[E] Das andere Ich

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Um die Uhrzeit wirkt Marcos Wohngebiet ganz anders. Man hört zwar irgendwo das Gelächter der obligatorischen Gartenparty, doch die Straßen und Gärten um mich herum sind leer und dunkel und weder Kinder noch Hunde sind zu hören.

Die Häuser werfen den Schall meine Schritte zurück und ich fühle mich dabei beobachtet, wie ich in meinem engen, schwarzen, kurzen Kleid und den dazu passenden High Heels durch die ruhige Straße laufe. Vielleicht hätte ich mir doch lieber eine Jacke drüberziehen sollen. Nicht dass Marco noch von seinen Nachbarn auf mich angesprochen wird. Ich gehe etwas schneller und stehe kurz darauf vor seiner Türe. Mir fällt auf, dass hinter zugezogenen Vorhängen ein Licht in einem der oberen Zimmer brennt, die ich noch nicht kenne. Ich atme noch einmal tief durch und drücke die Klingel.

Innerhalb von Sekunden öffnet Marco die Tür. Er trägt ein schwarzes Hemd und eine schwarze Hose und bittet mich herein.

"Wie geht's dir?" fragt er, als er die Türe geschlossen hat.

"Gut... denke ich. Etwas nervös vielleicht".

"Kein Grund, nervös zu sein. Du hast die Fäden in der Hand. Du weißt, 'gelb' als Warnung, 'rot' und wir brechen sofort ab." er steht vor mir, nimmt meine Hände in seine und schaut mir in die Augen. "Vertraust du mir?"

"Ja" ich nicke und merke in dem Moment, dass ich es auch tatsächlich ernst meine. Marco lächelt mich an und bittet mich mit einer Geste in Richtung Wohnzimmer herein. Marco führt mich zum Tisch, auf dem ein schwarzes Tuch liegt. "Ich habe hier ein paar Gegenstände für dich ausgewählt. Ich werde nichts Weiteres dazu sagen. Wähle drei aus, die du heute kennenlernen willst. Gleiche Gegenstände, von denen es mehrere gibt, zählen als eins." Er zieht das Tuch zur Seite.

Auf dem Tisch liegen das schwarze Seil, das er mir letztes Mal gezeigt hat, ein Naturfaser-Seil, die Gliederkette, vier Manschetten mit Karabinern, welche wohl für Handgelenke und Knöchel gedacht sind, zwei silberne Klammern, ein Paddel, eine Gerte, eine Peitsche mit mehreren Riemen und der Rohrstock und eine Schlafmaske. Ich weiß nicht, warum ich mich nur für drei entscheiden soll, vertraue aber Marcos Führung.

Ich strecke vorsichtig meine Hand nach dem naturfarbenen Seil aus.

"Du darfst alles anfassen. Was auch immer du mir in die Hand gibst, wird heute zum Einsatz kommen."

Ich berühre das Seil und merke die raue Struktur. Ich entscheide mich für das schwarze, weiche Seil und nehme es vom Tisch. Marco streckt seine Hand aus und ich lege es hinein.

"Gute Wahl" kommentiert er meine Entscheidung.

Ich wende mich wieder dem Tisch zu. Das Paddel sieht mir zu klischeehaft und plump aus und die Peitsche ist mir zu krass. Ich schwanke zwischen der Gerte und dem Rohrstock und entscheide mich letztendlich für die filigran wirkende Gerte. Ich nehme sie vom Tisch und gebe die Marco. Er nickt langsam.

Bleibt noch ein Gegenstand auszuwählen. Die Augenmaske schließe ich aus, die Vorstellung, nicht sehen zu können, was Marco tut, finde ich beängstigend. Die Kette erscheint mit zu brachial. Und da ich ja schon ein Seil ausgewählt habe, greife ich als letztes nicht zu den Manschetten, sondern den Klammern. Als ich auch diese in Marcos Hand gelegt habe, erklärt er: "Um dir zu helfen, das Hier und Jetzt zu vergessen, habe ich uns einen Raum geschaffen, in dem wir uns vollkommen aufeinander konzentrieren können. Willst du ihn sehen?"

Ich nicke. Er geht voraus zur Treppe und in den oberen Stock. Er betritt das Zimmer, in dem ich vorhin Licht gesehen habe.

Bis auf die dunklen Vorhänge wirkt das Zimmer hell, wie der Rest des Hauses, obwohl es nur von einer Stehlampe in der Ecke beleuchtet wird. Ich sehe eine Matratze in der Ecke auf dem Boden, daneben einen Stuhl aus hellem Holz und einen schwarzen Hocker. Ansonsten ist das Zimmer leer. Marco schließt die Türe hinter uns und legt meine Auswahl an Gegenständen auf den Stuhl.

MinaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt