Kapitel 1

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C a s s a n d r a

3 Jahre später...

Erschöpft kam ich von meiner Schicht im Krankenhaus nach Hause und ließ die Tür meiner kleinen Wohnung hinter mir ins Schloss fallen. Seit ich das Rudel verlassen hatte, lebte ich alleine und hatte vor fast einem Jahr meine Ausbildung zur Krankenschwester abgeschlossen. Seitdem lebte ich auch in diesem kleinen Ort weit weg von den Wölfen und arbeitete in dem hiesigen Krankenhaus. Man hätte meinen sollen, dass ich, nachdem ich so viel Blut gesehen habe, ich mich nicht auch noch für diesen Job entscheiden würde, doch das Gegenteil war der Fall gewesen. Es half mir meine eigenen Verluste und Wunden zu verarbeiten, während ich anderen Menschen ebenfalls dabei half. Es gab mir ein Stück weit das Gefühl nicht versagt zu haben, ständig hatte ich mit den Schuldgefühlen zu kämpfen, die mich regelmäßig zu erdrücken schienen. Hätte ich doch bloß weiter an der Seite meines Vaters gekämpft und mich nicht von ihm entfernt, um den anderen Rudelmitgliedern zu helfen. Vielleicht würde er dann noch leben und meine Mutter genauso. Auf der anderen Seite wusste ich aber, dass dann andere gestorben wären. Dieses Karussell in meinem Kopf hörte nie auf sich zu drehen. Ein ewiger Kreislauf aus Schuld, Selbstzweifel und Schmerz, der mich gefangen hielt und mich bis heute davon abhielt mich zu sehr an eine Person zu binden.

Gähnend zog ich mir meine Jacke aus, streifte die Schuhe von den Füßen und begab mich in die winzige Küche, in der ich mir den Auflauf aus dem Kühlschrank nahm und aufwärmte. Während ich darauf wartete, dass die Mikrowelle piepte, schaute ich auf mein Handy, dass mir einen verpassten Anruf von meinem Bruder anzeigte. Ich hatte ihn seit drei Jahren nicht mehr gesehen. Kurz nach dem Tod unserer Eltern kam er mich besuchen und stand mir bei der Trauerfeier zur Seite. Lange konnte er allerdings nicht bleiben, da er mittlerweile der angehende Beta in einem anderen Rudel war und dort viel Verantwortung übernommen hatte. Er hatte mich versucht davon zu überzeugen mit ihm zurück in sein Rudel zu gehen, doch ich hatte mich dagegen gewährt und letztendlich hatte er mich ziehen lassen. Trotzdem rief er mich jeden Monat mindestens einmal an und versicherte sich, dass es mir gut ging. Er hatte mir schon oft angeboten mich zu besuchen, doch ich brauchte die Einsamkeit und auch wenn er mein Bruder war, er blieb ein Werwolf und damit jemand den ich aus meinem Leben verbannen wollte.

Schweren Herzens drückte ich auf dem Display herum und hielt mir das Telefon ans Ohr, lauschte gespannt dem Freizeichen und wappnete mich innerlich gegen den Klang seiner beruhigenden Stimme. Denn egal wie sehr ich alles was mit den Genen in mir zu tun hatte aus meinem Leben verbannen wollte, er war immer noch mein Bruder und damit die einzige Familie, die mir geblieben war. Das gewohnte Klacken erklang in der Leitung gefolgt von seiner tiefen Stimme. „Hey Schwesterchen, wie geht es dir?" Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht und ich hatte das Gefühl an diesem Tag das erste mal wieder frei atmen zu können.

„Hey Ares! Mir geht es gut, im Krankenhaus gibt es einiges zu tun, aber im Großen und Ganzen ist alles gut. Wie geht es dir?" Einen kurzen Moment herrschte Stille und ich runzelte die Stirn. Warum antwortete er mir nicht? Er räusperte sich und auf meinem Nacken bildete sich eine Gänsehaut. „Wir wurden angegriffen. Es kam sehr überraschend, aber wir konnten sie zurückschlagen. Es war nur eine kleine Gruppe, deswegen ging es ziemlich schnell, aber die Angriffe häufen sich in letzter Zeit. Irgendwann wird es einen von uns doch erwischen." Den letzten Teil seines Satzes sprach er nur sehr leise und ich konnte die Last auf seinen Schultern spüren. Als Beta war er genauso für das Rudel verantwortlich wie der Alpha, eine Stütze und wurde in alle Entscheidungen miteinbezogen. Er hatte schon mit 16 Jahren unser Rudel damals verlassen, da er sich mit dem Sohn eines Alphas angefreundet hatte und die beiden schon früh beschlossen haben, dass mein Bruder einmal Beta werden sollte. Ich war damals erst 14 Jahre alt gewesen, aber unglaublich stolz auf meinen Bruder. Vor 2 Jahren hatte er seinen Posten dann endgültig angetreten und der Stolz war von der Angst ihn zu verlieren abgelöst worden.

