Ein Neubeginn (Epilog)

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Clair

Sie dachte, sie müsste sterben, als eine neue Welle des Schmerzes ihren bereits bebenden und entkräfteten Körper erschütterte.
Schwer atmend krallte sie sich in das vom Schweiß nasse Laken und schloss die Augen.
Ihre Wangen waren glühend heiß, das braune Haar klebte ihr im feuchten Gesicht und der weiße Stoff ihres Nachtkleides haftete an ihrer Haut.

Für einen Moment bereute sie es diese Entscheidung getroffen zu haben, doch dieser Gedanke hielt nicht lange an.

Sie schnaufte durch, als ihr eine kleine Pause vergönnt wurde, ehe sich ihr Unterleib erneut verkrampfte und sie schreien ließ.
Die Geräusche ihrer Qual drangen bis auf die Flure, ja gar bis auf den Hof hinaus.

Aufgeregt tuschelnde Frauen und der Medikus standen um das Bett herum. Eine der Zofen legte einen kühlenden Lappen auf Clairs Stirn, eine andere griff ihre Hand und sprach ihr gut zu.
Der Mann in heller Robe begutachtete alles von der Fußseite der Schlafstätte aus, murmelte immer wieder Worte, die nicht bis zu Clair durchdrangen.

Die Unterlippe der gegen den Schmerz Ankämpfenden zitterte. Sie drehte sich leicht zur Seite, um es etwas erträglicher werden zu lassen.
Doch auch das beendete die Qual nicht, die schwerer noch zu ertragen sein musste, als im Höllenfeuer zu brennen.

„Wo ist Theon?!", kreischte sie, als die nächste Flut ihren Körper heimsuchte.

Als hätte er nur darauf gewartet, dass sie nach ihm verlangte, öffnete sich die Tür zu ihrem Gemach und er trat ein.
Sie blinzelte ihm entgegen, begegnete seinen vor Nervosität funkelnden Augen, als er sich beeilte, zu ihr ans Bett zu kommen und die Zofe abzulösen, die ihre Hand hielt.
Fest umschloss sie nun er, kniete sich neben die Schlafstätte, küsste ihr die Finger und bettete sein Kinn dann auf ihre ineinander verschlungenen Hände.

„Ich ... Ich halte das nicht mehr aus", keuchte Clair und flehte innerlich zu Gott, dass es bald vorüber sein würde.
Ihr Blick blieb auf Theon gerichtet, der in dieser Situation der Einzige war, der ihr wirklichen Halt geben konnte.

Sanft strich er ihr eine nasse Strähne aus dem Gesicht, beugte sich über sie und platzierte einen seiner wunderbaren Küsse auf ihrer Stirn. „Ich bin bei dir. Wir stehen das gemeinsam durch, hörst du? Ich kann mir die Schmerzen nicht ausmalen, die du erleiden musst und ich wünschte, ich könnte sie dir abnehmen. Aber glaube mir wenn ich dir sage, dass es das alles wert sein wird", hauchte er ihr zärtlich klingende Worte entgegen.

Und wie bei ihrer ersten Begegnung auf dem Ball, drohte sie auch jetzt einfach in dem schimmernden Blau seiner Augen zu ertrunken. Doch anders als damals, ließ sie es nun zu, ließ sich im Ozean seiner Seele treiben.

Mit einem Mal fühlte sie sich neu gestärkt. Er gab ihr die Kraft, die sie brauchte.
Sie sah ihre gemeinsame Zukunft in ihm und auch einen Teil ihrer Vergangenheit.

In ihren Erinnerungen blitzte das Bild ihrer Hochzeit auf. Sie im weinroten Kleid und er, wie er mit dem Ausdruck purer Freude im Gesicht auf sie gewartet hatte.
Oh, wie er gelächelt hatte. Dieses unschuldige Lächeln, das wirklich einem Engel hätte gehören können.
Und dann hatten sie sich vor Gott geschworen, einander für immer zu lieben und zu ehren.
Ein Kuss, der ihr Herz auch jetzt noch schneller schlagen ließ, hatte ihren Bund besiegelt.

