Märchenstunde

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Clair

Ihr Herz setzte für einen Moment aus. Hatte er das gerade eben wirklich gesagt? Sie brachte ihn durcheinander, so sehr, dass er nicht einmal mehr passende Worte finden konnte, oder sich gar ungeschickt verhielt?

Hitze schoss in ihre Wangen, weshalb sie sich für ein paar Sekunden Luft zufächelte, bevor sie sich ins Gesicht fasste und Theon einfach nur ansah. Nun war sie es, die nach den passenden Formulierungen suchte.

Einmal mehr kam es ihr an diesem Abend so vor, als wäre diese neu entstehende Geschichte einem Märchen entsprungen. Sie wollte dem Ganzen wirklich Glauben schenken und war in Versuchung, sich einfach in die stark aussehenden Arme des Prinzen zu werfen, doch ein Gefühl in ihrem Inneren hielt sie davon hab.
Sie begann den plötzlichen Sinneswandel des Prinzen zu hinterfragen.

Irgendetwas sagte ihr, dass es einen Haken gab. Denn den gab es in der realen Welt immer.
Am liebsten hätte sie die Stimme, die sie warnte, zum Schweigen gebracht, doch Worte ihrer damaligen Septa kehrten in ihre Erinnerungen zurück.

„Wenn dein Herz nicht im Einklang mit deinem Kopf ist, dann wiege dich niemals in Sicherheit."

Claire senkte den Blick und betrachtete ihre Schuhe.

„Verzeiht mir, sollte ich Euch überrumpelt haben. Ich habe keinerlei Erfahrungen in Dingen ..."

„In Dingen der Liebe?", unterbrach sie ihn und wandte sich dann dem Fenster mit dem breiten Sims zu. Ob hier von Zeit zu Zeit jemand saß und die vielen Bücher der Bibliothek nach und nach verschlang? Womöglich sogar der Prinz höchstpersönlich?
Weshalb sonst sollte er diese Räumlichkeit gewählt haben, wenn er sie denn nicht ab und an auch selbst aufsuchte? Vielleicht um Ruhe zu finden und der Hektik des Schlosses zu entfliehen?

„Ich bin doch selbst noch ganz und gar unerfahren in dieser Hinsicht. Seht uns an, so sind wir doch beide beinahe noch Kinder." Während sie sprach, sah sie weiterhin nach draußen. Hinter dem Fensterglas konnte sie nicht viel erkennen, immerhin war es bereits finster. Doch das fahle Licht des Mondes fiel auf die Oberfläche des Meeres und tauchte eben diese in ein gespenstisches Silber. Traumhaft schön und doch auf seine Weise angsteinflößend.

Sie konnte Theon atmen hören, so still war es um sie herum. Vermutlich hätte sie sogar den Klang einer fallenden Stecknadel vernehmen können. Doch das Schweigen hielt nicht lange an.

„Dann lasst uns voneinander lernen." Seine Stimme zitterte leicht. Er war nervös. Ob aus Sorge, sein Schauspiel könne auffliegen, oder aus reinen Absichten konnte Clair in diesem Moment nicht deuten. Sie hoffte auf Zweites, doch da war noch immer dieses Gefühl in ihrer Magengegend, das sie davon abhielt, ihm einfach so zu vertrauen. Blind, wie ein Maulwurf dem Tageslicht.

„Ihr begehrt mich nach nur einem Tanz? So sehr, dass Ihr mit mir zu lieben lernen möchtet?" Noch immer sah sie ihn nicht wieder an, betrachtete lieber das Mondlicht, das über das Meer tanzte.
Auch wenn ihr Vater oft streng war, so war seine disziplinierte Erziehung doch nicht gänzlich verkehrt gewesen. Er hatte sie gelehrt mit dem Verstand vorzugehen und Dinge kritisch zu betrachten.

Clair konnte hören, dass Theon sich ihr näherte, wenn auch nur um zwei weitere Schritte. „Kann ein Mann denn etwas für seine Gefühle? Ihr raubtet mir den Atem ..."

„Und doch habt Ihr mich wegen einer anderen Frau alleine gelassen", unterbrach sie ihn wiederholt, auch wenn es sich für eine Dame nicht gehörte, einem Mann ins Wort zu fallen. Nun wandte sie sich ihm wieder zu. Ihre Augen blickten in die seinen. Sie versuchte in den blauen Iriden zu erkennen, worin die Absichten des Prinzen lagen. „Ich würde Euch gerne trauen, Eure Hoheit, allerdings sagt mir mein Gefühl, dass ich das nicht sollte."

VeilchenblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt