Tanzen im Sommerregen

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"Lass uns tanzen, Raffa." Ich griff meinen Freund bei den Händen und zog ihn unter dem Baum hervor, unter dem wir Schutz gesucht hatten. Der Wein, den wir zur Feier meines ersten erfolgreichen Jobs als Model, getrunken hatten, stieg mir ein wenig zu Kopf. Diese herrliche Wärme hatte sich in mir ausgebreitet.

"Aber es regnet." Gackernd ließ er sich von mir mitziehen.

"Egal!" Der Sommerregen fühlte sich kühl an auf meinen erhitzen Wangen. "Tanz mit mir." Ich zog den perfekten Mann an mich.

"Aber wir haben keine Musik."

"Auch egal!", rief ich und legte meinen Kopf in den Nacken. Alles war egal, solang er bei mir war. Wir schunkelten hin und her. Die Tropfen durchnässten unsere Kleidung, doch wir tanzen unbeirrt weiter. Leute rannten aufregt an uns vorbei, um dem Wetter zu entfliehen. Unsere Schuhe sogen das Wasser aus den Pfützen auf, bis die Socken auch nicht mehr trocken waren. Die Luft roch herrlich. Das war das beste am Sommer. Der erlösende Regen nach der Hitze. Die nötige Abkühlung. Und in den Armen der wundervollste Mensch, dem ich begegnen durfte. Er war der Mann, der mir zuvor nie in meinen Träumen begegnet war, weil ich nicht ahnen konnte, dass er existieren würde. Ich war noch so jung, doch hatte ich das Gefühl, dass er der einzig wahre war. Der Mensch, mit dem ich den Rest meines Lebens verbringen wollte. Mit ihm wollte ich mich niemals so heftig streiten, dass es zerbrechen würde. Ich wünschte mir, dass er all meine Launen aushielt und mich trotz meiner Ecken und Kanten für immer in seinen Armen halten würde.

Wir wirbelten uns im Kreis. Er unter meinem Arm unter durch und ich unter seinem, ehe wir uns einander fest umschlagen und wieder herum schaukelten. Unsere nassen Körper schmiegten sich aneinander. Die Stoffe rieben an unserer Haut und keiner störte sich daran. Dieser Moment war so unendlich, wie meine Gefühle zu ihm.

Ich küsste ihn leidenschaftlich, fuhr ihm durch die dunklen Haare, die trotz des Regens gut aussahen. Er war sexy, sein ganzer Anblick war ein einziger Genuss. Ich wurde nie müde, diesen Menschen zu betrachten. Zu beobachten und anzuschmachten. Ihn zu berühren und festzuhalten. Ihn zu verwöhnen und von ihm verwöhnt zu werden.

Seine langen Finger krallten sich in mein nasses Shirt. Vor unserem Date hatte er sich beschwert, ich solle mir doch wenigstens für so einen besonderen Anlass etwas besseres anziehen, als nur ein weißes Shirt und meine langweiligen Jeans. Ich wusste, dass es ihm Spaß machte, mich damit zu nerven und dafür liebte ich ihn. Ich liebte ihn für seinen Humor und sein wunderbares Lachen. Für seine Art zu reden und sich zu bewegen. Wie er sich rein hing, wenn es um etwas ging, was ihm wichtig war. Wie er sich aufregte, wenn ihm etwas gegen den Strich ging oder er wütend war. Wie er aussah, wenn er schlief oder aß oder einfach wieder stundenlang vor seinen Entwürfen verharrte. Ich liebte ihn dafür, wie er mich berührte und sich unter meinen Berührungen wandte. Für sein ganzes Wesen. Sein komplettes Sein. Dafür, dass er mich nicht wie ein Niemand fühlen ließ. Ich war nicht allein. Nicht unwichtig. Kein Nichts. Ich musste nicht vergessen, wie ich hieß oder wer ich überhaupt war, um mich gut zu fühlen. Denn in seiner Nähe erinnerte ich mich gern an mich selbst. An die Person, die ich wirklich war. Er hatte mir geholfen, mich wiederzufinden. Mich zu entdecken und mich zu sehen. Denn er tat es auch. Mich sehen. Er blickte nicht durch mich hindurch, nein er sah mich an. Er schenkte mir seine Aufmerksamkeit und sagte mir, was ich ihm bedeutete. Er rüttelte mich wach, wenn ich einknickte und er machte mir klar, dass ich für manche Menschen etwas besonderes war. Raffaele zeigte mir, dass ich ein Jemand war. Nicht für alle oder für viele. Nein, für ganz wenige. Für wenige, aber ganz besondere Menschen. Für meine Familie, meine Seelenverwandten, meine Freunde und vor allem für mich selbst. Ich war ein Jemand für die Menschen, die wichtig waren. Das war das einzige, was zählte.

Mein Name bestimmte nicht mehr mein Leben. Nicolai Niemand. So hieß ich zwar, doch war ich kein Niemand mehr. Und ich wollte nie wieder einer sein.

Niemand [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt