Die schwere Tür mit dem Bullauge fiel hinter mir zu und die Musik wurde plötzlich leiser. Es klang, als würde mir jemand meine Ohren zuhalten. Ein leises Pfeifen begleitete die Taubheit meiner Gehörgänge. Ich fühlte mich schwer an. Meine Glieder vibrierten noch, aber ich schwebte nicht mehr. Es schwankte. Das ganze Gebäude schien sich zu bewegen.
Schnaufend öffnete ich meinen Gürtel und die Jeans, um mich zu erleichtern. Ich blickte hinab auf die Fliege, die auf das Keramik gedruckt worden war. Natürlich verstand ich, was man damit bezwecken wollte, aber auf welche der beiden Fliegen sollte ich denn bitte ziehlen? Mir entglitt ein belustigtes Grunzen. Ich traf keine der beiden. Das war mir allerdings egal und diese Aufgabe auch viel zu anstrengend für meinen trägen Kopf.
Mit einem kleinen Ausfallschritt zur Seite, richtete ich meine Klamotten. Ich trat an den Waschtisch und drehte das Wasser auf, stützte mich noch eine Weile nur aufs Becken, ehe ich meine Hände wusch. Gründlich. Jedenfalls hielt ich meine Wäsche in derzeitigem Zustand für sehr gründlich. Aber wahrscheinlich war diese Aufgabe genauso zu anstrengend, wie die Fliege im Pissoir zu treffen.
Seufzend knallte ich meine Faust auf den Hebel, um das laufende Wasser anzuhalten. Ich hob meinen Kopf und schaute direkt in glasige blaue Augen. Sie waren träge und müde und wüsste ich es nicht besser, würde ich behaupten, dass sie nur in dieser Nacht so aussahen. Aber sie sahen in letzter Zeit immer so aus. So matt. Dunkle Ränder hingen darunter. Sie sahen durch aus. Abgefuckt. Sie zeigten, wie ich mich fühlte.
Nasse Finger strichen eine Strähne aus meinem abgefuckten Gesicht. Wie immer waren meine matschig blonden Haare wilder als sie müssten. Sahen ungekämmt aus, weil sie ungekämmt waren. Das hätte sowieso nichts gebracht. Ich versuchte mit meinen Flossen meine Wangen zu kühlen. Sie glühten, leuchteten rot. Mein Abbild kotzte mich an. Dabei müsste ich mich längst daran gewöhnt haben.
Erst als ich meinen Blick über den großen Spiegel fahren ließ, bemerkte ich den Typen, der wohl ebenfalls die Toiletten benutzt hatte. Ich hatte ihn weder gehört noch gesehen. Mein Hirn hatte ihn völlig ausgeblendet. Ich betrachtete sein Spiegelbild. Er wusch sich seine Griffeln gründlicher als ich meine. Leicht schwankte ich einen Schritt zur Seite. Wahrscheinlich war er nicht so besoffen wie ich, aber gebechert hatte er definitiv. Sein Kopf wurde ertränkt. Ich konnte den Alk in seinem Kopf schwappen sehen, als er ihn leicht neigte. Knopfaugen. Irgendwie. Aber irgendwie auch nicht. Sie sahen aus wie die eines plüschigen Teddybären, doch sah man ihnen an, dass seine Seele nicht so unschuldig war wie ein plüschiger Teddybär. Seine braunen Glotzer waren trotzdem keine offene Türen für mich. Der Kerl hatte sicherlich einen Grund gehabt, seine Sinne zu ertränken. Wäre der meine nicht schlafen gegangen, hätte ich vielleicht sogar in seinen Schädel schauen können. In jener Nacht wurde mir seine Welt nicht offenbart.
Der Typ zuckte mit dem Kinn leicht nach vorn, während wir einander weiter durch die Spiegelung anstarrten. Seine Zähne pressten sich aufeinander, wodurch seine Wangenknochen besser zur Geltung kamen. Ein markantes Gesicht. Männlich irgendwie. Dunkle Brauen, die exakt die Farbe hatten wie sein Haar. Es war wild. Aber nicht so hässlich wild wie meines. Wahrscheinlich flogen die Frauen auf diesen Anblick. Ich konnte mir vorstellen, wie sie sich daran ergötzten. Wie frisch aus dem Bett. Und dieser Blick...
Seine roten Lippen formten sich zu einem Lächeln. Er hatte rumgeknutscht. Anders konnte ich mir diese Lippen nicht erklären. So sahen nur frisch geküsste Münder aus. „Hey..." Tiefe Stimme. Sie passte nicht zu seinem Aussehen, ich hatte eine hellere erwartet.
„Hi..." Leicht kniff ich meine Lider zusammen, zeigte unkoordiniert auf seine Fratze. „Du hast da was." Meine Zunge war noch schwerer als ich angenommen hatte. Ich war mir nicht sicher, ob der Fremde mich überhaupt verstanden hatte, bis er sich ins Gesicht tatschte. Diesmal erreichte sein Grinsen tatsächlich seine Augen. Ein Glucksen entwich seiner Kehle, während seine Fingerspitzen über seinen Bart über der Oberlippe rieben. Es war mir unbegreiflich, was für ein Vollidiot man sein musste, um sich einen Schnurrbart stehen zu lassen. „Das sieht eeecht..." Ich musste nach Luft schnappen. „... bescheuert aus."
„Du siehst auch bescheuert aus." Erneut kullerte ein komisches Geräusch aus seinem Hals, was meine Mundwinkel gegen die Schwerkraft arbeiten ließ.
Der Fremde riss sich aus unserem spannenden Gespräch los und auch aus dem Geglotze. Er verschwand so schnell, wie er aufgetaucht war. Still und wortlos. Einfach weg. Der Kerl war zu schnell für meine langsamen Gedanken.
Und ich stand da und guckte statt in seines, in mein dämlich lächelndes Gesicht.
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Niemand [boyxboy]
RomanceEin Niemand. So wird er von anderen behandelt. Und so behandelt er sich vor allem selbst. Denn er ist ein Niemand. Nic Niemand. Sein Nachname bestimmt sein ganzes Leben, bis ein Mensch in sein Leben tritt, der ihm zeigt, dass er ein Jemand ist.