Neue Energie

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Um kurz vor neun stehe ich bei Max am Empfang, der mir förmlich, aber breit grinsend die Hand gibt. "Herzlich willkommen bei uns." er strahlt mich an und nimmt dann einen schmalen Ordner mit meinem Namen und eine Schachtel aus dem Regal. Dann bittet mich, mitzukommen.

Wir gehen in Sarahs Büro und Max weist mich mit einem Zwinkern auf das neue Namensschild hin, welches nicht mehr nur Sarahs, sondern auch meinen Namen ausweist.

Sarah Thiel (M.A.)

Mina Lehmann (M.A.)

Auf meinem Schreibtisch stehen ein Laptop, ein großer Bildschirm und ein Blumenstrauß mit Karte, die mich im Team willkommen heißt und von Herrn Albrecht unterschrieben ist.

Max bedeutet mir, mich an den Schreibtisch zu setzen und holt einen Stuhl vom Besuchertisch dazu.

"Sarah kommt heute etwas später, deshalb fangen wir zwei schon mal mit dem Onboarding an. Also..." er öffnet den Ordner und entnimmt eine Liste "das hier ist die Checkliste zum Onboarding. Die hakst du bitte ab und wenn du fertig bist, gibst du sie Sarah zum Unterschreiben und dann mir, damit ich eine Kopie für die Akten machen kann."

Die ersten Punkte sind schnell abgehakt, Max gibt mir einen Transponder für den Zugang zum Gebäude, zu den Büros und zum Firmenparkplatz, meine Zugangsdaten für den Computer und meine Visitenkarten.

Ich bin gerade dabei, mein Emailkonto einzurichten, als Sarah ins Büro kommt. "Herzlich willkommen" strahlt sie mich an. "Ich sehe, Max hat sich schon um dich gekümmert. Ich muss kurz zwei Telefonate führen, dann machen wir ein kleines Team-Meeting. In dem Rahmen stelle ich dich nochmal allen vor und weise ich dich in zwei der Projekte ein, mit denen du startest. Die anderen Projekte lernst du dann nach und nach kennen. Okay?"

"Klar, ich freue mich."

Der Rest des Vormittags vergeht wie im Flug und bald schwirrt mein Kopf von neuen Namen, Projektdetails und Fragen. Nach dem Mittagessen überlässt Sarah mich mir selbst und ich versuche, mich soweit in die Projekte einzuarbeiten, damit ich mich beim nächsten Meeting aktiv einbringen kann.

Irgendwann löse ich meinen Blick vom Bildschirm und sehe, dass es bereits dämmert. Ich frage mich, wie die Arbeitszeiten hier gehandhabt werden. Laut Sarahs Auskunft im Vorstellungsgespräch würde wohl darauf geachtet, dass keine unnötigen Überstunden gemacht würden. Wie das in der Realität aussieht, ist aber ja bekanntlich ein anderes Thema.

Ich wende mich gerade wieder den Plänen zu, als Sarah aus ihrem Meeting kommt. "So, den ersten Tag hast du geschafft." sie lächelt. "Ich hoffe, ich habe dich nicht überfordert?"

"Nein, alles gut. Ich denke aber, ich brauche noch ein paar Tage, bis ich mich vollständig in die Projekte eingearbeitet habe."

"Lass dir Zeit. Wir haben dienstags um 10 Uhr einen Jour Fixe, bei dem wir die Projekte durchgehen. Morgen hörst du einfach zu und nächste Woche kannst du dich sicher schon einbringen. Ach ja, hat Max dir erklärt, wie die Arbeitszeiten erfasst werden?"

"Nein, ich glaube nicht."

"Frag ihn morgen mal, dann soll er dir gleich das System zeigen, darüber laufen auch die Urlaubsplanung und Krankmeldungen. Du stempelst einfach mit deinem Transponder ein und aus. Unten im Eingangsbereich gibt es ein Terminal. Am Eingang vom Parkplatz aus ist auch eins. An dem aktivierst du morgens den Transponder; damit schaltest du den Zugang zu den Büros frei und stempelst ein und abends stempelst du damit auch wieder aus. Wenn du magst, zeige ich es dir."

Eine Viertelstunde später verlasse ich mit Sarah das Gebäude und verabschiede mich bis morgen.

Auf dem Heimweg muss ich lächeln. Trotz der Unsicherheiten, die so ein erster Tag mit sich bringt, fühlt es sich so viel besser an, als bei Wagner und Sohn.

Ich beantworte Lillys und Marcos Nachrichten und beschreibe kurz meinen Tag, dann mache ich mich auf den Weg, um mein Büro-Outfit daheim und die restliche Anspannung danach im Schwimmbad loszuwerden.

Mit jedem weiteren Tag fühle ich mich noch wohler an meinem neuen Arbeitsplatz und am Mittwoch kann ich das endlich mit jemandem feiern.

Auf dem Weg zu Lilly kaufe ich Orangen, eine Zitrone, Sternanis, Nelken, Zimtstangen und drei Flaschen Rotwein ein. Der erste Glühwein des Jahres.

Lilly empfängt mich mit Nikolausmütze auf dem Kopf und verschiedenen Speisekarten in der Hand. In der Küche setzen wir als erstes den Glühwein an und entscheiden uns dann, wo wir Essen bestellen.

Nachdem Lilly die Bestellung aufgegeben hat, erkundigt sie sich nach meinem neuen Job und ich erzähle ihr von meinem ersten Tagen dort.

Als die bestellten Burger vor uns stehen, fragt Lilly: "Was für Plätzchen willst du eigentlich machen?"

"Für was hast du denn eingekauft?"

Sie blättert in ihrem Backbuch und liest von den markierten Seiten vor: "Terassenplätzchen, Lebkuchen, Haselnussmakronen, Vanillekipferl, Zimtsterne, Schwarz-Weiß-Gebäck und Vanillekugeln."

"Die willst du alle machen?"

"Nein, aber ich habe mal für alle eingekauft, dann können wir aussuchen, was wir wollen."

"Okay. Also ich fände die Terrassenplätzchen toll."

Lilly nickt. "Vielleicht noch die Haselnussmakronen? Und dann können wir überlegen, ob wir noch mehr wollen."

"Gut, so machen wir's."

Nach dem Essen und der ersten Tasse Glühwein beginnen wir mit dem Backen. Als Lilly ihre Dose mit Ausstecher-Formen ausleert, fischt sie grinsend eine Form heraus und zeigt sie mir. Die Metallene Form soll den Umriss eines Penis darstellen. "Ich glaube, wir müssen noch ein paar Butterplätzchen machen, damit der hier zum Einsatz kommt." kichert Lilly.

Drei Stunden später haben wir uns alle möglichen Geschichten der letzten Wochen erzählt, über Ben und Claire gelästert, ein paar weitere Tassen Glühwein getrunken und nebenbei einige Bleche an Terrassenplätzchen und Haselnussmakronen gebacken.

"So, jetzt die Penisse!" erklärt Lilly und nimmt den dafür vorgesehen Teig aus dem Kühlschrank. Wir machen uns einen Spaß daraus, die Plätzchen mit Zuckerperlen zu verzieren und unterhalten uns dabei über Lillys letzte Eroberungen. Mir fällt auf, wie gelöst und fröhlich Lilly ist und wie gut ihr die Trennung von Sven letztendlich getan hat.

Es ist schon halb zwölf, als wir den Glühwein austrinken, die fertigen Plätzchen in die dafür vorgesehenen Dosen stapeln und uns danach voneinander verabschieden. Schließlich müssen wir morgen beide wieder arbeiten.

MinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt