Im Schatten der Tannen

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Flora

Sie schlang ihren dunkelgrünen Mantel noch etwas enger um ihren Körper, während ihre Füße sie immer weiter trugen. Weg vom Palast, weg von Theon und ihren Pflichten als Zofe und Schneiderin.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis man sie und ihre Begleiter suchen lassen würde, weshalb sie sich nicht für die Straße entschieden hatten, sondern dafür, mitten durch den Wald zu laufen.

Ganz gleich wie unbehaglich es für Flora auch war, unter den vielen dunklen Tannen und Fichten hindurch zu marschieren, so war dieser Weg doch der sicherste.

Es dämmerte bereits und trotz des herrschenden Sommers in Bardo, war es im Forst bitterlich kalt.
Sie zitterte, ihre Lippen hatten bereits einen leicht bläulichen Ton angenommen.

Jaron, der Küchenjunge, ging neben ihr her und schenkte ihr einen besorgten Blick, doch sie winkte ab.
Es war nicht mehr weit bis zu ihrem Ziel. So hatte es zumindest der Bibliotheksmeister, der den Namen Elrik trug, vor rund fünf Minuten angepriesen.
Man würde sie sicherlich in einer von Feuer gewärmten Hütte willkommen heißen, bestenfalls mit heißen Suppenschüsseln auf dem Tisch. Das war das Mindeste, das man ihnen für ihre Dienste entgegenbringen sollte und dafür, dass sie sich in Gefahr begeben hatten.

Flora hatte es missfallen den Hof verlassen zu müssen. Es ärgerte sie noch immer, dass der Narr von Kerkerinsasse zu reden begonnen und damit dafür gesorgt hatte, dass ihr und ihren beiden Kumpanen keine andere Möglichkeit geblieben war, als die Flucht zu ergreifen.
Wären sie nicht gegangen, hätte ihr Dasein ein jämmerliches Ende auf dem Schafott gefunden, davon war sie fest überzeugt.
Es wäre Verrat gewesen für den man sie angeklagt hätte und für dieses Vergehen erhielt ein jeder stets die Todesstrafe.

„Dort vorne ist es."
Flora sah auf, als der ältere Mann mit dem grauen Kranz auf dem sonst kahlen Schädel seine krächzende Stimme erhob.
Nicht weit von ihnen konnte man das Flackern von Licht zwischen den Bäumen ausmachen.
Der Geruch von Rauch stieg ihr in die Nase und sie hörte das leise, aber beständige Knacken von brennendem Holz und Geäst.

Sie beeilten sich die letzten paar Meter zurückzulegen und fanden sich schließlich zwischen mehreren Hütten wieder.
Der Bibliotheksmeister war derjenige von ihnen, der den Weg kannte und so schlug er sicher den ein, der sie zur Hütte der Anführerin führte.

Flora hatte die Frau noch nie zu Gesicht bekommen, hatte nur gehört, dass man sie Fiolett nannte und dass ihr Haar die Farbe hin frisch gefallenem Schnee trug.
Wenn Flora Botschaften an den Widerstand überreicht hatte, dann hatte sie stets nur mit dem Handlanger gesprochen, der Fiolett am nächsten stand: ein Mann, etwa um die dreißig Jahre, mit gepflegtem Äußeren und besonders einprägsamen, silbergrauen Augen, die einem so manches Mal bis in die Seele zu blicken schienen.
Er nannte sich Bone, doch Flora war sich sicher, dass es sich dabei nicht um seinen wahren Namen handelte. Dass sie nicht wusste, wie er wirklich hieß, machte ihr allerdings nichts aus, denn auch sie hatte ihm nicht verraten, wie man sie hinter den Mauern des Palastes rief.
Hier in der Siedlung, da nannte man sie Dandelion.

Als sie die Hütte erreichten, wurden sie von einem großen, schwarzen Wolf begrüßt. Er knurrte sie an, stand dabei auf der obersten Stufe, die Lefzen nach oben gezogen und präsentierte den drei Neuankömmlingen seine scharfen, weißen Zähne.
Da weder Flora, noch Jaron oder Elrik mit dem Gebiss des Raubtieres Bekanntschaft machen wollten, verharrten sie augenblicklich und taten keinen weiteren Schritt.

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