Es ist der 3. August. Ich sitze auf einem Sofa im VIP-Bereich des Clubs, ein Glas Sekt in der Hand, und beobachte meine Umgebung, soweit das in dem nur durch bunte Lichteffekte erleuchteten Raum möglich ist. Die Musik lässt den Boden vibrieren und bringt die meisten Besucher in Feierlaune. Der Club ist noch nicht ganz gefüllt, aber es ist auch noch früh. Ich bemerke, dass ich in Zwischenzeit deutlich über dem Durchschnittsalter bin, der so bei 20 liegen dürfte und bin froh, wenigstens den Luxus des VIP Bereiches zu genießen, statt ungewollten Körperkontakt mit Menschen zu haben, bei denen ich mir zum Teil nicht mal sicher wäre, ob sie schon Auto fahren dürfen. Letzte Woche ist mir das gar nicht so aufgefallen. Vielleicht fühlt man sich automatisch jünger, wenn man mit älteren Leuten im Club ist? Oder es liegt daran, dass heute 90er-Party ist. Das ist wohl der wahrscheinlichere Grund. Wobei mir nicht klar ist, wie ausgerechnet Musik aus den 90ern die Jüngeren anzieht.
Lilly sitzt auf Svens Schoß und flüstert ihm kichernd etwas ins Ohr. Zwei weitere, mit Ben befreundete Pärchen sitzen jeweils knutschend daneben. Ich versuche, mich an ihre Namen zu erinnern. An das ungleiche Paar des muskulösen aber nerdigen Andy und seiner zierlichen, immer top gestylten Frau Hanna erinnere ich mich, das andere Paar gehört zu den Menschen, denen man zwar hin und wieder begegnet, die aber nie die Relevanz erreichen, dass sie einem wirklich im Gedächtnis bleiben. In der dunkleren Nische neben uns sitzen einige von Bens Club-Poser-Freunden, die ich nie auseinanderhalten kann, da sie wie Klone wirken mit ihren akkurat geschnittenen, nach hinten gegelten Frisuren, ihren engen Hemden, die die trainierten Arme betonen sollen und ihrem schmierigen Lächeln, das wohl die weiblichen Clubbesucher anlocken soll. Sie sitzen betont unauffällig zusammen um ein Tischchen, auf dem mit Sicherheit irgendwelche Pillen oder Tütchen mit Pulver liegen, die Partystimmung und Selbstbewusstsein pushen sollen. Ben steht bei ihnen und diskutiert mit einer der Kellnerinnen, bevor er ihr mit einem Lächeln mehrere gefaltete 50-Euro-Scheine in die Hand gibt. Dann setzt er sich kurz zu den Posern und beugt sich über den Tisch, steht dann wieder auf, wobei er sich ein Sektglas vom Tisch nimmt, prostet ihnen zu und kommt dann zu den Pärchen und mir in die Nische. Er erhebt sein Glas und nachdem die Pärchen sich jeweils voneinander gelöst haben, stoßen wir auf ihn an.
Gerade, als Ben sein Glas auf den Tisch stellt, nähert sich ihm von hinten eine zierliche, blonde Frau in einem knappen, pinken Kleid, welches ihre schlanke Figur und ihre großen Brüste perfekt betont. Trotz ihren High Heels muss sie sich etwas strecken, um Bens Augen mit ihren Händen von hinten zuzuhalten. Er fasst nach ihren Händen, nimmt sie von seinen Augen und dreht sich zu ihr um. Sie springt ihn förmlich an, schlingt ihre Arme um seinen Hals und küsst ihn. Er hält sie fest und erwidert den Kuss.
Uns beiden, Ben und mir, ist klar, dass das zwischen uns nicht exklusiv ist und wir unterhalten uns auch hin und wieder über unsere Sexpartner, allerdings achten wir im Normalfall darauf, dass der jeweils Andere nicht dabei ist, wenn wir auf irgendeine Art und Weise mit jemand Anderem zusammen sind, schon alleine um seltsame Situationen für die jeweiligen Partner zu vermeiden. Und nicht, dass ich direkt eifersüchtig wäre aber irgendwie bin ich schon ein bisschen genervt, dass Ben mich nicht vorgewarnt hat. Das gehört nicht unbedingt zu den Dingen, die ich heute Abend sehen wollte. Außerdem habe ich in Anbetracht der vielen Pärchen tatsächlich ein wenig gehofft, heute auch nicht alleine nach Hause zu gehen. Und auf die üblichen Club-Balz-Rituale habe ich heute auch nicht unbedingt Lust.
Ben gibt der Blonden sein Sektglas in die Hand und sagt ihr dann etwas ins Ohr. Dann geht er zur Bar und die Blonde kommt auf unsere Nische zu. Sie lässt sich neben mich auf das Sofa fallen und hält mir ihre mit Armreifen und Ringen dekorierte Hand hin. Ich ergreife sie etwas zögerlich und sie stellt sich mir lächelnd als Claire vor. "Mina." Entgegne ich und ihr Lächeln scheint zu gefrieren. "Du bist Mina? Ich dachte, du wolltest heute nicht kommen?" Ich bin etwas perplex über die direkte Ansage und zucke mit den Schultern. Ich wüsste nicht, dass ich nicht kommen wollte. Claire lächelt weiterhin ihr versteinertes Lächeln und steht dann abrupt auf, um zu Ben zu gehen, welcher mit zwei Cocktails von der Bar zurück ist. Sie nimmt ihm einen Drink aus der Hand, stellt das Sektglas weg und zieht ihn dann auf die Tanzfläche. Lilly beugt sich zu mir und fragt mich, wer sie ist. Ich erkläre ihr, dass ich außer ihrem Namen und ihrer offensichtlichen Abneigung nichts von ihr weiß.
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Mina
General Fiction[E] markiert Kapitel mit sexuellem Inhalt. Was macht man eigentlich, wenn man Anfang Dreißig ist, keinen Partner, keine Kinder, keinen Hund und keinen Garten hat, aber auch keinerlei Bedürfnis, das zu ändern? Was tut man, wenn Gleichaltrige von Fami...