Bardo war zu ihrem Zuhause geworden. Er war zu ihrem Zuhause geworden.
Sie hatte ihm geholfen Elodys und auch Hunters Tod zu verarbeiten, half ihm noch immer dabei, das Königreich aufblühen zu lassen und brachte ihm und seinem Vater bei, wie man richtig mit seinem Volk umgehen musste, um es zufriedenzustellen.

Die Königin war in ihr Geburtsland verbannt worden. Auch dies hatte Theon am Anfang nur schwer verkraften können, doch das Wissen um ihren Verrat hatte es ihn schneller akzeptieren lassen.

Gemeinsam mit ihrem Gemahl hatte Clair die Gärten wieder herrichten lassen.
Tage und auch Nächte hatten sie unter dem Pavillon verbracht, unter dem er einst mit Elody gelegen hatte.
Und unter diesem weißblauen Gebilde, um welches sich ein Feld von Veilchen erstreckte, war ihre Zukunft entstanden.

Die Zukunft Bardos.

„Ihr müsst nun pressen, MyLady", holte sie eine der Zofen in die Realität zurück und nickte ihr auffordernd zu.

„Du schaffst das. Ich bin bei dir und ich werde nicht von deiner Seite weichen", versicherte ihr Theon, als sie all ihre restliche Kraft aufbrachte, um dem Appell der Frau Folge zu leisten.

Sie schrie, keuchte, stöhnte vor Schmerzen.
Der Medikus am Ende des Bettes beugte sich hinab und fasste ihr zwischen die Schenkel. „Weiter! Noch einmal pressen!", wies er sie an.

Clair legte den Kopf in den Nacken, gab ihr Bestes, während Theon ihr sanft die Hand streichelte. Währenddessen schenkte er ihr liebevolle, aufbauende Worte.

Mit jeder vergangenen Sekunde kam sie ihrem Ziel näher und schließlich ließ der Schmerz so plötzlich nach, als wäre er niemals da gewesen.

Nur einen Moment später hörte sie das schrille Weinen einen Babys. Ihres Babys. Der Ruf des Lebens klang in ihren Ohren wie die schönste Musik.

„Es ist ein Junge!", verkündete ihr eine der Zofen voller Freude, wickelte das jammernde Bündel in weißen Stoff.

Clair ließ Theons Hand los und richtete sich im Bett auf. Mit glänzenden Augen streckte sie die Arme ihrem Kind entgegen.
Vorsichtig drückte sie es an ihre Brust und streichelte mit dem Zeigefinger ganz behutsam über sein kleines Gesichtchen.
Sofort hörte es auf zu weinen.

„Sieh nur", flüsterte Clair an Theon gerichtet und lehnte ihre Stirn an seine Schulter, als er sich zu ihr aufs Bett setzte.

„Unser Sohn", erwiderte er im gleichen Tonfall und ließ auch seine Fingerspitzen achtsam über den Kopf des kleinen Jungen streichen.

Clairs Brust explodierte beinahe von dem intensiven Gefühl der Liebe, das sie für dieses kleine Wesen verspürte. Sie war stärker noch, als jedes Gefühl, das sie jemals verspürt hatte.

Sie schwor sich immer auf ihren Sohn Acht zu geben und ihn vor allem Bösen zu schützen.
„Er bedeutet den Neubeginn Bardos. Er knüpft ein nicht zu durchtrennendes Band zwischen meiner und deiner Heimat. Ich werde ihn gut erziehen. Er wird lernen, wie man achtsam mit seinem Volk umgeht und wenn wir einmal nicht mehr sind, dann wird er der gutherzige König sein, der den Frieden aufrechterhält", wisperte sie und küsste sanft die Stirn ihres schlafenden Kindes. „Ich will ihn Hunter Jolando nennen."

Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen von Theon, als er diesen Namen vernahm. „Hunter, zu Ehren meines Bruders und Jolando, Veilchen, zu Ehren Elodys. So wird niemand von ihnen vergessen. Niemals."

Lange lag sich die kleine Familie in den Armen. Glücklich und zufrieden, die Vergangenheit akzeptierend und die Zukunft begrüßend.

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