"Mina?" Marco schaut mich fragend an und reißt mich damit aus meinen Gedanken.
"Sorry, was hast du gesagt?" Ich bin mit meinen Gedanken immer noch bei gestern Abend und kann mich absolut nicht auf die Arbeit konzentrieren. Ich hätte mich einfach krankmelden sollen.
"Du bist überhaupt nicht bei der Sache, was ist denn heute los mit dir?" Marco ist genervt.
"Tut mir leid, ich habe gestern wohl zu viel an meiner Masterarbeit gearbeitet und ein bisschen wenig geschlafen." Er muss nicht wissen, was ich wirklich gemacht habe. Und Christina, die mich ebenfalls anschaut, erst recht nicht.
"Komm schon, reiß' dich ein bisschen zusammen, wir sind ja gleich durch."
Ich schaue auf den Bildschirm und versuche, mich zu konzentrieren. Eine dreiviertel Stunde später sind wir tatsächlich fertig. Ich hole mir noch einen Kaffee und als ich zurück zu meinem Schreibtisch gehe, lehnt Marco daran. "Ist alles in Ordnung bei dir? Du wirkst heute wirklich ziemlich durch den Wind."
"Jaja, alles in Ordnung. Ich habe nur wirklich zu wenig geschlafen. Aber ich bin so gut wie fertig mit der Masterarbeit, ab nächster Woche bin ich wieder konzentriert bei der Arbeit, versprochen."
"Gut, dann bin ich beruhigt. Geh doch einfach heim, du bekommst doch sowieso nichts auf die Reihe. Ich sag dem Chef, dass du dich nicht gut gefühlt hast."
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. "Danke. Ich schulde dir was!"
"Kein Problem, dafür sind gute Kollegen doch da."
"Trotzdem danke. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende!"
"Danke, ich dir auch. Erhole dich gut."
Ich verlasse das Büro und sobald die Tür hinter mir zufällt, denke ich wieder an gestern Abend. Ich bin immer noch gleichzeitig fasziniert und abgeschreckt von dem, was ich dort gesehen habe.
Ich kann es nicht erwarten, mit jemandem darüber zu sprechen und schreibe Ben:
Ich: Wann und wo?
Ben: Ich muss noch kurz Gemüse und so einkaufen und bin ab ca 17 Uhr wieder daheim. Komm, wann du willst.
Es würde mich nicht wundern, wenn Ben nicht mal wüsste, wo man Gemüse kaufen kann. Gemüse einkaufen bedeutet bei ihm, dass er seinen Dealer besucht. Das bringt mich auf eine Idee. Falls ich mich mit Marco nochmal privat treffen sollte...
Ich: Das trifft sich gut. Bringst du mir Brokkoli mit? Ich komm dann gegen sechs.
Ben: Aber gerne doch.
Ich fahre heim und überlege, was ich mit dem unerwarteten freien Nachmittag anfange. Die Masterarbeit versuche ich gar nicht erst durchzulesen, darauf kann ich mich sowieso nicht konzentrieren. Ich lege mich aufs Sofa und nicke tatsächlich kurz ein.
Gegen 17:30 Uhr mache mich durch die Sommerhitze auf den Weg zu Ben. Seine Wohnung liegt in einem exklusiven Neubau in der Innenstadt. Ich klingle und warte auf das Summen der Tür. Während ich durch den kühlen, marmorverkleideten Eingangsbereich zum Aufzug gehe, frage ich mich mal wieder, wieviel Ben wohl in seinem Job als Controller verdient. Auf diese Frage antwortet er grundsätzlich nur 'genug'. Ich fahre in den vierten Stock. Seine Wohnungstüre steht einen Spalt offen und ich betrete den kleinen Flur der modernen, großteils in dunklen Grautönen eingerichteten Wohnung. Ich ziehe meine Schuhe aus und gehe barfuß über den angenehm kühlen Steinfußboden in das Wohnzimmer. Ben steht an der offenen Küchenzeile und räumt zwei Flaschen Weißwein in den Kühlschrank und nimmt dabei eine andere heraus.
"Hey" er kommt zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange. "Geht's dir gut?"
"Heute ist Freitag, natürlich geht's mir gut. Und dir?"
DU LIEST GERADE
Mina
General Fiction[E] markiert Kapitel mit sexuellem Inhalt. Was macht man eigentlich, wenn man Anfang Dreißig ist, keinen Partner, keine Kinder, keinen Hund und keinen Garten hat, aber auch keinerlei Bedürfnis, das zu ändern? Was tut man, wenn Gleichaltrige von Fami...