Bester Freund

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Als ich die Kühlschranktür zuknallen hörte, hob ich meinen Arm über die Sofalehne. Noch ehe ich etwas sagen konnte, hörte ich den überaus unmännlichen Aufschrei meines besten Freundes. „Seit wann bist du denn schon hier?!"

Ich formte mit meiner Hand den Schweigefuchs. Aber nicht, um Marco anzuschweigen, sondern um mit ihm zu reden. Seine beiden Katzen hatten es sich auf meinem Bauch gemütlich gemacht. Jedes Kind wusste, dass man sich dann auf keinen Fall vom Fleck bewegen durfte. „Seit ich Schulaus hab", plapperte ich mit meiner Hand in seine Richtung.

Der fast 60-Jährige trat an seine alte Gammelcouch heran und glotzte zu mir runter. „Du warst schon hier, als ich nach Hause kam?"

Ich packte den Fuchs wieder ein und sah zu dem bärtigen Mann auf. „Jap."

„Wie oft hab ich dir gesagt, dass du dich bemerkbar machen sollst? Irgendwann bekomme ich einen Herzkasper, wenn du mich weiter so erschreckst."

„Ich hab geschlafen!", verteidigte ich mich selbst. „Und jetzt bring deinem Gast eine Cola. Bitte..."

„Unglaublich..." Er schlurfte zurück in seine Küche, um mir eine Dose aus dem Kühlschrank zu holen. „Begieß damit nicht meine Babys." Er hängte sich über die Rückenlehne und gab seinen alten Damen dieses aggressive Katzenknuddeln. „Ja, wer ist mein Baby? Ihr seid meine Babys!" Marco war definitiv ein verrückter Katzendad.

„Mach das bitte nicht, wenn die beiden auf mir liegen!", brüllte ich ihm in sein Ohr und öffnete die Coke.

„Stell dich nicht so an." Der alte Sack rollte über die Lehne und quetschte sich zu mir aufs Polster. „Wie war die Schule?"

Ich gab ihm nur ein genervtes Stöhnen als Antwort.

„Verstehe." Er öffnete seinen Kinderriegel und hielt mir die Hälfte hin. In seinem Kühlschrank waren immer Kinderriegel. Aber nur die großen, denn die kleinen schmeckten ihm nicht so gut. „Und... wie gehts dir?"

Ich grabschte nach der Schokolade und stopfte sie mir in den Mund. „Wie soll es mir gehen?"

Er schenkte mir seinen typischen ‚Du weißt, was ich meine'-Blick.

Wieder stöhnte ich genervt auf. „Ich will einfach nur noch sterben..."

„Sag sowas nicht."

„Aber ich hasse mein Leben...!" Jammernd ließ ich meinen Kopf auf ein Kissen sinken. „Wann hört es endlich auf so wehzutun, wenn ich sie sehe? Oder an sie denke? Oder wenn ich atme? Wieso tut alles, was ich mache, so schrecklich weh, alter Mann?"

Marco legte seine Hand auf meine Jeans und rieb mir kurz über mein Knie. „Ach, Kleiner..." Seine Flosse wanderte von meinem Knie zu einer seiner Katzen. Er hätte mir alles mögliche sagen können. Dass alles gut werden würde und es nur etwas Zeit brauchte. Dass ich den richtigen Menschen noch finden würde. Dass ich sie einfach vergessen sollte, weil sie es nicht wert war, dass ich ihr so hinterher trauerte. Aber er tat es nicht. Er sagte nichts von Alledem, was jeder andere zu mir sagte oder gesagt hätte. Der alte Mann beugte sich etwas zu mir rüber und patschte seine Hand sanft an meine Wange. „Du bist nicht allein, okay? Ich werd immer bei dir sein, Nics."

„Versprochen...?

„Ich kann dir rein gar nichts versprechen. Was wäre es wert, wenn ich es vielleicht doch nicht halten kann. Aber ich werde mein Bestes geben. Okay?" Er schenkte mir sein liebevolles Lächeln.

Ich nickte leicht und sah auf meine Hände.

„Wie wär's? Ich mach noch kurz meine Arbeit fertig und dann machen wir irgendwas. Überleg dir, worauf du Lust hast."

Wieder ein Nicken. „Okay."

„Cool." Marco erhob sich von seinem Sofa und tätschelte jedem von uns dreien nochmal den Kopf, ehe er wieder in seinen Arbeitszimmer verschwand.

Ich war wieder allein in diesem Raum mit all meinen Gedanken und den beiden Katzen auf meinem Bauch, die es mir unmöglich machten vor genau diesen Gedanken fortzulaufen.

Niemand [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt