Im Café

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Gähnend streckte mein Gegenüber seine Gliedmaßen von sich und ließ seinen Blick durch das Café schweifen. Leute waren gekommen und gegangen. Es schien als wären wir die einzigen Konstanten an diesem Ort, an diesem Tag. „Ich glaub, ich brauche noch einen Kaffee." Der Schnurrbart erhob sich. „Möchtest du auch noch was? 'n Stück Kuchen oder so?"

Ich lehnte mich auf meinem Stuhl zurück. „Voll gern." Mit meinem Blick folgte ich dem Mann zum Tresen. Wir hatten uns bereits öfter verabredet, um gemeinsam zu lernen. Er für die Uni und ich für die Schule. Seit der Trennung und dem Stress mit meiner Mutter, schrieb ich nur noch miese Noten. Und dass ich nichts hatte, worauf ich hinarbeitete, machte es nicht unbedingt besser. Alle um mich herum wussten, was sie machen wollten. Welchen Job. Welchen Studiengang sie belegen wollen. Alle hatten total den Plan. Nur ich nicht. Ich wusste nicht, worin ich gut war oder worauf ich Lust hatte. Es stresste mich, darüber nachzudenken. Also tat ich es nicht. Ich vergrub das Thema in der hinterletzten Ecke meines Gehirns und holte es, wenn möglich, nicht hervor. Ganz einfach.

Ich schlug meine Unterlagen zu und schloss für einen Moment meine Augen. Eine Pause würde meinem Kopf guttun. Er rauchte und die Augen fühlten sich schrecklich trocken an. Die Müdigkeit nagte an mir. Normalerweise machte ich nach der Schule erstmal ein kleines Schläfchen. Aber, wenn ich wusste, dass wir uns zum Lernen trafen oder auch einfach nur so, bekam ich kein Auge zu. Irgendwie war da diese Aufregung. Ich zitterte, obwohl mir nicht kalt war und ich konnte nicht aufhören Marco ein Ohr abzulabern über alles mögliche. Ich freute mich einfach jedes Mal, Raffaele zu sehen.

„Hier!"

Brummend öffnete ich ein Äuglein und sah zu dem Typen auf, der mir ein Stück Erdbeertorte vor die Nase stellte. „Fehlt da nicht 'ne Erdbeere drauf?" Ich deutete auf den Sahnehaufen, auf dem eindeutig zuvor eine rote Köstlichkeit gesteckt haben musste.

„Die hab ich mir geklaut." Der Student ließ sich auf die Bank gegenüber sinken. „Ich dachte, das merkst du nicht."

„Jajajaja."

Obwohl ich mein Auge wieder geschlossen hatte, spürte ich sein blödes Grinsen, was mich ebenfalls zum schmunzeln brachte. Es war schön Zeit mit ihm zu verbringen. Seine gute Laune steckte an. Seine Nähe tat mir gut. Meine Gedanken und Sorgen wogen nicht mehr so schwer. Die Gespräche mit ihm waren erfrischend und er gab mir nicht das Gefühl, egal zu sein. Er nahm sich die Zeit mir zuzuhören. Er dachte nach, bevor er sprach. Meistens jedenfalls. Sein Humor verstand sich mit dem meinen und sein Lachen brachte mich ebenfalls zum Lachen. Es fühlte sich ganz einfach gut an.

„Hast du inzwischen mit deiner Mutter gesprochen?"

Schnaufend stützte ich mich mit dem Arm auf den Tisch und griff nach der Kuchengabel. „Hör bloß auf..."

„Hm also nicht?" Der dunkelhaarige nahm einen Schluck Kaffee. „Heißheißheiß...!"

„Ich geh ihr aus dem Weg. Und ich hab ehrlich gesagt auch keine Lust darüber zu reden."

„Ist gut."

Ich war ihm dankbar, dass er es einfach so hinnahm. Andere würden weiter darauf beharren, dass ich über dieses Thema reden sollte, weil es, in mich hineinzufressen, ja ungesund war. Natürlich war es nicht gesund. Aber ich hatte keine Lust mich zu quälen, wenn ich nicht bereit war, ernsthaft über die Sache nachzudenken. Es war eben nicht leicht.

„Sag mal... Ich bin demnächst wieder im Club. Keine Ahnung. Eigentlich hab ich keine Lust auf die Leute. Bist du dann zufällig auch dort?" Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, etwas Abstand zu Alkohol und Partys zu nehmen. Immerhin hatte ich die letzten Monate echt viel Kohle versoffen. Und auf meine sogenannten Freunde hatte ich auch keinen Bock. Aber irgendwie hatte ich bereits zugesagt. Ich würde am Start sein. Einfach absagen wäre auch irgendwie blöd.

„Weiß ich noch nicht. Aber vielleicht treffen wir uns ja dort." Er pustete in seine Tasse und nippte erneut daran. Diesmal schien er sich nicht seine Zunge zu verbrennen. „So ganz zufällig." Grinsend zwinkerte er mir zu.

Die Geste entlockte mir ein dümmliches Gegacker. Ich spürte, wie meine Ohren ganz warm wurden. Verräterisch. Wie gut, dass die Locken meine roten Ohrenspitzen versteckten.

Raffa klappte seinen Laptop zu. „Machen wir Schluss für heute?" Wieder gähnte er, ehe er einen Blick auf seine Uhr warf. „Ich hab keine Lust mehr."

„Ich auch nicht", gab ich zu und widmete mich meinem Kuchen. „Musst du heute Nacht wieder arbeiten?"

„Ja, leider. Ich würd mich davor gern nochmal ins Bettchen hauen."

Ich nickte leicht. Bisher war mir sein Rhythmus ein Rätsel. Er arbeitete in der Nacht. Aber nebenbei ging er in die Uni und lernte und Zeit, sich mit mir zu treffen, fand er auch noch. Schlief dieser Kerl überhaupt?

Im Gegensatz zu mir, sah man ihm den vermutlichen Schlafmangel nicht an. Er sah trotzdem gut aus. Überhaupt nicht fertig. Keine Augenringe, keine Stressfalten. Nur manchmal sahen seine braunen Knopfaugen irgendwie müde aus. Matt und glanzlos. Für einen kurzen Augenblick. Und dann versperrte er wieder die Tore in seine Welt und ließ keinen Blick in seine Seele zu. Er wirkte wie ein ehrlicher Mensch und ich glaubte ihm sein ganzes Auftreten. Ich war mir sicher, dass er nicht vorgab jemand anderes zu sein. Er zeigte einfach nur nicht alles von sich selbst. Natürlich nicht. Immerhin kannten wir uns kaum. Ich mochte ihn trotzdem. Und ich würde gerne noch viel mehr über diesen Menschen erfahren, der mich so viel besser fühlen ließ, als die meisten Menschen, denen ich bisher begegnet war.

„Was grinst du so blöd?", fragte er mich schmunzelnd.

„Ach..." Ich stützte meinen Kopf und glotzte ihn weiter an. „Ich bewundere einfach nur deinen hässlichen Bart."

Und dann erreichte sein Lachen doch wieder seine Augen. Das Funkeln kam zurück und erwärmte mein kaputtes Herz.

Niemand [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt