Wir hatten seinen Autoschlüssel nicht gefunden. Natürlich nicht.
„Ich werd am jetzt wohl Bus fahren. Oder Rad." Er lachte auf. „So ein Kackmist."
„Hast du keinen Ersatzschlüssel?" Ich hockte mich auf die Rückenlehne einer Bank. Sie stand vor dem Parkhaus. Der Platz war ausreichend beleuchtet, sodass man einander auch im Dunkeln sehr gut erkennen konnte.
Er warf sich auf die Sitzfläche und sah zu mir auf. Für einen Moment schien er etwas abgelenkt zu sein, um mir zu antworten. „Äh..." Leicht schüttelte er den Kopf. „Nee. Die Karre gehörte meiner Oma. Sie hatte immer nur einen Schlüssel. Und genau diesen Schlüssel hab ich eben vom da oben runter gepfeffert." Er deutete an den Fleck, an dem wir vorhin noch gestanden hatten.
„Das ist doof." Ich wühlte in meiner Jackentasche, zog den Drehkram hervor. „Willst du auch?", fragte ich den Schnurrbart, als ich ein Blättchen zückte.
„Ich rauche nicht, danke", meinte er und verschränkte seine Hände hinter dem Kopf.
Ich spürte seinen Blick auf mir. Er war nicht unangenehm, aber ich fühlte mich beobachtet. Unbeirrt stopfte ich Tabak und Filter zusammen, krümelte auf meine Jeans. „Ist was?", fragte ich und sah zu dem Fremden, als ich das Blättchen anleckte.
Schmunzelnd schüttelte er den Kopf, brach den Blickkontakt nicht ab. So einer war er nicht. Einer, der wegsah, weil es unangenehm wurde. Aber der Blickkontakt mit ihm war auch schlichtweg nicht unangenehm.
Ich klemmte die Kippe zwischen meine Lippen und tastete meine Taschen nach dem Feuerzeug ab. „Du hast nicht zufällig Feuer?", nuschelte ich und sah weg, um in meinem Rucksack zu suchen.
Leises Zischen und eine Flamme tauchte auf. Der Typ hatte sich etwas zu mir gesteckt, hielt ein hübsches Feuerzeug vor mein Gesicht. Ich beugte mich vor, um meine Zigarette anzustecken. „Danke."
„Nicht dafür." Er steckte es wieder ein. Warum auch immer er, als Nichtraucher, Feuer in seiner Tasche mitschleppte.
„Gott, ich hasse es, wenn jemand das sagt", stieß ich hervor.
„Hass ist ein schreckliches Wort, du solltest es aus deinem Wortschatz streichen." Er legte seine Beine lang auf die Bank. „Warum?"
Ich ignorierte seine Aussage, beantwortete lieber seine Frage. „Ich sag doch nicht ohne Grund ‚Danke'. Wenn ich mich bei dir bedanke, dann eben, weil ich mich genau dafür bedanken möchte. Also ist es meiner Meinung nach dumm, wenn man mir dann sagt ‚Nicht dafür'. Verstehst du, was ich meine?"
„Klingt logisch." Wieder spürte ich diesen Blick auf mir. Kurz lachte er auf. „Hey." Seine Flosse legte sich an meinen Unterarm.
Ich nickte in seine Richtung, zog fragend eine Augenbraue hoch. Seine Berührung störte mich nicht.
Er schien sich das Lachen verkneifen zu müssen. Seine andere Hand kam hinter seinem Kopf hervor und deutete auf meine Nase. „Du... ähm. Du hast da was im Gesicht." Nun konnte er seine Freude doch nicht mehr unterdrückten. „Das sieht eeeecht... bescheuert aus."
Meine Mundwinkel zuckten nach oben. „Du siehst auch bescheuert aus", erwiderte ich grinsend, zog an meiner Kippe.
„Ist die gebrochen?" Er tippte sich selbst auf den Riechkolben.
Ich nickte.
„Wie schafft man das denn? Gegen 'ne Laterne gelaufen?"
Ich lachte auf, schüttelte leicht den Kopf. Im Nachhinein fühlte ich mich richtig dumm, dass ich diese Prügelei überhaupt angefangen hatte. Es war so unnötig gewesen. Noch dazu schrecklich peinlich, dass es mich mehr getroffen hatte, als das eigentliche Opfer. „Ich bin ein dummes Kind, das der Meinung war, es würde ihm was bringen, sich mit dem Neuen seiner Ex zu kloppen." Es war so lächerlich, dass ich selbst über mich lachen musste. „Gott, ist das bescheuert." Ich rieb mir mit dem Daumen über die Wange. „Ich wurde von ihm runter gepflückt und hab dabei seinen Fuß in die Fresse bekommen."
Ein Grunzen. „Das ist echt dumm...", stimmte er mir zu, deutete auf meine aufgeschürften Fingerknöchel. „Hat wehgetan auf sein Gesicht zu schlagen, hm?"
„Ja...!" Ich zog eine Schnute, was ihn wieder zum Gackern brachte. Es war ansteckend. Seine gute Laune war ansteckend. Ich verstand nicht, wie er so gut drauf sein konnte, nachdem er so etwas wichtiges wie seinen Autoschlüssel verloren hatte. Aber anscheinend schien es ihm weniger was auszumachen. „Sag mal, verfolgst du mich eigentlich?"
„Was...?" Belustigt schaute er wieder zu mir.
„Na ja dreimal innerhalb so kurzer Zeit ist schon schwer auffällig."
„Eher verfolgst du mich!" Er rutschte etwas runter, sodass er auf der Parkbank lag. „Ich kann ja wohl nichts dafür, dass du im selben Club feiern gehst, du auf meiner Arbeit auftauchst und dort rumschreist, wo ich mein Auto immer parke."
„Hm... klingt wirklich eher, als würde ich dich verfolgen."
„Hilfe, ich habe einen Stalker!", rief er mit viel zu hoher Stimme. Ich hatte mich geirrt. Die tiefe Stimme passte doch sehr hervorragend zu ihm.
Ich kickte ihm leicht meinen Fuß in meine Seite. „Ey!"
„Aah und treten tut er mich auch!" Lachend wehrte er meinen Fuß ab, den ich erneut zum Tritt hob. „So hilft mir doch jemand!"
„Willst du auch ein Brillenhämatom?" Ich hob meinen Schuh über sein Gesicht.
„Nee, danke. Das sieht ja auch echt scheiße aus." Mit einer Hand drückte er meinen Fuß weg, mit der anderen zeigte er auf mein Gesicht. Der Lover meiner Ex hatte vor einigen Tagen meinen Kopf wirklich gut getroffen. Ich sah wirklich übel aus mit den blauen Flecken, die von der Nase bis unter die Augen wanderten.
„Da hast du wohl recht. Du bist mit deinem Bart ja schon genug gestraft." Ich zog ein letztes Mal an der Zigarette, ehe ich sie ausdrückte und in den Mülleiner schnipste.
„Was hast du nur gegen meinen Bart?"
„Es ist ein Schnauzer! In welchen Jahrhundert leben wir denn?"
„Tzzz. Wie gut, dass es mir egal ist, ob es anderen passt oder nicht." Er verdrehte seine Augen, versuchte arrogant zur Seite zu gucken. Aber er konnte nicht aufhören zu grinsen, was mich ebenfalls zum lächeln brachte.
Seufzend fuhr ich mir durch die wilden Haare. „Sag mal, wohin wolltest du denn vorhin eigentlich?" Immerhin hatte er seinen Schlüssel bereits in den Griffeln gehabt.
Ruckartig setzte er sich auf. „Oh verdammt! Wie spät ist es?"
Ich hielt ihm mein Handy vor die Augen.
„Fuck!" Wie auf aufgestochenes Hühnchen sprang er von der Bank. „Wie konnte ich das vergessen?!" Er nahm seinen Beutel und fing an zu rennen.
„Wohin?" Der Gedanke, ihn vielleicht kein weiteres Mal zu treffen, ließ mich wieder schwerer fühlen.
„Zur Arbeit!", rief er und hob nochmal den Arm.
„Wie kann man das denn vergessen?", stellte ich mir die selbe Frage wie er sich zuvor. Mir kullerte ein komisches Geräusch über die Lippen. Kopfschüttelnd erhob ich mich. Ich wusste, wo er arbeitete. Hoffentlich würde er für die Verspätung nicht gefeuert werden...
Lächelnd schulterte ich meinen Rucksack und trat den Heimweg an.
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Niemand [boyxboy]
RomantizmEin Niemand. So wird er von anderen behandelt. Und so behandelt er sich vor allem selbst. Denn er ist ein Niemand. Nic Niemand. Sein Nachname bestimmt sein ganzes Leben, bis ein Mensch in sein Leben tritt, der ihm zeigt, dass er ein Jemand ist.