"Das ist bestimmt nicht so leicht oder? Also diese ganze Freundschaft? Also es zu erklären. Ich meine, ich hab ja genau bescheuert reagiert." Raffaele nahm einen Schluck von seinem Tee. "Macht euch das nicht fertig? Ich mein, ein gerade so Erwachsener und ein... älterer Kerl. Nichts für ungut. Das ist nicht das typische Bild, das man im Sinn hat, wenn man an beste Freunde denkt."
"Das ist wirklich etwas kompliziert", meinte Marco, der Schokoriegel an alle verteilte, ehe er sich wieder zu uns an den Tisch setzte.
Ich hockte neben Raffa auf dem Küchensofa und lehnte meine Wange an seine Schulter. "Eigentlich schnallt keiner wirklich, was das zwischen uns ist. Für die Leute in der Schule war Marco nur ein ekliger Pädophiler und ich stand auf alte Männer. Das ist total lächerlich. Wer bestimmt denn, dass man mit 40 Jahren Altersunterschied nicht befreundet sein kann?"
"Eigentlich ist es ziemlich cool", gab der Schnurrbart zu und legte seinen Arm um mich. "Also ich fand es vorhin auch etwas komisch. Damit rechnet man halt einfach nicht. Aber, wenn man eure Story dazu kennt, ist das schon echt süß. Außerdem wirkt Marco nicht wie ein Kinderschänder."
"Na Danke!"
"Nein, ehrlich. Für dein Alter bist du mir wirklich sehr sympathisch."
Schmunzelnd drückte ich mich an Raffa. Es freute mich wirklich sehr, dass die beiden sich so gut verstanden. Sie schienen sich zu mögen. Das war mir irgendwie wichtig.
"Was sagen denn deine Freunde dazu?", fragte er Marco.
"Ach weißt du. Genau wie Nics, hab ich nicht so wirklich viele Freunde. Wie gesagt, mein Leben war ziemlich dort unten, als unsere gemeinsame Reise anfing. Und dann hatte ich alle Hände voll zu tun mit ihm und wenn ich ehrlich sein soll, war es wirklich erfrischend die Welt durch die Augen eines Kindes zu betrachten. Ich hab nie versucht nochmal jung zu sein und cool und jugendlich. Aber... es erweitert einem die Denkweise, wenn man so viel Zeit mit einem Kind verbringt, das einen mitnimmt und keinen Unterschied macht, ob man eben so viel älter ist. Das hält einen fit. Besonders im Kopf."
"Ich glaub, mein Hirn ist viel älter als deins, alter Mann", meinte ich grinsend und bewarf ihn mit dem Schokoriegelpapier.
"Vielleicht wird es träge, wenn man so viel schläft." Er warf das Papier zurück.
"Ja, wahrscheinlich. Aber schlafen ist toll! Kannst du glauben, dass Raffa nur ein paar Stunden schläft?"
"Kein Mensch schläft so viel wie du, Nilo!"
"Und keiner so wenig wie du!", rief ich. "Ich wäre längst gestorben."
"Oh bitte nicht", meinten die Barträger gleichzeitig, was uns alle zum lachen brachte.
Lächelnd legte ich meine Arme um den Italiener neben mir, strich seine Seite auf und ab.
Marco hob sein Handy und schoss ein Foto von uns beiden. "Ihr seid wirklich... hübsch zusammen", grinste er entzückt und wackelte lustig mit seinen Schultern. "Das ist schön".
Verlegen drückte ich mein Gesicht an Raffas Schulter, was ihn zum Gackern brachte. "Hast du jemanden? Also eine Frau oder Freundin? Oder einen Mann?"
"Was ich?" Marco trommelte mit seinen Fingern auf dem Tisch. Die Frage meines Freundes machte ihn etwas nervös.
"Klar du! Wer sonst?"
"Nein..." Er strich sich durch den Bart. "Da gibt es niemanden."
"Gab es mal jemanden?" Der Schnurrbart war wirklich neugierig.
"Ach... nein. Also... weißt du, das ist wirklich... kompliziert." Marco sprang auf. "Wollt ihr noch Tee? Schokolade?"
Sanft klopfte ich auf den Bauch meines Kuschelopfers. Er sollte es gut sein lassen. Das war das einzige Thema, über das mein bester Freund nie wirklich mit mir gesprochen hatte. Ich hatte es versucht. So oft. Aber er war immer ausgewichen und nervös geworden. Er fühlte sich unwohl und wollte ganz offensichtlich nicht darüber sprechen. In meinem ganzen Leben hatte Marco nie jemanden an seiner Seite gehabt. Keine Freundin oder Frau. Keinen Partner. Niemanden, der über Nacht blieb, oder über den er schwärmte. Seit ich mich erinnere, gab es nie einen Menschen, den er liebte. Mit dem er in einer Beziehung war. Weder auf romantische, noch auf sexuelle Art. Sogar meine Mutter hatte ich danach gefragt, doch die wusste auch nichts. Wahrscheinlich würde dieser Mann dieses Geheimnis mit in sein Grab nehmen. Das war auch okay. Wenn er nicht darüber reden wollte, dann würde ich es akzeptieren.
"Warst du nie in jemanden verliebt? Gab es nie jemanden?" Ich knuffte Raffaele, der meine Signale wohl nicht verstanden hatte.
Mein bester Freund betrachtete meinen Sitznachbarn, seufzte leise. "Ich... das ist eine wirklich... lange und anstrengende und komplizierte Geschichte. Nichts gegen dich, aber ich würde dich bitten, es einfach sein zu lassen."
Mir war klar, dass er jetzt erstrecht erfahren wollte, was in dem fast 60-Jährigen vorging, aber glücklicherweise hielt er sich tapfer zurück. "Okay. Tut mir leid."
Marco lächelte ihn sanft an, legte die Hand auf Raffaeles Haar, sie wie er es bei mir auch immer tat. "Schon okay. Erzähl lieber etwas von dir!"
"Von mir?"
"Klar. Jetzt haben wir so viel über Nics und mich geredet, aber ich weiß immer noch sehr wenig über dich."
"Ach, da gibt es auch nicht so viel... Wahrscheinlich hat Nilo eh schon alles wesentliche erzählt,"
Ich lachte auf. "Das... kann gut angehen."
"Hm... wie alt bist du? Das hat er mir nie erzählt."
Ich löste mich aus der Umklammerung und nahm meine Coke. Tatsächlich hatte ich es Marco nie erzählt, weil ich es selbst nicht wusste.
"Ah. Er hat mich das auch nie gefragt", stellte auch meine Begleitung fest. "Ich bin 29."
Die Cola, die ich eigentlich trinken wollte, fand irgendwie den richtigen Weg nicht, weshalb ich mich heftig verschluckte und sie mir aus der Nase wieder herausschoss. Das tat wirklich unglaublich weh. "Fuck..." Ich drückte meine Flosse auf die Nase, während ich mit dem Ärmel die Cola vom Tisch wischte.
"Alles gut?", fragten beide mich besorgt, konnten sich ihr Lachen allerdings nur schwer verkneifen. Es war wirklich gruselig, wenn sie das taten.
"Ja..." Ich zog die Nase hoch. "Scheiße, das tat echt weh..." Ich zog die Augenbrauen zusammen und sah den Schnurrbart an. "Und du bist echt... zehn Jahre älter als ich?"
"Jap."
"Fuck...!"
"Gefalle ich dir jetzt nicht mehr?"
"Die hatten alle Recht! Offensichtlich stehe ich auf alte Männer!"
Marco konnte sein Lachen nicht mehr zurückhalten, als Raffa eine Schnute zog. Das sah nämlich wirklich knuffig aus.
"Ich bin kein alter Mann. Marco ist ein alter Mann!" Er zeigte auf die Kichererbse. "Und vorher hat dich das auch nicht gestört."
"Da wusste ich das auch nicht." Es war schwer, mein ernstes Gesicht zu behalten.
"Wie gemein... Als ob das etwas ändert." Der Italiener verschränke seine Arme von der Brust, schmollte.
Grinsend umfasste ich sein Gesicht. "Bist du wirklich 29?"
"Ja..."
"Echt jetzt?" Ich rieb meine Nase an seiner.
"Jaha! Schlimm genug, reite nicht drauf rum..."
"Aber für 29 bist du wirklich schrecklich süß, weißt du das?" Ich küsste zaghaft seine perfekten Lippen.
"Achja...?"
"Oh ja..." Ich küsste ihn wieder kurz. "Ganz entzückend. Und heiß... und..."
Der alte Mann schlug seine Hand auf den Tisch. "Okay, nehmt euch ein Zimmer. Aber keins von meinen."
Glucksend lösten wir uns voneinander. Dieser Kerl... Er machte mich wirklich glücklich.
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Niemand [boyxboy]
RomanceEin Niemand. So wird er von anderen behandelt. Und so behandelt er sich vor allem selbst. Denn er ist ein Niemand. Nic Niemand. Sein Nachname bestimmt sein ganzes Leben, bis ein Mensch in sein Leben tritt, der ihm zeigt, dass er ein Jemand ist.