarre saß ich auf dem Bett, nicht in der Lage zu reagieren oder überhaupt einen Laut über die Lippen zu bringen. Das war also der Grund für seinen plötzlichen Rückzug. Er dachte, dass ich ihn nicht wollte und das war ja auch so, oder nicht? Meine Stille war ihm wohl Antwort genug, da er sich wieder abwandte und das Zimmer verlassen wollte. Mit dem Rücken zu mir blieb er in der Tür stehen, drehte sich aber nicht nochmal zu mir um.

„Wenn es dir besser geht, kannst du mich ablehnen. Wenn es das ist, was du willst, werde ich dich gehen lassen. Ich will nur das du glücklich bist und wenn das mit mir nicht möglich ist, werde ich das akzeptieren." Mit gesenktem Kopf verließ er das Zimmer, schloss die Tür und brach mir das Herz. In diesem Moment tobten so viele Emotionen in mir von denen ich nicht wusste, welche am Ende die Oberhand gewinnen würde. Eine einzelne Träne löste sich aus meinem Augenwinkel. Ich verstand selbst nicht, was gerade in mir vorging.

Ich dachte an unser erstes Treffen, ich hatte unglaublich große Angst vor dem Alpha des Rudels gehabt. So viele schlechte Erfahrungen hatten mich geprägt und ich war so fest davon überzeugt, dass auch Tyron mir irgendwann wehtun würde, dass ich ihm von Anfang an keine Chance gab mir das Gegenteil zu beweisen. Und nun hatte er mir wehgetan, aber nicht auf die Weise, die ich immer befürchtet hatte.

Ich dachte an die Male, die ich ihn mit den Kindern spielen, mit den Jungwölfen trainieren und mit den Rudelmitgliedern reden sah. Er war ein gerechter, guter Alpha und es brach mir das Herz, dass er so schlecht von sich dachte. Niemals hatte ich ihn jemanden ungerecht behandeln sehen. Er war dominant und autoritär, aber niemals ungerecht oder grausam. Er hatte sein Rudel unter Kontrolle, manchmal dachte er mehr mit dem Kopf als mit dem Herzen, doch sein Ziel war es immer, dass es allen gut ging. Ich hatte gesehen, wie wohl sich alle in seiner Umgebung fühlten, ich hatte seine Fürsorge am eigenen Leib gespürt und trotzdem wusste ich nicht, wie ich mit ihm umgehen sollte. Mit den Gefühlen umgehen sollte, die er in mir weckte.

In diesem Moment wurde mir eine Sache bewusst, die mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte. Ich hatte keine Angst vor Tyron, wie sollte ich mich auch vor so einem liebenswerten Mann fürchten können, jetzt wo ich wusste, wie er wirklich war? Ich hatte Angst vor den Gefühlen, vor der Liebe, davor meinen Mate zu verlieren. Würde ich ihn also ablehnen, würde ich ihn verlieren. Egal wie ich mich in dieser Sache entschied, es bestand immer das Risiko ihn zu verlieren. Entweder konnte ich es herauszögern und die Zeit mit ihm genießen oder ich lehnte ihn gleich ab und bereitet der Sache sofort ein Ende. Alleine bei dem Gedanken daran ein Leben ohne ihn zu führen hatte ich das Gefühl nicht atmen zu können. Doch war ich in der Lage ein Leben mit ihm zu führen? Wäre Tyron ein ganz normaler Mensch, kein Werwolf, würde ich mich, ohne zu zögern ihm hingeben. Doch er war kein normaler Mann, er war ein Alpha und ich war auch keine normale Frau, sondern eine Genträgerin. Menschen starben, doch die Chance eines Werwolfes zu sterben waren deutlich höher. Es gab Rudelkriege, Angriffe und Jäger. Ich selbst war eben Teil eines Angriffes gewesen, sie waren unausweichlich und Ty würde immer an vorderster Front kämpfen.

Genauso war es bei meinen Eltern gewesen. Dad war immer als erster mit in die Schlacht gezogen, meine Mom blieb bei uns Kindern und passte auf uns auf. Ich konnte mich an die vielen Male erinnern, die ich als kleines Kind mit meinem Bruder und meiner Mutter mit anderen Rudelmitgliedern im Rudelhaus gesessen und gewartete hatte, dass es vorbei war. Die Angst im Raum konnte sogar ich spüren und meiner Mutter waren des Öfteren Tränen die Wangen hinab gelaufen, als sie die Schmerzen meines Vaters spürte. Einmal hatte ich sie gefragt, ob sie sich ein anderes Leben ausgesucht hätte, wenn sie kein Werwolf gewesen wäre, doch sie hatte nur abgewunken und erwidert: „Ich liebe deinen Vater über alles Cassie. Niemals in meinem Leben würde ich auf diese Liebe, auf diese Verbindung verzichten wollen. Die Liebe überwiegt den Schmerz, beides gehört zu einer guten Beziehung dazu. Du weißt erst, wie gut du es hast, wenn du fürchtest es zu verlieren. Und wenn dein Vater aus dem Kampf zurückkommt, liebe ich ihn jedes Mal ein bisschen mehr und weiß jede Sekunde zu schätzen die die Mondgöttin uns schenkt. Wenn du deinen Mate findest, wirst du es verstehen."

Und ja, ich verstand es jetzt. Liebe und Schmerz, sie gehörten schon immer zusammen. Sie gingen Hand in Hand und konnten dich fliegen oder fallen lassen. Nun war es an mir zu entscheiden, ob ich mit Tyron fliegen und fallen wollte oder ob ich ihn fallen ließ, womit uns beiden das Fliegen unmöglich sein würde.

A Love stronger than DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt