Ich stehe an der Bar des Clubs und beobachte die anderen Gäste beim Tanzen, Trinken, Schwitzen, Flirten. Spaß haben.
Abgelenkt von den blinkenden Lichtern und der monotonen Musik, driften meine Gedanken ab. Was mache ich hier eigentlich? Ich bin mit Marco und Karl, einem weiteren Kollegen, hierhergekommen, um das erfolgreiche Ende unseres letzten Projekts zu feiern. Außerdem habe ich es gestern, und damit tatsächlich noch im Juli, wie ich es mir vorgenommen hatte, endlich geschafft, meine Master-Arbeit meinem Betreuer zur Korrektur zu geben und damit endlich meine Abende wieder für mich zu haben. Irgendwie hätte mir klar sein müssen, dass die beiden Kollegen andere Vorstellungen vom Feiern haben, als ich. Während die beiden in ihren normalen Arbeits-Outfits in einer abgelegenen Sitzecke über die Arbeit diskutieren, stehe ich sorgfältig gestylt und feier-bereit an der Bar und vor der Entscheidung, was aus diesem Abend werden soll. Ich könnte Ben fragen, ob er vorbeikommt, wobei ich nicht unbedingt will, dass meine Arbeitskollegen zu viel von meinem Privatleben mitbekommen. Ich könnte aufgeben und mich mit den beiden über die Arbeit unterhalten, wobei das in einer Freitagnacht eigentlich keine Option für mich ist. Oder ich gehe alleine tanzen und schaue, was passiert. Oder ich gehe einfach nach Hause.
Ich beschließe, dem Abend noch eine Chance zu geben und bestelle einen weiteren Drink. Wenn ich das Glas ausgetrunken habe und bis dahin kein guter Song zum Tanzen kommt und auch sonst nichts passiert ist, gehe ich heim. Wenn sich, solange das Glas noch nicht leer ist, irgendeine Möglichkeit bietet, mehr aus dem Abend zu machen, werde ich sie wahrnehmen.
Ich drehe mich um, bezahle den Drink, den der Barkeeper gerade vor mir abgestellt hat, nehme einen Schluck und wende mich wieder der Tanzfläche zu.
"Hey"
Ich drehe mich zu der Stimme um. Es ist ein Mann, der mir bisher noch nicht aufgefallen ist. Groß, schlank, dunkles Hemd, blonde lange, zusammengebundene Haare und blaue Augen, die selbst im Licht eines Nachtclubs hell wirken. Er wäre mir definitiv aufgefallen.
"Hey", antworte ich.
"Ich habe jetzt einige Minuten überlegt, wie ich dich fragen kann, ob du alleine hier bist, ohne gruselig oder abgedroschen zu wirken. Natürlich ist mir keine Lösung eingefallen, aber ich wollte mir die Chance trotzdem nicht entgehen lassen, mit dir zu reden." Er lächelt.
Ich lache: "Wow, das ist tatsächlich eine schwierige Aufgabe, ich schätze, diese Frage wird platt wirken, egal wie man sie formuliert. Aber um sie zu beantworten, technisch gesehen bin ich hier mit Kollegen, praktisch haben sie nichts Besseres zu tun, als über die Arbeit zu sprechen. Also bin ich so gut wie alleine. Ich bin übrigens Mina."
"Tom. Freut mich, dich kennenzulernen, Mina. Ich bin allein hier und wollte eigentlich gerade gehen, als ich dich gesehen habe. Allein in einen Club zu gehen, erschien mir vorher eine gute Idee zu sein. Aber wenn man erst einmal dort ist, entpuppt es sich als ziemlich ziellos. Also dachte ich, ich frage dich, wie du das machst."
"Genau mein Gedanke eigentlich, ich habe auch daran gedacht zu gehen, aber ich habe beschlossen, noch einen Drink zu nehmen und zu sehen, ob sich etwas ergibt." Ich erwidere sein Lächeln.
Tom erzählt mir, dass er nur für ein paar Tage auf Geschäftsreise in der Stadt ist und sich zumindest ein paar private Eindrücke von der Stadt verschaffen wollte, weswegen er in den Club gegangen ist.
Wir plaudern ein bisschen darüber, dass es einfacher war, Leute zu treffen, als man noch jünger war und dass ab einem gewissen Punkt all diese Höflichkeiten, Ansprüche und festgefahrenen Ideen im Kopf einen von spontanen Aktionen und neuen Bekanntschaften abhalten.
Aus diesem Gedanken heraus, mache ich etwas, was ich sonst länger überdenke: den ersten Schritt. Ich schaue Tom in die Augen, streiche über seinen Unterarm und sage: "Es muss nicht alles schwierig sein, manchmal muss man einfach ins kalte Wasser springen und etwas riskieren. Also, willst du gehen und ein bisschen privaten Spaß haben?"
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Mina
General Fiction[E] markiert Kapitel mit sexuellem Inhalt. Was macht man eigentlich, wenn man Anfang Dreißig ist, keinen Partner, keine Kinder, keinen Hund und keinen Garten hat, aber auch keinerlei Bedürfnis, das zu ändern? Was tut man, wenn Gleichaltrige von Fami...