Engel aus Porzellan

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Clair

Terosa war ein Königreich, so wunderschön und voller Vielfalt. Es glich einer Wiese Wildblumen, von denen es an diesem Ort unzählige gab. Dort existierten Flüsse und Seen, die im Licht der Sonne und des Mondes glitzerten wie Kristalle. Berge, deren schneebedeckte Spitzen an Szenerien eines Märchens erinnerten.

Doch Bardo besaß nichts davon. Dieser Teil des Landes war so dunkel und angsteinflößend wie die tiefste, sternenlose Nacht.

Clairs Körper bebte, als sie einen weiteren Blick nach draußen riskierte. Nur einen kurzen, denn länger hielt sie diese trübe Finsternis nicht aus. Hohe Tannen umgaben sie. Das Zwitschern der Vögel war kaum zu hören und erinnerte mehr an ein Trauerspiel als an einen Gesang der Freude und Glückseligkeit.

Clair wollte zurück in den Garten ihres Palastes. Sie wollte sich verstecken zwischen all den schönen Rosen und Tulpen und ihre Aufmerksamkeit ganz und gar einem der von ihr geliebten Bücher widmen.
Auch wenn ihre Eltern den Aspekt stets missachteten, dass sie sich lieber in fremde Welten träumte als der Realität ins Auge zu blicken, wollte sie in diesem Moment nichts sehnlicher.

Sie verstand ohnehin nicht, weshalb sie ausgerechnet in dieser Saison nach Bardo reisen mussten, um am Ball der königlichen Familie Chaworth teilzunehmen.

Seit Clair denken konnte, hatte stets Streit zwischen den beiden Adelsfamilien geherrscht, der schon oft beinahe auf dem Schlachtfeld geendet hatte. Doch sowohl ihr Vater, als auch der Herrscher des anderen Königreichs, hatten am Ende immer Vernunft walten lassen. Strebten sie womöglich tatsächlich einen Frieden an? Ein Bündnis?

Clair schob den weißen Vorhang wieder zurück an seinen Platz, sodass er das kleine Fenster der Kutsche verdeckte und ihr die Sicht nach draußen versperrte.
Sie bewegte sich auf der kleinen Sitzbank im Rhythmus des schaukelnden Gefährts hin und her.

Sie senkte den Blick auf ihre vor Nervosität zitternden Hände, die mit dem Saum ihres roten Ballkleides spielten.
Ihre Mutter hatte es speziell für den heutigen Abend anfertigen lassen. Es passte Clair wie angegossen, fühlte sich schon beinahe wie eine zweite Haut an.
Ihr Dekolleté wurde darin besser zur Schau gestellt, als es ihr lieb war. Doch laut den Aussagen ihrer Mutter waren die weiblichen Reize etwas, das sich als Waffe verwenden ließ und den Männern den Verstand raubte.
Aber auch das war nicht, was Clair begehrte. Sie wollte keinen Baron, Grafen oder gar einen Prinzen betören. Sie wollte einfach nur, dass dieser Abend schnell vorüberging und sie in ihre Heimat zurückkehrten.

Clair atmete tief durch, straffte die Schultern und setzte sich so aufrecht hin, wie nur möglich.
Auch wenn sie am liebsten vor dem heutigen Abend geflohen wäre, rief sie sich in Erinnerung, dass sie eine wichtige Rolle spielte und sich unschickliches Verhalten nicht erlauben durfte. Genauso wie es ihre Eltern taten, repräsentierte auch sie Terosa und ihr Volk. Ihr Vater hatte ihr stets eingebläut, dass Manierlichkeit und Aussehen alles waren, was eine Frau attraktiv machte. Sie hatte sich zurückzuhalten, hatte sich ihrer Position zu fügen und ihren Platz einzunehmen, auch wenn ihr all diese Dinge widerstrebten.

Ihr Herz sehnte sich nach etwas anderem - nach dem Gefühl der Freiheit. Und doch wusste sie, dass sie ihren Part zu spielen hatte. Sie war die Prinzessin von Terosas. Die Zukunft ihres Königreichs.

Die Kutsche holperte weiter über den unebenen Boden des finsteren Waldes, von dem Clair bereits genug gesehen hatte.

Sie schloss die Augen, versuchte ihre Gedanken zu ordnen und sich auf das Bevorstehende vorzubereiten. Doch war das überhaupt möglich?
Sie war schon auf mehreren Bällen Gast gewesen, doch irgendetwas verriet ihr, dass es dieses Mal anders als gewohnt verlaufen würde. Sie hatte es schon spüren können, als ihre Mutter ihr davon berichtet hatte. Etwas hatte sich dabei in die Luft gemischt, sie elektrisiert und dazu geführt, dass sich Clairs Härchen überall am Körper aufgestellt hatten. 

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