Zwischen Weihnachten und Neujahr zu Arbeiten fühlt sich seltsam an. Sarah war da und Max von der Rezeption, sowie Nicole, eine Kollegin, mit der ich bisher wenig zu tun hatte. Ansonsten war das Büro leer. Die Stimmung war locker und Sarah hat heute sogar eine Flasche alkoholfreien Punsch und Plätzchen mitgebracht. Ich bin trotzdem froh, dass morgen Samstag ist und die Arbeitswoche damit schon wieder vorbei ist.
Kurz nachdem ich daheim angekommen bin, klingelt es an der Tür. Ich öffne und vor mir steht ein junger Mann, dessen Uniform ihn als Mitarbeiter eines lokalen Kurierdienstes zu erkennen gibt und hält ein großes Paket.
"Frau Lehmann?"
"Ja?"
Er hält mir ein Gerät zum Unterschreiben entgegen und tauscht es, nachdem ich meine Unterschrift geleistet habe, gegen das Paket. Bevor ich mich über das unerwartete Paket wundern kann, ist der Bote wieder auf dem Weg zu seinem Auto.
Ich lese meinen Namen und meine Adresse auf dem Paket, sehe aber keinen Absender. Ich schließe die Türe und denke, während ich das Paket ins Wohnzimmer bringe, darüber nach, warum mir jemand extra einen Boten schicken sollte und wie hoch die Chance ist, dass das Paket von Susi ist. Weiß sie vielleicht, wie man eine Paketbombe baut? Ich schüttle meinen Kopf über diesen absurden Gedanken und stelle das Paket vor mir auf den Tisch. Ein verspätetes Weihnachtsgeschenk ist wahrscheinlicher. Aber von wem? Und warum per Bote?
Als ich den Karton öffne, sehe ich eine schwarze Box vor mir, die von einem breiten, roten Band mit Schleife verziert ist. Ich nehme sie aus dem Paket und stelle sie daneben auf den Tisch. Mein Hollywoodfilm-geprägtes Gehirn verwirft den Gedanken an Paketbomben und Susi und denkt stattdessen an kitschig-romantische Filme, in denen die Frau ein Paket von ihrem ominösen Liebhaber bekommt, in dem er ihr Schmuck oder ein Abendkleid schickt und sie zu einem glamourösen Abend einlädt. Ich schätze die Chancen dafür ein wenig höher ein als die für eine Paketbombe, aber nicht viel. Ich tippe immer noch auf ein Weihnachtsgeschenk eines mysteriösen Schenkers. Vielleicht von Ben? Aber wir schenken uns ja nichts zu Weihnachten, außerdem haben wir uns ja erst vor wenigen Tagen gesehen. Und er hätte einfach vorbeikommen können.
Ich sehe, dass an der Schleife eine kleine, hellgraue Klappkarte befestigt ist. Ich öffne sie:
Kein Weihnachtsgeschenk!
So viel zu der Theorie. Neugierig aber vorsichtig öffne ich die große rote Schleife und nehme den Deckel der Box ab. Vor mir liegt auf weißem Seidenpapier eine weitere hellgraue Karte.
Morgen, 22 Uhr.
Ich hole dich ab.
MarcoMeine Verwunderung weicht Neugier und einer ganzen Menge Fragen. Ich erinnere mich daran, dass Marco angekündigt hat, nicht auf meine Nachrichten zu reagieren, also wird das Geschenk selbst die Fragen klären müssen. Ist es etwa auch der Grund für die Kontaktsperre?
Ich schlage das Seidenpapier zur Seite und sehe dunklen Stoff vor mir, der auf einer weiteren Schicht des Papiers liegt. Vielleicht ja doch ein Abendkleid, wie im Film? Aber so kitschig ist Marco nicht. Als ich den bei genauerem Hinsehen dunkelblauen, weich fließenden Stoff aus der Box nehme, erkenne ich, dass es sich dabei tatsächlich um ein Kleid handelt. Es hat dünne Träger, ist eng geschnitten und etwas kürzer als knielang. Es besteht aus einem Unterkleid und einem etwas weiter geschnittenerem und längerem, leicht durchsichtigen Oberkleid. Ein Cocktailkleid, kein Abendkleid. Es sieht chic aus, aber nicht zu edel und gefällt mir auf Anhieb. Was Marco wohl vor hat? Und warum will er vor morgen Abend keinen Kontakt?
Ich schicke ihm trotzdem eine Nachricht, um ihn wissen zu lassen, dass ich das Paket erhalten habe.
Danke für das Paket. Ich freue mich auf morgen, 22 Uhr.
Als ich nochmal einen Blick in die Box werfe, sehe ich, dass das Papier nicht den Boden der Box bedeckt, sondern noch etwas Anderes verbirgt.
Ich schlage das Papier zur Seite und vor mir liegt auf dunkelrotem, samtenen Stoff, der wohl ein Umhang ist, eine mir wohlbekannte, einfache, schwarze Augenmaske.
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Mina
General Fiction[E] markiert Kapitel mit sexuellem Inhalt. Was macht man eigentlich, wenn man Anfang Dreißig ist, keinen Partner, keine Kinder, keinen Hund und keinen Garten hat, aber auch keinerlei Bedürfnis, das zu ändern? Was tut man, wenn Gleichaltrige von Fami...