Das Klopfen an meiner Zimmertür drang kaum zu mir durch. "Schläfst du, Nic?"
Brummend fuhr ich mir über das Gesicht. "Bin wach..."
"Ja, das sehe ich." Mein Vater lachte leicht auf. "Du solltest mal lüften."
"Hmmmh..." Ich setzte mich auf, streckte mich gähnend.
"Oh...!"
Verwirrt sah ich zu dem Mann meiner Mutter, der seine Augen bedeckte wie es Marco immer tat, wenn der etwas gesehen hatte, was er nicht sehen wollte.
"Ich wusste nicht, dass du Besuch hast." Er wedelte mit seiner anderen Flosse herum. "Mama macht essen, leistet uns doch gleich Gesellschaft."
Erst verstand ich nicht recht, was er meinte, bis mir Raffaele einfiel. Da er nachts arbeitete, war er gleich am Morgen hier aufgetaucht und nach dem Sex waren wir eingeschlafen. Deshalb hatte ich nicht mitbekommen, dass meine Familie aus dem Urlaub zurückgekommen war. Wenn ich nichts zu tun hatte, verschwammen die Tage nur so ineinander. Mir war gar nicht klar gewesen, dass die sturmfreie Woche bereits rum war.
Papa verschwand aus dem Zimmer und schloss brav die Zimmertür. Ihm war das ganze wahrscheinlich unangenehmer als mir. Etwas unsanft stieß ich meinen Handrücken auf Raffaeles Brust. "Aufwachen."
Maulend drehte er sich um, vergrub sein zerknautschtes Gesicht in meinem Kissen.
"Hoppi Galoppi!" Ich schälte mich aus der Decke und schaffte etwas Ordnung, bevor noch jemand irgendwelche Details entdeckte, die auf das eindeutige hinweisen würde. Auf den Rat des Familienvaters hin, riss ich mein Fenster auf. Ich warf meinem Freund frische Klamotten aufs Bett, ehe ich mit meinen eigenen ins Bad verschwand. Bevor ich den anderen unter die Augen treten konnte, war eine Dusche dringend nötig.
Als ich frisch geduscht und angezogen zurück in mein Zimmer trat, lag der Schönling noch immer eingekuschelt in meinem Bett. "Hey..." Ich krabbelte zu ihm, löffelte ihn. Er roch leicht nach Schweiß, doch das störte mich nicht. Liebevoll küsste ich seinen Nacken. "Meine Familie ist da. Es gibt gleich essen", hauchte ich, strich ihm eine dunkle Strähne aus der Stirn.
"Oh nein..." Seine Stimme war tief. Müde rieb er sich über sein Gesicht. "Dann zisch ich lieber ab." Mir fiel auf, dass er wirklich sehr unsicher wurde, wenn er jemanden kennenlernen sollte, der mir wichtig war. Nun wurde er auch noch mit meiner ganzen Familie konfrontiert.
"Zu spät... Mein Dad hat dich schon gesehen." Ich küsste entschuldigend seine Wange. "Und ich würde mich wirklich freuen, wenn du bleibst."
"Wirklich...?"
"Ja." Lächelnd legte ich meinen Kopf auf seiner Schulter ab, strich ihm über die Seite. "Ich bin mir sicher, dass sie dich mögen werden", flüsterte ich.
"Ich weiß nicht."
"Doch, ganz sicher." Ich stand auf. "Na komm, geh erstmal duschen. Dann gehen wir gemeinsam runter."
Er hatte noch kurz gezögert, ehe er ins Badezimmer verschwunden war, um mich danach in meinen Klamotten hinunter zu meinen Lieben begleitete. Raffaele hielt meine Hand umklammert. Irgendwie war es süß, dass er so aufgeregt war.
"Nici!", brüllte mein kleiner Bruder, der zu uns stürmte, um auf mich zu springen. Um ihn zu fangen, ließ ich Raffas Hand los und wurde durch den Schwung etwas gegen ihn gestoßen. Verwirrt glotzte der achtjährige den Mann hinter mir an. "Hallo."
Mein Freund hob die Hand. "Hi..."
"Raffaele, das ist mein kleiner Bruder Leo." Da er mir zu schwer wurde, ließ ich ihn wieder runter.
"Unschwer zu erkennen", murmelte der Student. "Meine Güte, seht ihr euch ähnlich."
"Hallo, Raffaele!" Leo grinste unseren Gast breit an, wobei eine Zahnlücke zum Vorschein kam.
"Wo hast du denn deinen Zahn gelassen?" Ich gabbelte ihm in der Schnute herum, machte mich über sein zahnloses Grinsen lustig.
"Jedenfalls hab ich mich nicht geprügelt." Von wem hatte er nur das frech sein? Er griff sich den Italiener am Arm und zog ihn ins Wohnzimmer, wo unsere Eltern bereits am Tisch saßen.
Schmunzelnd folgte ich ihnen, packte meine Hände auf die Schultern meines Freundes. "Leute, das ist Raffaele."
"Ihr seht euch ja alle drei so ähnlich", stellte er fest, als er meine Mutter erblickte, was sie zum lachen brachte. Die kleine Frau warf ihre blonden Locken über die Schulter. Sie sah erholt aus.
"Ich kann meine Söhne nicht verleugnen." Lächelnd zeigte sie an den Tisch. "Setz dich doch, Raffaele."
Ich hatte nichts anderes erwartet. Raffa verstand sich prächtig mit meinen Eltern. Sogar mit der kleinen Nervensäge kam er klar, obwohl er irgendwann mal erwähnt hatte, dass er Kinder nicht ausstehen konnte. Mein Vater quetschte ihn über die Uni aus und meine Mutter darüber, wie wir uns kennengelernt hatten. Sie waren viel aufdringlicher als Marco, doch damit schien er klar zu kommen. Sein Lachen war echt, er verstellte sich nicht. Er schien sich wohl zu fühlen. Das machte mich unbeschreiblich glücklich. Jetzt, wo der Streit mit meiner Mutter endlich vom Tisch war, war es mir wichtig gewesen, dass sie den Mann, den ich liebte, mochten. Oder zumindest akzeptierten. Aber wie es aussah, war er ihnen bereits nach der ersten Begegnung ans Herz gewachsen.
"Schläft er etwa auch so viel wie du...?", frage Raffa mich leise. Zwar hatten wir Leo gesagt, dass er ruhig spielen gehen konnte, doch hatte er meinen Freund zu spannend gefunden, um in sein Zimmer zu verschwinden. Irgendwann war er einfach eingeschlafen. "Haben Sie zu viele Schlaftabletten geschluckt, als Sie schwanger waren?"
Ma musste lachen. "Nicht, dass ich wüsste. Die beiden waren schon immer Schlafmützen, nicht wahr."
"Das stimmt. Aber so schön wie sie schlafen können, so anstrengend können sie werden." Leos Vater hob seinen Sohn vorsichtig auf die Arme, um ihn in sein Bett zu bringen.
"Das glaub ich Ihnen aufs Wort."
Ich stieß dem Italiener den Ellenbogen in die Seite. "Ich bin nie anstrengend."
"Wer's glaubt, Nilo." Er knuffte zurück.
"Aua..." Ich zog eine Schnute, legte mein Kinn auf seine Schulter. Mein Blick glitt zu meiner Ma, die uns anstrahlte. "Hm?"
Sie schüttelte lächelnd den Kopf. "Ich bin nur ganz entzückt von deinem Freund."
Wahrscheinlich wurden wir beide rot. Verlegen hob ich den Kopf wieder.
"Nein, ganz ehrlich. Ihr beide strahlt so eine... Freude aus. Das ist wirklich schön. Und erfrischend. Junge Liebe ist etwas sehr schönes." Sie legte liebevoll ihre Hände auf die von Raffaele. "Ich hoffe, dass du öfter zum Essen kommst."
Er erwiderte ihre Geste, indem er einen Daumen auf ihre Finger legte. "Auf jeden Fall." Er warf mir einen Blick zu, ehe er sich wieder meiner Mutter zuwandte. "Wissen Sie..."
"Sag ruhig Du."
"Weißt du, ich habe nicht wirklich mehr eine Familie. Es ist sehr schön, so herzlich aufgenommen zu werden." Kurz schimmerte ein wenig Traurigkeit in seinen dunklen Augen, doch verschwand es so schnell, wie es gekommen war. Er hatte nie wirklich über seine Familie gesprochen. Es sei kompliziert. Damit war das Thema gegessen. Ich beließ es dabei. Wenn er darüber reden wollte, würde er es irgendwann tun.
Mama erhob sich, um den Tisch zu umrunden. Sie zog den Mann in eine mütterliche Umarmung. "Du bist immer willkommen in diesem Haus", bestimmte sie.
"Aber nicht, dass du nur wegen meiner Ma herkommst." Ich warm meine Arme um alle beide, drückte ihnen jeweils ein Kuss aufs Haar.
"Wo ward ihr lieben Menschen nur mein ganzes Leben?" Es machte mich traurig, Raffa sowas sagen zu hören. Und gleichzeitig machte es mich zum glücklichsten Menschen der Welt. Denn wir hatten einander gefunden, ohne uns zu suchen. Ich würde ihn festhalten und ihm Kraft geben, so wie er es für mich tat. Ich wollte für ihn da sein, solang er mich ließ. Er war ein Teil meiner Familie geworden. Ganz still und heimlich hatte er sich zu ihnen gesellt, um dort zu verweilen. Er durfte so lang bleiben, wie er wollte. Am liebsten bis ans Ende aller Tage.
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Niemand [boyxboy]
RomanceEin Niemand. So wird er von anderen behandelt. Und so behandelt er sich vor allem selbst. Denn er ist ein Niemand. Nic Niemand. Sein Nachname bestimmt sein ganzes Leben, bis ein Mensch in sein Leben tritt, der ihm zeigt, dass er ein Jemand ist.