Theon
Er sah die Angst in ihren blauen Augen. Nur den Bruchteil einer Sekunde später stürmte sie auch schon davon und ließ ihn inmitten all der anderen Paare auf der Tanzfläche, alleine stehen. Diese richteten ihre verwirrten Blicke auf ihn.
Theon hatte zu vorschnell gehandelt. Sich darüber im Klaren seiend, rügte er sich in Gedanken dafür. Sein Herz raste wie wild und er spürte, wie seine Hände schwitzig wurden. Sollte er Flora folgen? Sich bei ihr für seine überstürzten Worte entschuldigen?
Doch noch ehe er sich vollends dazu entscheiden konnte, spürte er einen festen Griff um seinen Oberarm. Als er den Blick der dazugehörigen Person zuwandte, erkannte er seinen Halbbruder, der ihn unruhig musterte. "Auf ein Wort. Sofort", flüsterte er ihm ins Ohr und zog ihn auch schon aus dem unmittelbaren Sichtfeld seiner Eltern.
Die Musiker nahmen ihr Tun wieder auf und die Tanzpaare formierten sich neu. Unbemerkt huschten die beiden durch das rege Treiben hindurch, zwei Mäusen ähnelnd, die sich unentdeckt mit einem Stück Käse aus dem Staub machten. Nur, dass die Männer nicht versuchten eine errungene Siegestrophäe in Sicherheit zu bringen, sondern strafenden Augen zu entweichen.
Durch einen schmalen Gang, der so unauffällig gestaltet war, dass er kaum einem auffiel, ließen sie den Ball hinter sich. In dem kleinen Hinterzimmer fanden sie die Ruhe, um sich in normaler Lautstärke und ungestört unterhalten zu können.
Das Blut rauschte in Theons Ohren und er fühlte sich, als befände er sich unter Wasser. Schon einmal war er im Meer geschwommen und getaucht und das benebelte Gefühl das ihn damals eingenommen hatte, nahm ihn auch jetzt ein. Es war beinahe so, als wäre er für einen Moment in einer anderen Welt gefangen. Nicht hier. Ganz weit weg.
„Was denkst du, tust du hier?" Der wütende und zugleich besorgte Tonfall seines Halbbruders holte ihn allerdings schneller auf den Boden der Realität zurück, als er jemals hätte auftauchen können.
Hunter musste ihn beobachtet haben, wie er mit Flora getanzt hatte. Theon kratzte sich nachdenklich im Nacken und wagte es nicht, dem Jüngeren ins Gesicht zu blicken. Er wusste, er hatte einen Fehler begangen und doch wollte er nicht wahrhaben, dass es einer gewesen war, denn es hatte sich nicht nach einem angefühlt. Ganz im Gegenteil. Er hatte Flora schon lange so nahe sein wollen. Seine Hände auf ihren Hüften liegend, ihren Duft einatmend, ihren warmen Atem seine Haut streicheln spürend.
„Ich bin bei Weitem nicht der Einzige, der in den Genuss gekommen ist, deinen letzen Tanz zu betrachten. Die meisten mögen nicht verstanden haben, dass Flora ein Dienstmädchen ist, aber Vater und Königin Marianna haben es. Sie werden dich vierteilen, Theon, oder schlimmer noch ..." Hunter unterbrach sich selbst in seiner Aufregung und begann auf und ab zu schreiten.
Theon wusste nicht, was er sagen sollte, also schwieg er zunächst. Allerdings war er sich darüber im Klaren, worauf sein Halbbruder hinauswollte. Nicht er würde am Ende der Leidtragende sein, sondern vermutlich Flora.
Das Wissen darüber hatte bereits an seinem Verstand angeklopft, doch er hatte es nicht hereingebeten, sondern ignoriert.
Er knirschte mit den Zähnen.
Schmerzlichst wurde ihm bewusst, dass er die Frau, die er tatsächlich glaubte zu lieben, in Nöten brachte. Und dies würde nicht wie in den romantischen Büchern enden, in welchen er auf einem weißen Ross angeritten gekommen wäre, um die holde Maid zu retten.„Was sollen wir tun?", fragte er also schließlich in die Stille, die nur durch Hunters Schritte durchbrochen wurde. Er hasste es, dass er seinen jüngeren Bruder nun um Rat bitten musste. Eigentlich hätte es Theon sein sollen, der an mehr Grips besaß.
„Was wir tun sollen? Nein, nein." Der Dunkelhaarige blieb stehen und musterte Theon. „Was du tun solltest, das solltest du mich fragen."
„Hunter, wir haben nicht ewig Zeit die Sache hier auszudiskutieren. Jede Minute, die wir uns hier in dem Gang verstecken, ..."
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Veilchenblau
Historical Fiction„Ist es wirklich wahrhaftige Liebe, die wir füreinander empfinden, oder ist es nur die Verpflichtung, die uns miteinander verbindet?" Über den Zeitraum von vier Jahrzehnten herrschten Uneinigkeit und Unruhe zwischen den beiden mächtigsten Königreic...