C a s s a n d r a
Ich hatte den Abend mit meinem Bruder sehr genossen, wir haben viel gelacht. Nicht mal als Kinder hatten wir so eine starke Bindung, da er schon so früh als Beta erwählt wurde, doch jetzt fühle ich mich in seiner Gegenwart sehr wohl, fast so als wäre ich endlich zu Hause. Doch egal wie sehr ich in der Nacht versucht hatte einzuschlafen ich hatte es nicht gekonnt. Mein schlechtes Gewissen und die Sehnsucht nach Tyron hatten den Schlaf erfolgreich verhindert. Ich wollte es mir nicht eingestehen, aber ich vermisste ihn sehr. Egal wie stark ich mich gegen die Gefühle in meinem Herzen wehren wollte, sie gewannen mit jedem Tag, den ich in seinem Haus verbrachte, immer mehr an Intensität. Mittlerweile war schon eine Woche vergangen und er hielt sich zum Großteil von mir fern. Jeden Morgen erkundigte er sich nach meinem Befinden und ging dann arbeiten.
Als ich heute Morgen am Frühstückstisch saß, hatte er nur seinen Kaffee getrunken und war dann gegangen. Vielleicht wollte er mir einfach keine Gelegenheit geben ihn erneut zu verletzen, was ich verstand. Meine Angst wurde mit jedem Tag, den ich in seiner Nähe verbrachte, kleiner. Ich hatte gesehen, wie er sich um die Kinder im Rudelkindergarten kümmerte. Mit den Teenagern hatte er Kampf Übungen gemacht und mit ihnen herumgetollt. Für die Erwachsenen hatte er immer ein offenes Ohr und hörte sich ihre Probleme an. Für Tyron machte es keinen Unterschied, welchen Rang sie hatten oder wie stark sie waren, nicht einmal, ob sie ein Werwolf waren, oder ein Mensch schien ihn zu interessieren. Es war als würde er alle gleich stellen und dass ließ mein Herz höherschlagen.
Es war schon spät am Abend, als ich durch die Flure lief und nacheinander die Türen zu jedem Raum öffnete. Meine Neugierde hatte letztendlich gesiegt und ich wollte wissen, was sich in den anderen Räumen befand, doch da war nichts. Zwei der Zimmer waren komplett leer, ein anderes schien als Abstellraum zu dienen und dann war da noch mein Zimmer. Ich wollte gerade wieder runter gehen, als mein Blick auf seine Tür fiel. Ich war neugierig, wie es in seinem Zimmer wohl aussah. War er ordentlich? Würden die Wände dunkel sein? Vorsichtig horchte ich in die Stille des Hauses, doch er war immer noch nicht zu Hause.
Die Türklinke fühlte sich kalt unter meiner Hand an, als ich sie hinunterdrückte und eintrat. Die Wände waren in einem sanften Braunton gestrichen, die eine Wand komplett verglast, was für viel Licht in dem Raum sorgte, der von einem riesigen Doppelbett dominiert wurde. Die Bettwäsche war cremefarben und nur die eine Seite schien wirklich benutzt zu werden. Der Kleiderschrank war in die Wand eingelassen und als ich vorsichtig eine der Schiebetüren zur Seite schob sah ich nichts. Der Schrank war komplett leer, als würde er nur darauf warten, dass endlich jemand einzog. Verwirrt runzelte ich die Stirn und ging am Schrank entlang zur anderen Seite, um auch hier die Tür aufzuschieben. Diesen Teil schien er zu benutzen, denn er war gefüllt mit seinen wohlriechenden Sachen. Langsam hob ich die Hand und berührte federleicht seine Hemden.
Neben dem Bett stand ein Sessel, über dessen Lehne ein paar Sachen hingen. Daneben stand ein kleiner Tisch, auf dem eine Kaffeetasse stand. Daneben lag ein Buch, welches ich in die Hand nahm, um mir die Rückseite durchzulesen. Ich hätte Tyron nicht für jemanden gehalten, der Krimis las, doch dieser hörte sich wirklich interessant an. Bevor ich mich versah, setzte ich mich in den Sessel und schlug die Seite auf, auf der er aufgehört hatte zu lesen. Ich merkte gar nicht, wie ich mich immer weiter in den Sessel sinken ließ und mich in das Buch vertiefte. Nicht mal als Tyron in das Zimmer trat, blickte ich auf, doch irgendwann merkte ich, dass ich beobachtet wurde und riss den Kopf hoch.