„Pass auf dich auf, okay? Versprich mir, dass du nicht nur an die anderen denkst, sondern auch den Wert deines eigenen Lebens achtest, okay? Du bist die einzige Familie, die ich noch habe." Wieder schlug mir nichts als Stille entgegen und ich wusste, dass er mit sich rang. Für ihn als Beta war es eine Pflicht das Rudel mit allem was er hatte zu beschützen, selbst wenn er dafür sein Leben geben musste. Ich verstand es auch, verstand seine Position im Rudel und wusste was seine Pflicht ihm gegenüber war. Trotzdem konnte ich die Egoistin in mir nicht zum Schweigen bringen, die den letzten Teil ihrer Familie behalten wollte, selbst wenn es nur seine Stimme war, die ich einmal im Monat zu hören bekam. „Ich werde auf mich aufpassen. Aber die Zeiten sind schwer und besonders das wir keine Luna haben macht dem Rudel noch mehr zu schaffen." Aus eigener Erfahrung wusste ich welchen Wert eine Luna für das Rudel hatte, sie sollte sich in solchen Zeiten um verletzte und verängstigte Rudelmitglieder kümmern, während der Alpha die Kämpfer ermutigte für ihr Gebiet und ihre Familien einzustehen. Ich seufzte und hielt mir die Stirn. Mein Essen in der Mikrowelle war schon wieder fast vergessen, bis mich mein knurrender Magen daran erinnerte, dass ich heute nur einen Salat hatte. Ich legte das Handy auf dem Tisch ab und stellte den Lautsprecher an, während ich den Teller vorsichtig auf den Tisch stellte und mich setzte.

„Hat dein Alpha seine Mate noch immer nicht gefunden? Wie lange sucht er sie jetzt schon?" Ares hatte mir schon mal erzählt, dass das Rudel keine weibliche Führungsperson hatte, doch ich hatte gedacht, dass sich das mittlerweile geändert hatte.

„Tyron sucht sie jetzt schon seit 7 Jahren. Er tut mir unglaublich leid, die Zeiten machen ihn fertig. Er weigert sich immer noch standhaft gegen jeglichen anderen Kontakt zu Frauen. Ich weiß nicht wie viele Wölfinnen wir schon aus anderen Rudel hier hatten, die angeboten haben die Rolle der Luna zu übernehmen, bis er seine Mate findet. Er hat sie alle abgewiesen und ich kann ihn irgendwie verstehen, aber es wird immer schwerer das Loch zu füllen, was eine fehlende Luna mit sich bringt." Ich schob mir eine Gabel in den Mund und runzelte nachdenklich die Stirn, während ich weiter aß. Gerade als ich etwas sagen wollte, hörte ich eine Stimme im Hintergrund die nach ihm rief. Seufzend antwortete er, dass er gleich da sein würde und wandte sich dann wieder mir zu. „Ich muss jetzt auflegen. Pass auf dich auf okay?" Ich nickte und merkte dann, dass er mich nicht sehen konnte und versprach ihm was er hören wollte. „Ich passe auf mich auf, wenn du mir versprichst, das gleiche zu tun. Ruf mich bitte an, wenn was sein sollte. Ich möchte jede Woche einen Anruf oder eine Nachricht von dir, dass es dir gut geht Ares. Sonst kann ich nicht schlafen." Den letzten Satz hauchte ich mit vor Angst gedämpfter Stimme. Wieder hörte ich Stimmen im Hintergrund nach ihm rufen und er brachte nur noch ein kurzes „Versprochen" heraus, bevor er den Anruf beendete.

A Love stronger than DeathWo Geschichten leben. Entdecke jetzt