Kapitel 25

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C a s s a n d r a

Schon zwei Tage später stand ich zusammen mit Milan, Zarina und Valentin in meiner leeren Wohnung und trug die letzten Kartons in eines der Autos, mit denen wir gekommen waren. Tyron wollte auch mitkommen, aber er wurde bei den Patrouillen gebracht, um die Jungwölfe in ihre neuen Aufgeben einzuweisen. Die letzten Tage waren wir uns immer nähergekommen, hatten jede freie Minute damit verbracht den anderen besser kennenzulernen. Nachts schlief ich nun in seinem oder besser gesagt unserem Zimmer und nichts auf dieser Welt war vergleichbar mit den Gefühlen, die mich jedes Mal durchströmten, wenn er mich berührte. Mit jedem Tag, den wir zusammen verbrachten, entdeckte ich eine neue Eigenschaft an ihm die mir gefiel und lernte auch mit den anderen Wölfen umzugehen. Milan, der gerade einen Karton aus meinem Schlafzimmer heraustrug, war in den letzten Tagen zu so etwas wie meinem besten Freund geworden. Niemals hätte ich gedacht, dass ich mich wieder so wohl in einem Wolfrudel fühlen würde, doch ich liebte es. Selbst Zarina, deren tiefschwarzes Haar ihr um die Schultern wippte, schien sich langsam an mich zu gewöhnen. Sie wurde zu meinem Schutz von Tyron mitgeschickt, da sie eine herausragende Kriegerin war. Die ganze Zeit hatte sie mich mit kühlen Blicken und knappen Antworten bedacht, da sie viel lieber an der Front kämpfen und ihr Rudel sichern wollte, als der Luna, die ich offiziell noch gar nicht war, beim Umzug zu helfen. Valentin hingegen nahm die Sache eher locker und riss die ganze Zeit Witze, während er gleich drei Kartons auf einmal aus der Tür bugsierte. Seine Oberarme waren ungefähr so breit wie meine Oberschenkel zusammen, was mich zuerst wirklich eingeschüchtert hatte, doch er verhielt sich mehr wie ein lustiger Kumpel und nicht wie ein blutrünstiger Krieger, was ihm die Schärfe nahm.

„Das ist der letzte", verkündete Zarina und schloss mit einem dumpfen Knall die Türen des Autos. Einmal lief ich noch durch jeden Raum und kontrollierte, ob ich auch wirklich alles eingepackt hatte. Meine Möbel würden hier stehen bleiben, da sie auch bei meinem Einzug schon zum Inventar der Wohnung gehörten und so brauchte ich mich darum nicht zu sorgen. Nachdem ich wirklich alles noch dreimal durchgeschaut hatte, man konnte ja nie vorsichtig genug sein, schloss ich die Tür ab und steckte den Schlüssel in den Briefkasten, wie ich es mit dem Vermieter abgesprochen hatte. Zarina und Valentin saßen schon in einem der Wagen und warteten auf mich. Niemals hätte ich die beiden für ein Paar gehalten, sie waren so verschieden wie Tag und Nacht, doch trotzdem saß Zarina nun halb auf seinem Schoß und drückte ihn in den Fahrersitz. Mich beschlich bei ihrem Anblick ein unangenehmes Gefühl, da ich an meine und Tys Beziehung dachte. Die beiden waren ebenfalls Mates, so wie wir, doch bei ihnen sah es so einfach und selbstverständlich aus, während ich jedes Mal rot wurde, wenn ich Ty auch nur ohne Shirt sah. Würde ich ihn jemals küssen können, ohne rot zu werden?

Nach einem Zwischenstopp im Krankenhaus, um meine offizielle Kündigung einzureichen und die restlichen Urlaubstage einzulösen, fuhren wir gemeinsam wieder nach Hause. Es fühlte sich immer noch etwas komisch an das Oak River Rudel mein zu Hause zu nennen, doch nicht auf eine negative Art und Weise. Je mehr ich über dieses Gefühl in mir nachdachte, desto deutlicher spürte ich, dass es Vorfreude war. Die letzten Jahre nach dem Angriff hatte ich mich nie irgendwo zu Hause gefühlt. Auch vor dem Tod meiner Eltern und dem Verlassen des Rudels hatte ich mich dort nicht immer willkommen gefühlt. Doch wenn ich an Ty dachte, an das Haus, das er für uns gebaut hatte, ohne mich je gesehen zu haben, an die Rudelmitglieder und die Atmosphäre, die dort herrschte, fühlte ich mich angekommen. Als würden sich die Angst und Rastlosigkeit der letzten drei Jahre legen und Platz für neue Gefühle schaffen.

Wir waren schon fast wieder in dem Gebiet, das an das Rudel anschloss, als Zarina und Valentin im Wagen vor uns stark bremsten und auch Milan das Auto ruckartig anhielt. „Du bleibst hier und steig nicht aus dem Wagen, verstanden?" Er wartete nicht einmal auf meine Antwort, sondern stieg direkt aus und schlug die Tür wieder zu. Unwohlsein breitete sich in mir aus, als ich sah wie die drei Wölfe sich vorsichtig und mit wachem Blick um mich herum aufstellten. Sofort öffnete ich das Handschuhfach, doch meine Waffe lag in meinem Nachttisch in Tys und meinem Schlafzimmer, wo ich sie immer vor dem Schlafengehen verstaute. Er hatte zwar darauf bestanden, dass ich sie mit mir trug, doch heute Morgen hatte ich nicht daran gedacht sie einzustecken. Die letzten Tage hatte ich sie immer dort gelassen, da ich meist in Tyrons Nähe geblieben war und die Sicherheit, die er ausstrahlte, hatte dafür gesorgt, dass ich sie nicht brauchte. Nun beschlich mich wieder das Gefühl nutzlos zu sein, eine Last, denn es war nicht zu übersehene, dass ich in diesem Moment auf den Schutz meiner drei Begleiter angewiesen war.