Mein Herz raste und mein Atem stockte, geschockt sah ich ihn an, doch sein Gesicht blieb ausdruckslos. Schnell legte ich das Buch wieder weg und stand auf. „Tut mir leid, ich wollte wirklich nicht herumschnüffeln, aber.... Ich weiß auch nicht... ich wollte einfach..." Ich versuchte die richtigen Worte zu finden, doch egal was ich sagen könnte, ich hörte mich einfach wie eine Stalkerin an. Unangenehm berührt tappte ich von einem Fuß auf den anderen und senkte meinen Blick.
„Gefällt dir das Buch?" In seiner Stimme schwang keine Wertung mit, nur Interesse und ich meinte auch einen Hauch von Freude zu hören. Als ich merkte, dass er nicht sauer war, entspannte ich mich etwas und sah in seine Augen. Mit einem kleinen Nicken lächelte ich ihm zu. „Ich habe das Lesezeichen an deiner Seite gelassen. Ich wollte eigentlich nur kurz reinlesen, doch es war so spannende, dass ich es nicht weglegen konnte." Er trat näher, doch setzte sich auf das Bett, um mir nicht zu nahe zu kommen. Er schaute mich sehnsüchtig an und seufzte. Erschöpfung stand in seinen Augen, als er sich durch die Haare fuhr und die kleinen Löckchen durcheinanderbrachte. Langsam bewegte ich mich auf ihn zu und setzte mich neben ihn, mein Knie berührte fast seinen Oberschenkel, als ich mich seitlich zu ihm setzte. Vorsichtig blickte er auf und sah mich einfach nur an. Dieser Moment fühlte sich intensiver und bedeutender an als alle Gespräche, die wir bisher geführt hatten. Mein Herz pochte und ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus, kein Brennen wie sonst, sondern eine angenehme Hitze. Wir brauchten in diesem Moment keine Worte, ich konnte von seinen Augen ablesen, wie sehr er sich nach mir sehnte, nach Liebe und Zuneigung. Er seinerseits sah den Zwiespalt und die Angst in meinen Augen, gemischt mit der gleichen Sehnsucht, die auch er spürte.
Sanft griff er nach meiner Hand und verschränkte unsere Finger ineinander, ganz zärtlich hielt er meine kleine Hand in seiner und strich im dem Daumen über meinen Handrücken. Ich hätte mich jederzeit seiner Berührung entziehen können, doch das wollte ich gerade einfach nicht. Das Band schien wie Elektrizität durch unsere Hände zu fließen und das warme Gefühl verstärkte sich und breitete sich in meinem Körper aus. Vorsichtig lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Erschöpft von dem Kampf, den ich jeden Tag mit mir selbst führte und den ich doch nicht gewinnen würde. Vielleicht würde er mir irgendwann das Herz brechen. Vielleicht würden wir aber auch glücklich werden, erklang der Wunsch tief in meinem Inneren und ich entspannte mich weiter.
In dieser Nacht ließ er meine Hand nicht mehr los, wir lagen nebeneinander im Bett, so dass wir uns ansehen konnten. Zwischen uns lagen unsere verschränkten Hände, doch ansonsten hätte noch eine Person zwischen uns gepasst. Für mehr Nähe war ich gerade noch nicht bereit, doch ihn schien das nicht zu stören. Seine Augen sagten mir, dass er für immer auf mich warten würde und das war der Moment, in dem meine Schutzmauer einen riesigen Riss bekam, durch den unzählige Gefühle versuchten zu kriechen. Wir sprachen nicht ein weiteres Wort, doch in dieser Nacht führten unsere Blicke ihr eigenes Gespräch und das berührte die Tiefe meines Herzens.
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A Love stronger than Death
Lupi mannariCassandra Downfield ist eine Genträgerin. Sie kann sich nicht verwandeln, trägt das Gen jedoch in sich und wächst in einem Rudel auf. Ihr Leben scheint genauso normal, wie das jedes anderen, doch dann verändert ein Angriff auf ihr Rudel ihr Leben gr...