Aufmerksam beobachtete ich sie und sah wie Zarina sich versteifte, bevor sie sich verwandelte. Ich hatte erst selten dabei zugesehen, da es furchtbar schmerzhaft aussah, doch der Anblick fesselte mich jedes Mal. Dann sah ich auch den Grund für ihre Verwandlung. Aus dem Gebüsch kamen 5 Wölfe herausgesprungen und hielten direkt auf uns zu. Aus dem Augenwinkel sah ich auch auf der anderen Seite eine schnelle Bewegung und stellte fest, dass sowohl Valentin als auch Milan sich verwandelt hatten, denn auch von der anderen Seite stürmten 5 weitere Wölfe auf uns zu. Wir waren deutlich in der Unterzahl und Panik stieg in mir auf. Der erste Wolf war nun bei Zarina angekommen und stürzte sich auf sie. Er war so nah, dass ich sein verfilztes, zotteliges Fell und die Blutspuren darin sehen konnte. Auch die anderen Angreifer waren in einem ähnlichen Zustand und sofort wurde mir etwas klar. Wir waren gerade ein Ziel eines erneuten Rough Angriffs geworden.

Hektisch wanderte mein Blick hin und her, ich versuchte jeden Wolf im Auge zu behalten und dann sah ich wie einer die Deckung durchbrach und sich mit voller Wucht gegen das Auto warf. Die Erschütterung sorgte dafür, dass der Sicherheitsgurt meine Brust zusammenschnürte und mich nach Luft schnappen ließ. Erneut prallte ein Wolfskörper gegen den Wagen und ich wusste, dass die Blechwände ihnen nicht ewig standhalten würden. Meine Gedanken rasten und ich hoffte, dass die anderen über den Mind-Link Verstärkung gerufen hatten, doch wer wusste, wann diese kommen würde. Plötzlich fiel mir etwas ein und ich schnallte mich schnell ab und kroch auf die Rückbank. In einer der Kisten musste meine Armbrust mit passenden Pfeilen liegen, die meine erste Waffe gewesen war, bevor ich mit einer Schusswaffe hatte schießen dürfen. Euphorie breitet sich in mir aus, als ich sie fand und sogar den Köcher mit den Pfeilen hervorzog. Umständlich kletterte ich wieder auf den Beifahrersitz und wurde sofort von einer weiteren Erschütterung erfasst. Der Wolf der dieses Mal gegen das Auto gesprungen war hatte die Scheibe auf meiner Seite einreißen lassen, doch noch war keine der Glasscherben ins Innere des Autos gelangt.

Gerade sah ich wie Zarina unter zwei Wölfen begraben wurde und kickte die Tür auf und gab den ersten Schuss ab. Er traf den Wolf an der Flanke, der dadurch taumelte und Zarina kämpfte sich frei. Kurz zuckte ihr Blick zu mir, doch sie hatte keine Zeit mir Anweisungen zu geben, den der nächste Wolf sprang ihr entgegen. Ich presste mich dicht ans Auto und verschaffte mir einen Überblick. Zwei der zehn Angreifer lagen schon blutbesudelt auf dem Boden und rührten sich nicht mehr, zwei weitere schienen schon kurz vor dem Umfallen zu stehen, also setzte ich die Armbrust an und zielte auf diese. Präzise bohrte sich der Pfeil in den Bauch des Angreifers, der gerade von Milan in die Luft geschleudert wurde. Dumpf fiel er zu Boden und stand nicht wieder auf, also zog ich einen weiteren Pfeil aus dem Köcher auf meinem Rücken und legte nach. Auch der andere, schon geschwächte Wolf wurde von mir mit einem gezielten Schuss in die Brust erledigt, als ein wildes Knurren von meiner anderen Seite ertönte. Mittlerweile befand ich mich zwischen den beiden Autos, links und rechts von mir Milan, Valentin und Zarina, die mit aller Macht versuchten die Rough abzuwehren, doch auch sie waren schon von Krallenspuren und Bissen gezeichnet. So durchbrach einer der Wölfe Valentins Abwehr und steuerte auf mich zu. Mein Pfeil, der sich daraufhin in seiner Seite vergrub, verschaffte mir etwas Zeit, doch ich konnte nicht fliehen und dass schien dieser genau zu wissen. Alle waren beschäftigt und der Wolf leckte sich die blutige Schnauze und schlich humpelnd auf mich zu. Sofort griff ich über meinen Kopf nach einem neuen Pfeil, doch ich konnte keinen greifen, denn ich hatte alle abgefeuert. Nun bekam ich es mit der Angst zu tun. Vor mir stand ein Monster und es war ganz offensichtlich, dass es mich töten wollte, denn wenn ich eines gelernt hatte, dann war es, dass ein Rough nie von seinem Opfer abließ, bis es tot unter ihm begraben lag.

A Love stronger than DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt